Interview:Kommt die Wiesn in den Duden? Gut möglich

Kunkel-Razum

Kathrin Kunkel-Razum arbeitet seit etwa zwanzig Jahren in der fünfzehnköpfigen Dudenredaktion. Seit anderthalb Jahren leitet sie deren Geschicke. Ihre Promotion erwarb die studierte Linguistin an der Universität Leipzig.

(Foto: privat)

Nachdem auch Ministerpräsident Seehofer Druck gemacht hat, will Duden-Chefin Kathrin Kunzel-Razum den Vorschlag prüfen. Sie findet: "Wiesn" wird öfter verwendet als "Oktoberfest".

Von Marco Wedig

Die Wiesn ist dieser Tage wieder in aller Munde - und doch steht sie nicht in Deutschlands wichtigstem Wörterbuch. Grund genug für Horst Seehofer (CSU), auf die Barrikaden zu gehen. "Die haben sich auch an der Mehrheitsmeinung zu orientieren", sagte der Ministerpräsident an die Adresse der Dudenredaktion. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) stimmte mit ein. Was hält die Leiterin der Dudenredaktion davon?

SZ: Frau Kunkel-Razum, warum steht der Begriff Wiesn nicht schon längst im Duden?

Kathrin Kunkel-Razum: Das Wort ist bei unserem Dudenkorpus durchs Raster gefallen. Mit dieser Datenbank, die über vier Milliarden Wortformen enthält, können wir herausfinden, welche Wörter besonders häufig verwendet werden.

Welche Kriterien muss ein Wort denn noch erfüllen, um in den Duden aufgenommen zu werden?

Das Wort muss nicht nur häufig, sondern auch über einen langen Zeitraum verwendet werden. Eintagsfliegen schaffen es nicht in den Duden. Zudem muss ein Wort breit gestreut sein, es darf also nicht nur bei einem Autor und in einer Textform vorkommen. Zu guter Letzt kommt es aber auch darauf an, ob ein Wort Schwierigkeiten in der Rechtschreibung bereiten kann. Letzteres trifft im Falle der Wiesn schon mal zu.

Tindern, Emoji, Low Carb - in den im August erschienenen aktuellen Duden wurden viele moderne Wörter aufgenommen. Werden ältere Begriffe vernachlässigt?

Es stimmt, dass wir viele neue technologische und modische Begriffe aufgenommen haben. Doch waren auch Wörter dabei, die schon seit vielen Jahren im Umlauf sind, zum Beispiel das Wort Bierdusche.

Lassen Sie sich beeindrucken vom Aufruf eines Münchner Lokalsenders zur Aufnahme des Wortes Wiesn?

Im Falle des Wortes Icke war es ja auch so, dass ein Berliner Lokalradiosender dazu aufrief. Das Wort schaffte es nun tatsächlich in den Duden. Wir nehmen das natürlich wahr, so wie wir jede Anregung wahrnehmen, die uns tagtäglich erreicht - nicht nur von Lokalradiosendern. Am Ende ist aber nicht der Medienrummel entscheidend, sondern ob das Wort unseren Kriterien entspricht. Wir werden den Begriff Wiesn nun nochmals prüfen. Doch erscheint unsere nächste Auflage vermutlich erst in drei bis fünf Jahren.

Das wird Herrn Seehofer vielleicht nicht schnell genug gehen. Er will zur Not ein eigenes bairisches Wörterbuch herausgeben. Was halten Sie davon?

Darüber können wir uns gerne unterhalten. Ähnliches gab es bereits für die Hauptstadt. Dort haben wir einen Duden herausgegeben, in dessen Mittelteil sich viele berlinerische Begriffe wiederfanden. So etwas wäre natürlich auch für Bayern vorstellbar.

Es stimmt also nicht, dass die in Berlin ansässige Dudenredaktion nur Berliner Wörter aufnimmt?

Nein, wir haben uns schon immer um lokal begrenzten Wortschatz gekümmert, wenn dieser auch allgemein verbreitet ist. So kam dieses Jahr der aus Berlin bekannte Späti hinzu, aber auch der norddeutsche Tüddelkram. Insofern wäre die lokale Färbung des Wortes Wiesn also kein Ausschlusskriterium. In meiner Wahrnehmung wird das Wort übrigens mittlerweile öfter verwendet als das Wort Oktoberfest, welches bereits im Duden vertreten ist.

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