Internetportal für Mathe-Nachhilfe:Freie Bildung für alle

Sie waren immer eher schlecht in Mathe, jetzt haben Münchner Studenten ein kostenloses Internet-Lernportal aufgebaut, das ähnlich wie Wikipedia funktionieren soll - nur eben für Rechenaufgaben. Und nebenbei wollen sie damit auch noch Gutes tun.

Laura Bohlmann

Drei Wochen hat Simon Köhl mit buddhistischen Mönchen in Nepal gelebt. In deren Klosterschule im Himalaya gab es kaum Bücher, Hefte oder Stifte - nur drei alte Computer und eine Internetverbindung, die irgendwann mal irgendjemand aus dem Westen gespendet hatte. "So kam mir die Idee für Serlo", erzählt Köhl, der inzwischen Politik und Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) studiert.

Internetportal für Mathe-Nachhilfe: Simon Köhl (links) und Aenas Rekkas haben ein Mathe-Portal aufgebaut - Sabine Kamrath hilft den beiden als Pressesprecherin.

Simon Köhl (links) und Aenas Rekkas haben ein Mathe-Portal aufgebaut - Sabine Kamrath hilft den beiden als Pressesprecherin.

(Foto: Robert Haas)

"Serlo" ist ein Mathe-Lernportal, das ähnlich wie Wikipedia funktionieren soll - nur eben für Rechenaufgaben (www.serlo.org).

Simon Köhl, 23, und Aeneas Rekkas, 22, waren nie gut in Mathe. Trotzdem oder gerade deswegen haben die beiden vor vier Jahre beschlossen, eine Internetseite zu bauen, die die Welt der Zahlen leicht verständlich erklärt und für alle zugänglich ist. Aeneas Rekkas, der an der LMU Informatik studiert, war von Beginn an als Programmierer dabei.

Jetzt ist ihr Portal so weit fertig, dass sie anfangen, in Schulen für ihre virtuelle Nachhilfe zu werben. Mit kleinen Erfolgen: 300 Nutzer besuchen täglich ihre Seite. Unterstützt werden sie von der Studentenvertretung der LMU und Harald Lesch, Physik-Professor und bekannt als Fernsehmoderator beim ZDF.

"Ich hätte als Student selbst gerne so ein Portal gehabt, an dem ich meine Aufgaben machen kann und für das ich nichts bezahlen muss", sagt Lesch. Er lobt das Engagement der beiden Studenten. "Das sind gute Leute, die was von Studenten für Studenten machen."

"Der Grundgedanke heißt: freie Bildung für alle", sagt Koehl. Ihn stört, dass oft nur Schüler mit reichen Eltern teure Nachhilfelehrer bezahlen oder in kostenpflichtigen Internetportalen wie "Bettermarks" oder "Mathementor" lernen können. "Es gibt kaum Alternativen zum Mathebuch, die einem als Schüler etwas nutzen." Wenn er das sagt, schaut er ernst drein. Er spricht leise und wählt seine Worte ganz genau.

Und Köhl spricht aus Erfahrung, als Schüler habe er zwar versucht, im Unterricht zu folgen. Weil ihm aber oft das Grundverständnis fehlte, wusste er nicht, wie er seine Hausaufgaben machen oder Lücken schließen könnte. "Wikipedia-Artikel nützten mir nichts, weil die viel zu allgemein oder kompliziert geschrieben waren. Bei Aufgabenportalen wusste ich gar nicht, ob die Fragestellung überhaupt für mich geeignet ist." Sein eigener Schulfrust hat dazu beigetragen, dass er jetzt Serlo in die Tat umsetzt.

Serlo - so heißt das buddhistische Kloster in Nepal. Jetzt steht der Name für die digitale Umsetzung eines Ideals. Das Internetportal bietet sowohl Artikel über mathematische Phänomene, als auch Aufgaben und Grafiken für jede Unterrichtsform. Ein Leitsystem fragt den Nutzer, in welchem Bundesland er lebt, welche Schulform er besucht und in welcher Klasse er ist.

Erst dann gelangt er zu einer Übersicht der Themen und den Aufgaben. "Wir wollen so sichergehen, dass der Schüler auch die richtige Aufgabe macht", erklärt Köhl.

Aeneas Rekkas möchte eine übersichtliche Seite mit ansprechendem Design schaffen. "Irgendwann wollen wir die Inhalte in verschiedenen Sprachen anbieten können", erzählt er. Ihm ist wichtig, dass der Nutzer seinen gesuchten Begriff schnell findet. Rekkas erklärt das Wikipedia-Konzept des Matheportals: "Es gibt bisher kein Angebot, bei dem alle Themen vereint sind. Das kann nur eine große aktive Nutzergemeinde stemmen."

Damit auch die Kinder in Nepal profitieren

Das Portal der Studenten unterscheidet sich von anderen Lernportalen nicht nur, weil es kostenlos genutzt werden kann. Das Hauptproblem sei, sagt Rekkas, dass dem Schüler bei den meisten Portalen nur Lösungen genannt würden, keine Erklärungen. "Bei uns wird neben der Lösung ein Link angezeigt, der erklärt, warum das Ergebnis falsch oder richtig ist."

Ein Gymnasiast in der sechsten Klasse, der Prozentrechnen üben möchte, bekommt zum Beispiel folgende Aufgabe gestellt: Auf einem Plakat steht, dass ein Produkt um 25 Prozent im Preis gesenkt wurde und statt 100 Euro nur noch 80 kosten soll. Der Schüler soll Stellung nehmen und findet - wenn er richtig rechnet - heraus, dass das Plakat falsch ist und das Produkt eigentlich 75 Euro kosten müsste. Wenn er auf die Lösung klickt, erscheint neben der Formel für den Rechenweg eine Verlinkung zum Artikel, der den Dreisatz erklärt.

Dass Schüler das Warum in der Welt der Zahlen und Formeln verstehen, ist auch ein Hauptanliegen von Peter Baptist. Er ist Professor für Didaktik der Mathematik an der Universität Bayreuth und findet die Idee von Serlo gut. Aber er wünscht sich mehr Visualität. "Die Seite ist noch sehr statisch aufgebaut, es fehlen interaktive, dynamische Elemente, bei denen der Schüler ein mathematisches Phänomen sieht und so versteht", sagt Baptist.

Zum Beispiel könne eines dieser Elemente ein Dreieck sein, an dessen Enden man ziehen kann, um die Form zu verändern und geometrische Verhältnisse zu verstehen. "Schüler sollten lernen, wozu man Mathematik braucht. Eine Website bietet unendlich viele wunderbare Möglichkeiten, das darzustellen", erklärt er.

Simon Köhl und Aeneas Rekkas wissen, dass ihr Lernportal noch verbessert werden kann. "Wir haben erst mal ein Grundgerüst geschaffen, wollen aber auch noch interaktive Elemente einbauen", sagt Köhl. Im Moment versuchen Köhl und Rekkas ihr Projekt zu professionalisieren. Sie haben einen gemeinnützigen Verein gegründet, zwei bis drei Mal die Woche finden sich Programmierer, Lehrer und die Macher zusammen und arbeiten weiter an ihrer Seite.

Seit zwei Wochen hat Serlo sogar eine Pressesprecherin: Sabine Kamrath studiert an der LMU Kommunikationswissenschaften. Sie soll auch bei der Sponsorensuche helfen. Denn obwohl die Website jedem frei zur Verfügung steht, verursacht sie Kosten: Weil die Inhalte richtig sein sollen, bauen die Macher von Serlo eine Redaktion auf. "Leider ist das so aufwendig, dass das kaum einer umsonst macht", sagt Simon Köhl.

Selbst Geld verdienen wolle er mit seinem Portal nicht, sagt Köhl. Ihm gehe es wirklich nur um freie Bildung. Langfristig soll es Serlo auch englischsprachig geben - damit auch die Kinder in Nepal davon profitieren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: