Interview mit dem Nikolaus:Komische Weihnacht

Lesezeit: 4 min

Der praktizierende Nikolaus Gerhard Polt über Schlümpfe mit roten Mützen und die Kultur von Weihnachtsfeiern.

Von Franz Kotteder

Erstaunlich, dass Sie noch Zeit für ein Interview haben, Herr Polt! Als bayerischer Mensch, der in der darstellenden Kunst tätig ist, muss man in diesen Tagen doch rastlos unterwegs sein, um die "Heilige Nacht" von Ludwig Thoma vorzutragen?

Na ja, ich nicht. Ich mach' das gelegentlich mit der Biermösl Blosn als Persiflage. Weil das natürlich lustig ist, wie da manchmal die "Heilige Nacht" in der Weihnachtszeit in aller Hektik schnell durchgelesen wird, praktisch bei laufendem Motor. Weil's ja dann schon wieder weiter geht zur nächsten Firmenfeier. Es gibt einige, die das so machen. Das ist schon komisch, aber auch verrückt, weil diese "Heilige Nacht" vom Thoma ja eigentlich eine wunderschöne Geschichte ist. Und es gibt nicht sehr viele, die sie tatsächlich auch gut lesen können.

Wer zum Beispiel?

Von den berühmten Volksschauspielern, die das gelesen haben, kenn' ich die Aufnahme von dem Willi Rösner. Die hat mir sehr gut gefallen. Der Thoma hat ja bewusst, nehme ich an, die "Heilige Nacht" in Dachauer Mundart gehalten und ich weiß nicht, wie viele das heute noch draufhaben von den Jungen oder inwieweit die heute noch geredet wird.

Im Publikum sitzen meist auch ältere Leute. Oder Jüngere, die da so hingehen, wie sie auch aufs Oktoberfest gehen.

Ja, das ist dann so eine Art Faschingsveranstaltung. Das passt schon. Weil man sagt ja auch: Kaum ist das Oktoberfest vorbei, fangt die Weihnachtszeit an. Die letzten auf der Wiesn tauchen den Lebkuchen quasi schon ins Bier hinein.

Und deshalb kann die "Heilige Nacht" auch komisch sein?

Ja. Allein die Vorstellung, wie das halt in manchen Weihnachtsfeiern den Leuten präsentiert wird. Erst die Weihnachtsansprachen der Chefs: Die sagen den Leuten dann, wie viele Angestellte nächstes Jahr nicht mehr dabei sind. Und dann gibt's einen Punsch oder den berühmten Spekulatius ... Diese Weihnachtsfeiern und diese Weihnachtsbesäufnisse - das ist schon eine eigene Kultur. Die hat was Komisches.

Auch was Theatralisches?

Es ist für die Bühne interessant. Wenn die Geschäftslage schlecht ist und die Firma den Leuten ins Gewissen redet, sich mehr zusammenzureißen und wenn sie trotzdem auf ihre Generosität hinweist, dass sie dieses Weihnachtsfest noch mal stemmt - das hat doch was. Oder wenn man durch die Weihnachtsmärkte geht und sieht, was da im Angebot ist und wie das dann riecht - das hat für mich was Komisches. Ich werde zum Beispiel auch nie vergessen, wie die Biermösl Blosn, das ist jetzt auch schon wieder ein paar Jahre her ...

... 1983 ...

... da haben sie bei der Adventsmusik vom Rathausturm die "Internationale" runtergespielt. Lustig war, dass das die Leute gar nicht gemerkt haben. Nur ein CSU-Stadtrat hat's erkannt und sich beschwert. Dann haben die anderen aber gesagt: "Antikommunist sein ist ja schon recht, aber jetzt draht er durch!" So etwas ist einfach schön.

Sie haben 2003 selbst eine Weihnachtsplatte herausgebracht mit dem Titel "Abfent, Abfent", die uns nicht so ganz geeignet scheint für beschauliche Weihnachtsfeiern. Werden Sie dazu eingeladen?

Ja, ich werde durchaus eingeladen mit meinen Weihnachtsgeschichten. Ich erzähle dann von meinen eigenen Weihnachtserlebnissen. Das kommt auch ganz gut an bei den Leuten. Weil, zumindest bei den Leuten meiner Generation und vielleicht auch noch ein bisserl jünger, die können sich noch erinnern, wie das früher war, als es noch einen Nikolaus gegeben hat oder einen Krampus. Ich bin ja ein praktizierender Nikolaus. Ich bin quasi seit über 35 Jahren im Dienst!

Immer noch?

Immer noch! Ich werde auch dieses Jahr wieder bei der Biermösl-Familie den Nikolaus machen.

Sagen da die Kinder nicht: "Geh weiter, des ist doch der Polt!"

Schon. Aber der Respekt bleibt!

Wie kommt das?

Also, der Nikolaus hat dann auch die Aufgabe - was bei den Kindern immer sehr gut ankommt - auch die Sünden der Erwachsenen anzusprechen. Und dabei besteht schon die Gefahr, dass er die Erwachsenen beinahe einmal im Sack mitnimmt. Und da sind die Kinder meist sehr zuversichtlich, dass der Erwachsene auch reinkommt. Also, es täte ihnen durchaus Spaß machen, wenn er mitgenommen werden täte.

So einen Nikolaus erlebt man heutzutage selten.

Richtig. Was mir ja auffällt - zunehmend, kann man sagen - dass es einen klassischen Nikolaus kaum mehr gibt, weil das meistens Weihnachtsmänner sind. Der Kaufhausweihnachtsmann und überhaupt diese amerikanischen Weihnachtsmänner haben mit dem Nikolaus nichts zu tun. Die schauen wie Schlümpfe aus und nicht wie eine Respektsperson. So ein echter Nikolaus, der muss doch was hermachen! Da verlange ich schon, dass der gut gekleidet ist und dass der wirklich als Bischof durch die Gegend saust und nicht als Wrdlbrmpft oder als Zwerg.

Wird den Kindern das wahre Nikolaus-Erlebnis also gestohlen?

Ja, das glaube ich schon. Es gibt eine Inflation der Nikolausität. Das sind keine Nikoläuse, und die haben auch gar keinen Krampus mehr dabei. Die Rolle des Krampus ist aufgrund der modernen Psychologie ins schlechte Licht gekommen und das hat der Krampus nicht verdient. Denn wie wir wissen, ist der eigentliche Krampus ein ehrenwerter Mann. Der tut nur seinen Job. Der Krampus als "Mann der Tat" hat es heute schwer, sich sein Brot sich zu verdienen.

Wie schaut eigentlich Advent bei den Polts aus?

Ich sag immer: Advent ist die Zeit der Erwartung. Mehr fällt mir dazu nicht ein.

Keine Plätzchen, kein Adventskranz?

Ich ess' schon, seit ich denken kann, Platzerl! Und werde, wenn's geht, diese Angewohnheit auch nicht aufgeben. Als Mitteleuropäer, die wir sind, gehört doch das Platzerl zu unserer abendländischen Kultur dazu.

Bei den Polts liest man am Heiligen Abend also nicht die "Heilige Nacht"?

Nein.

Ja, was dann? Wir sind ja neugierig.

Das ist bei mir wenig spektakulär. Ich sitz' meistens an einem Tisch und dann steh ich wieder auf. Was ganz angenehm ist an Weihnachten: Wenn man wirklich was Süßes gegessen hat, dann gibt's sowas wie ein Weißbier. Gerade am Heiligen Abend ist das recht nützlich. Und dann mag ich die Ansprachen im Fernsehen. Es gibt eben so viele Leute, die an Weihnachten was zu sagen haben. Und das genieße ich. Ich lasse möglichst keine Ansprache aus. Es ist ja auch so dringend nötig, dass gerade diese Leute den Menschen an Weihnachten mal etwas sagen. Nach der langen Stille.

© münchen erleben vom 24.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: