Intersexualität in München:Mit Bart und Busen

JJ Eichmann ist weder Mann noch Frau, JJ ist intersexuell. Bei einem Besuch in ihrer exzentrischen Bar in München erzählt sie, wie aus Joerg-Uwe Jutta-Ulrike und schließlich JJ wurde.

Anna Fischhaber

Das wasserstoffblonde Haar und die grüne, schuppige Haut bilden einen seltsamen Kontrast. Eng umschlungen tanzt die vollbusige Barbie mit dem Alien. Links fehlt der Plastikpuppe ein Bein, nur ein blutiger Stumpf ragt in die Luft. Wirtin JJ Eichmann nennt das politische Kunst. "Wegen der Minenopfer."

JJ Eichmann

Mit ihrer Bar, dem

Muffins'n'More

, hat sich JJ Eichmann ihre Welt geschaffen.

(Foto: Foto: af)

Manche Passanten sehen das anders. "Das sind Monster", sagt eine Frau und zieht ihre Tochter am Schaufenster der kleinen Bar hinter dem Rotkreuzplatz vorbei. JJ macht das wütend. In ihrem Muffins'n'More gibt es keine Monster, sagt sie. "Sonst wäre ich ja selbst eins. Aber nur weil einer anders aussieht, ist er doch noch kein Monster."

Ihre Stimme ist tief, der Schädel kantig. "Maskulin", erklärt sie. Genau wie die großen Hände. JJ trägt einen grauen Bart, der wild in alle Richtungen wuchert. Die langen Haare hat sie unter einem schwarzen Hut versteckt. Durch den weiten, roten Faserpelz zeichnen sich die Rundungen ihres Busens kaum ab.

JJ sieht aus wie ein Mann und ist eine Frau. Rechtlich gesehen. Ihr Chromosomensatz ist männlich. Zumindest überwiegend. JJ ist intersexuell, ein Hermaphrodit. Sie hat weibliche und männliche Geschlechtsmerkmale im Unterleib. Das beweist das Röntgenbild, das der Arzt ihr gegeben hat.

Dass sie anders ist, fühlt JJ schon als Kind. Als sie noch Joerg-Uwe heißt. Als der strenge Vater, ein Spross des Juden-Mörders Adolf Eichmann, dem Sohn verbietet, mit den Brüdern zu spielen. Als der Ekel hochkommt, wenn sie Jungenunterwäsche tragen oder eine öffentliche Herrentoilette benutzen muss. Als die Mitschüler über ihre geschwollenen Brüste lachen. Als die Mutter und der Arzt ihr einreden, das "Geschwür" müsse weg.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Mediziner bei ihrer Identität nachhelfen. Aber das weiß Joerg-Uwe damals noch nicht. Er ist 17, fast erwachsen, und versteht nicht, was mit ihm los ist. Heute hat JJ Gewissheit. "Ich bin weder Mann noch Frau", sagt JJ. "Ich bin ein Zwitter." Doch um das herauszufinden, hat sie mehr als 50 Jahre gebraucht.

Intersexualität ist selbst in Deutschland eine medizinische Tatsache, die weitgehend totgeschwiegen wird. Selten wird das Thema öffentlich diskutiert, so wie kürzlich im Fall der Leichtathletin Caster Semenya. Dabei leben allein in Deutschland bis zu 100.000 Menschen mit uneindeutigem Geschlecht. So viele, dass vermutlich jeder, ohne es zu wissen, schon einmal einem begegnet ist. Wie viele es genau gibt, lässt sich nur schätzen. Das liegt vor allem daran, dass Intersexualität für eine Vielzahl von Diagnosen steht. Für Frauen ohne Gebärmutter, mit Penis. Für Männer mit Brüsten, ohne Bart. Zum Beispiel.

Viele Betroffene wissen gar nicht, was mit ihnen los ist. Immer wieder wird unmündigen Babys per Skalpell eine eindeutige sexuelle Identität zugeordnet. Doch manchmal bleibt das Gefühl, im falschen Körper eingesperrt zu sein - so wie bei JJ.

35 Jahre lang führt sie als Joerg-Uwe in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Ennepetal ein mehr oder minder glückliches Doppelleben. Mit Ehefrau, Tochter und Mitgliedsausweis für den Schäferhundverein. Das zweite Leben existiert nur im Keller. Gut versteckt, mit Schlössern gesichert. Joerg-Uwes zweites Leben besteht aus einem Holzverschlag mit Perücken und Pumps, mit Strapsen und Schminke.

Und aus einem heimlichen Freund, mit dem er sich nachts in Schwulenbars trifft. Schwul fühlt er sich bis heute nicht, doch das ist schwer zu erklären. "Ich stehe auf Frauen. Nur mit anderen Gefühlen. Von Frau zu Frau. Aber weiche Knie bekomme ich, wenn ich einen Schwarzenegger sehe."

Vielleicht wäre das brave, bürgerliche Leben ewig so weitergegangen, wenn Joerg-Uwe nicht eines Tages im Fernsehen Simone von Budzyn gesehen hätte. Simone ist Ende der achtziger Jahre gerade mit dem männlichen Ruderkader Zweiter der deutschen Meisterschaften gewonnen und auch sonst ein Mordskerl. Und plötzlich sitzt der bei Günther Jauch in Na siehste!, hält die langen Haare und den neuen Busen stolz in die Kamera und erklärt, er sei nun eine Frau. "Das war, als würde ich selbst da sitzen. Plötzlich wusste ich: Das will ich auch. Das mache ich auch."

"Ich werde ein richtiges Vollblutweib"

Die Talkshow ist das Ende von Joerg-Uwes Ehe. Das Ende seines bisherigen Lebens. Wäre er wenigstens schwul, sagen seine Brüder. Das hätten sie verstanden. Aber das? Der Kontakt bricht ab und aus Joerg-Uwe aus Ennepetal wird Jutta-Ulrike aus München.

"Natürlich ging das nicht von heute auf morgen. Meine Welt ist erst einmal zusammengebrochen", sagt JJ. Immer wieder unterbricht sie sich, steht auf, läuft hinter die Bar, auf der ihre alten Pumps thronen, und setzt sich wieder auf den Holzhocker am Schaufenster und schlägt die langen Beine übereinander.

Es fällt ihr schwer über die Zeit zu sprechen, in der sie drei Mal versucht, sich umzubringen, in der sie darüber nachdenkt, sich selbst zu verstümmeln, ihre Männlichkeit einfach abzuschneiden. "Dieses Mann- und Frausein, diesen Wechsel, das kann sich niemand vorstellen. Eigentlich ist das kein Wechsel. Eher ein Bewusstsein. Ein Bewusstwerden mit Katastrophen und Exzessen."

"Ich habe keinen Bezug mehr zu diesem Mann"

Dann sucht sie ihre alten Fotos heraus. Man sieht sie mit Schnauzer, im Anzug, beim Bodybuilding. Auf vielen schaut sie auf den Boden, als wolle sie so nicht fotografiert werden. Der vergebliche Versuch wieder ein Mann zu sein, nennt JJ diese Phase. "Heute fühlt es sich so an, als ob das jemand anders wäre. Ich habe keinen Bezug mehr zu diesem Mann."

Auf späteren Aufnahmen sind die Haare länger und leuchten rot. Sie ist jetzt eine Frau. Sie trägt Mini und goldene Netzstrümpfe. Die Schuhe sind hoch, die Beine schlank. Frauenbeine. Modelbeine. JJ hält sich nun für eine normale Transsexuelle, sie ist in speziellen Münchner Klubs unterwegs, tritt in Talkshows auf, gründet eine Selbsthilfegruppe - ohne zu wissen, dass sie nicht transsexuell ist. Dass ihr Problem angeboren ist.

JJ weiß nur, dass sie kein Mann mehr sein will. "Ich habe mich entschieden, ich werde eine Frau, ein richtiges Vollblutweib", notiert sie in ihrem Tagebuch. Zwei Jahre lang trägt JJ nur noch Frauenklamotten, sogar die Fräsmaschine in der Fabrik bedient sie in schwarzen Lackpumps. Bis es auch in ihrem Ausweis amtlich ist.

Den Busen, den sie mit 17 verloren hat, lässt sie wieder machen. "Ich hatte immer das Gefühl, mir fehlt etwas", erzählt JJ. "Wie ein Finger, der nicht mehr da ist. Selbst wenn du nicht hinguckst, weißt du, da müsste etwas sein." Die vollständige Geschlechtsumwandlung wird nicht genehmigt - sie ist wieder verliebt, wieder in eine Frau. Plötzlich ist der Mann wieder da.

Bis heute gibt es Tage, da fühlt sie sich als Mann, da ist sie so grob, dass ihre Kollegin sie zurückpfeifen muss. Vielleicht deshalb halten auch viele Gäste sie für einen Wirt. "Herr Eichmann", sagen die, die es nicht besser wissen. JJ sieht sich nicht als Mann, eher als Schauspieler. "Ich habe gelernt, mich zu verbiegen, ich spiele einfach den Mann."

Die Eltern wollen sich nicht erinnern

Lange hat sie als Bankdirektor in einer Westernstadt in Poing gearbeitet. Den Hut von damals trägt sie immer noch, obwohl sie längst ihr eigener Chef ist. Mitten im hübschen Neuhausen, zwischen Kaufhof und Bioläden, hat sie sich ihre Welt geschaffen.

Diese Welt hat nur zehn Quadratmeter, nackte Frauen und athletische Männerkörper zieren die Wände, auf den rosa angemalten Tischen sitzen Plüschbären mit eindeutigem Geschlecht. "Begegnungsstätte" nennt JJ ihr Muffins'n'More. Mancher Gast fühlt sich von der überbordenden Sexualität hier erdrückt. Aber vielleicht kommt man als Mensch zwischen den Geschlechtern eben nie an, vielleicht bleibt die eigene Sexualität immer ein Rätsel.

JJ versucht dieses Rätsel zu lösen, indem sie es öffentlich macht. Indem sie seltsame Schnäpse ausschenkt, die "Ficken", "Kleiner Flutscher", "Morgen Latte" oder auch "Männer sind Schweine" heißen, und erotische Fotos von sich selbst ausstellt.

Die Diagnose ist eine andere

Die Bar wird mehr und mehr ihr Leben. Das Geschlecht steht hier im Mittelpunkt, in ihrem eigenem Leben rückt es in den Hintergrund. Sie lässt sich die Haare wachsen und den Bart, bald nennen sie alle nur noch JJ, das ist geschlechtsneutral. Erst als die Hitzewallungen und das Bauchweh nicht mehr weggehen, wird sie unruhig. Sie denkt wieder an das angebliche Geschwür, doch die Diagnose ist eine andere. JJ ist in den Wechseljahren.

Sie ist über 50 und zum ersten Mal macht sich ein Arzt die Mühe, in ihren Bauch zu schauen. Er findet verkümmerte Eierstöcke und eine Scheide, die nach außen verschlossen ist. Der Kinderarzt hat bei ihrer männlichen Identität nachgeholfen. Mehr lässt sich nicht mehr feststellen. Der Arzt ist längst tot, die Eltern wollen sich nicht erinnern.

Zuerst wird JJ wütend, heute ist sie zufriedener. Viele Gefühle erklären sich jetzt. Sie muss nicht mehr Mann oder Frau sein. Sich für etwas entscheiden, das sie nicht ist. "Ich fühle mich wohler", sagt sie. "Wohler, aber auch einsamer in dieser Männer- und Frauenwelt."

In den ersten Wochen redet JJ von nichts anderem. Sogar ihrer Exfrau schickt sie die Röntgenbilder. Heute sagt die Wirtin wieder öfter, sie sei transsexuell, wenn ein Gast genauer hinschaut. Nicht weil sie sich schämt. "Übers Schämen bin ich längst hinaus", sagt JJ. Aber Zwitter, das klingt so unanständig, so fremd. Bei Zwitter kommen immer die Fragen. "Aber wie kann ich erklären, wie ich mich fühle. Wer kann das schon verstehen?"

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