Interview: Einstürzende Neubauten:"Jedes Geräusch kann schön sein"

Alexander Hacke von den "Einstürzenden Neubauten" über die Suche nach Sound.

Interview: Andreas Krieger

Pressluftbohrer. Stahlplatten. Betonmischer. Haut und Knochen. Alles kann zum Instrument werden, selbst Missklang sich in Musik verwandeln. Man muss nur die Einstürzenden Neubauten ranlassen.

Auch wenn die ehemaligen Klang-Provokateure nach mehr als zwei Jahrzehnten Sound-Forschung zu melancholischen Songwritern gereift sind, haben ihre Konzerte nicht an suggestiver Kraft eingebüßt - wovon man sich Dienstag Abend ab 21 Uhr in der Muffathalle überzeugen kann. Gründungs-Gitarrist und Geräusche-Fachmann Alexander Hacke, 40, spricht über das neue Album und die Arbeitsweisen bei Deutschlands exporttauglichsten Avantgardisten.

SZ: Lange galten die Neubauten als die Berlin-Band schlechthin. "Perpetuum Mobile" aber ist ein klares Nicht-Berlin-Album geworden. Die Lieder handeln vom Weggehen oder von Naturgewalten, wie es sie in Berlin eben nicht gibt: Ozean, Brandung, Tornados.

Hacke: Wir waren in erster Linie eine West-Berliner Band. Diese Stadt existiert seit über zehn Jahren nicht mehr. Im Gegensatz zu den letzten Alben, auf denen das Feuer im Mittelpunkt stand, dreht sich diesmal alles um die Luft: den Wind, den Sturm, den Hauch, das Säuseln. An diesem Motiv haben wir uns nicht nur textlich orientiert, sondern auch bei der Wahl der selbst gebauten Instrumente. So spielen wir etwa mit Luftkompressoren Plastikrohre an. Wir haben quasi die Pfeifenorgel neu erfunden.

SZ: Überlegen Sie sich immer erst ein Konzept, an das Sie sich dann strikt halten?

Hacke: Nein. Oft beginnt es damit, dass jemand ein gefundenes Objekt anschleppt und wir uns überlegen, was wir damit anstellen. Oder wir improvisieren: Aus spontan entstehenden Überleitungen, die wir bei Konzerten zwischen den Songs spielen - wir nennen sie "Rampen" -, entwickeln sich neue Stücke.

SZ: Theaterregisseur Peter Zadek hat nach einem Projekt mit Ihnen geschwärmt, dass die Neubauten die disziplinierteste und penibelste Band gewesen seien, die er je erlebt habe.

Hacke: Wir sind alles andere als ein Hippie-Kollektiv! Wir arbeiten sehr hart und zielgerichtet. Der letzte Rest an Nachlässigkeiten wurde uns bei den Aufnahmen zum neuen Album ausgetrieben. Der Arbeitsprozess im Studio wurde live per Webcam an Hunderte von Fans übertragen. Da kommt man dann erst mal pünktlich, und wenn wir uns in eine falsche Richtung verrannten, wurde das sofort im Chat kommentiert.

SZ: Wie reagierte Band-Diktator Blixa Bargeld, als plötzlich die Fans bestimmten, wo es langgeht?

Hacke: So viel Einfluss hatten die Fans dann doch nicht. Es waren eben einige Augen und Ohren mehr, die Fehler bemerkten, die uns entgangen wären. Auch würde ich Blixa nicht als "Diktator" bezeichnen. Sehen Sie, ich habe keine Geschwister und mehr als die Hälfte meines Lebens in dieser "Familie" verbracht. Man muss die Stärken und Schwächen der Anderen akzeptieren lernen... Außerdem hat Mutter immer Recht, oder?

SZ: Steckt in Ihren Liedern nicht auch die Sehnsucht nach Ordnungsprinzipien, nach Herstellung von Schönheit, wo man sie nicht vermutet?

Hacke: Vor allem leisten wir Grundlagenforschung. Dafür müssten wir eigentlich längst Doktoren der Musikwissenschaft sein. Es haben andere diesen Titel schon für weitaus geringere Leistungen bekommen. Und wir arbeiten mit Guerillamethoden. Es geht uns darum, unsere Ideen möglichst effektiv umzusetzen: Wie kann ich mit minimalem Aufwand maximale Wirkung erreichen?

SZ: Und so überprüfen Sie jedes Blechrohr, das Ihnen unterkommt, auf seine Klangwirkung?

Hacke: Es ist unser Job, unsere Umwelt auf der Suche nach neuen Sounds hin abzuklopfen. Wir haben in den fast 24 Jahren Bandgeschichte eine hohe Sensibilität für Hohlräume entwickelt (lacht). Jedes Geräusch kann schön sein.

SZ: Welche Geräusche berühren Sie am meisten?

Hacke: Das Lachen von Kindern. Und der ruhige Atem eines Menschen, den man liebt.

SZ: Wenn ich Sie damit beauftragen würde, den Frühling zu vertonen: Was würden Sie tun?

Hacke: Da würde ich erst mal einen akustischen Haufen Moder schaffen: ein feuchtes, sumpfiges Etwas, das durch einen Neubeginn beiseite gedrückt werden kann. Der Frühling entsteht ja nicht aus einem Vakuum heraus. Er muss sich durch den ganzen Muff des Winters hindurchkämpfen.

SZ: Manche Kritiker mosern, dass die Kompositionen der Neubauten zu verkopft seien.

Hacke: Blödsinn! Unsere Musik ist sexy, muss immer auch den Unterleib stimulieren. Mit rein intellektuellen Konstrukten können wir nichts anfangen.

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