Integration:Schritt für Schritt heimisch werden

Pullach, Burg Schwaneck, Unterkunft für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge

Entwurzelt und heimatlos: junge Flüchtlinge in Pullach. Damit sie Fuß fassen, hat das Landratsamt einen Integrationsfahrplan entwickelt.

(Foto: Angelika Bardehle)

Mit einem deutschlandweit einmaligen Integrationsfahrplan will der Landkreis München Flüchtlinge in Arbeit und gesellschaftliches Leben eingliedern. Davon sollen nicht nur die Schutzsuchenden profitieren, sondern auch die hiesige Bevölkerung und Wirtschaft

Von Stefan Galler

Annähernd 4000 Flüchtlinge leben im Landkreis München. Damit deren Integration gelingt, hat das Landratsamt einen Fahrplan erarbeitet - vor allen anderen Landkreisen und Städten in Deutschland. Auf 14 Seiten ist dargestellt, welche Maßnahmen erforderlich sind, um Asylbewerber nach ihrer Erstunterbringung in einem zweiten Schritt in die Gesellschaft einzugliedern. Insgesamt 69 Integrationsziele, aufgegliedert in fünf Säulen, enthält der Fahrplan, den Landrat Christoph Göbel (CSU) jetzt den Kreisräten vorstellte.

Er wolle nicht als "Besserwisser oder großer Zampano" dastehen, sagt Göbel. Aber: "Wir sind nun einmal das größte Landratsamt Bayerns. Wenn irgendwo etwas erfunden wird, haben wir meistens auch schon darüber geredet." Ausgearbeitet hat den Integrationsfahrplan im Landratsamt insbesondere der Geschäftsbereich "Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen" um Lisa Graf. "Das Team ist einfach spitze", lobte der Landrat im Kreisausschuss seine Mitarbeiter.

Die vordringlichsten Themen des Fahrplans sind "Unterbringung und Wohnen" (Säule 1) sowie "Spracherwerb und Bildung" (Säule 2). Die weiteren Säulen sind "Werte, Teilhabe, Gesundheit", Beschäftigung und Öffentlichkeit. Die Maßnahmen sollen innerhalb von zwei bis zweieinhalb Jahren umgesetzt werden. Sie betreffen einerseits Asylbewerber, über deren Zukunft noch nicht entschieden ist, aber auch jene, die bereits anerkannt sind. Soweit rechtlich zulässig, sollen auch Flüchtlinge, deren Bleibeperspektive gering ist, im Integrationsfahrplan erfasst werden.

Dass sich das Landratsamt so detailliert mit der Integration der Flüchtlinge beschäftigt, hat finanzielle Gründe: Die Asylsozialbetreuung wird vom Staat bezahlt. Aber eben nur so lange, wie die Migranten im Verfahren sind. Weil Wohlfahrtsverbände und Helferkreise bisher ebenfalls nur für Bewerber im Verfahren zuständig gewesen sind, die eigentliche Arbeit laut Göbel aber "erst nach dem Bescheid" beginnt, besteht nach Ansicht des Landratsamts dringender Handlungsbedarf, die Integration insgesamt zu institutionalisieren.

Das fängt schon bei der Arbeit der Unterstützer an. Mehr als 5000 Landkreisbürger sind laut Landrat in Helferkreisen engagiert. "Das ist grundsätzlich toll, aber wir müssen die Helfer stärken", sagt Göbel. So ist in dem Fahrplan vorgesehen, die Erfahrungen der Ehrenamtlichen einzubinden und diese mit Fortbildungen und Supervisionen zu unterstützen. Für Karl Stocker, den Leiter des Asylhelferkreises Putzbrunn-Ottobrunn, eine wichtige Maßnahme. "Natürlich begrüßen wir das." Wichtig ist ihm, dass der Informationsfluss zwischen Landkreis und Helfern aufrechterhalten bleibt: "Da müssen wir in der Praxis noch enger miteinander arbeiten."

Stocker spricht einen Punkt an, der die Arbeit der Helferkreise erschwert: "Es gibt natürlich auch Flüchtlinge, die sich allen Hilfsangeboten verweigern, nicht zum Sprachkurs gehen und auch keine Ausbildung machen wollen, weil die staatlichen Hilfen sogar höher sind als die Ausbildungsentschädigung." Der Landrat weiß um das Problem. Eine Lösung sei auf dem Weg. "Wir werden eine Regelung treffen, wonach die Ausbildung für Flüchtlinge höher dotiert ist als die finanzielle Unterstützung für Erwerbslose", kündigt Göbel an. "Und wenn es nur zehn Euro sind."

Beschäftigung ist laut Göbel überaus wichtig, gerade auch für Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive, die noch nicht abgeschoben sind. "Sie dürfen nicht arbeiten, hängen völlig frustriert herum." Das seien momentan zwar nur Einzelfälle, doch dabei werde es nicht bleiben. Durch den neuen Fahrplan könnten sich diese Menschen auf ihre Rückkehr in die Heimat vorbereiten - etwa durch Weiterbildung oder den Erwerb eines Führerscheins.

Wichtige Punkte im Bereich des Zusammenlebens von Migranten und einheimischer Bevölkerung, aber auch von Flüchtlingen untereinander, werden in Säule 3 ("Werte/Teilhabe/Gesundheit") des Integrationsfahrplans geregelt. Das beginnt mit der Sicherheit in den Unterkünften, in denen bald abgelehnte und zum Nichtstun verurteilte Asylbewerber neben solchen leben, die in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen stehen. "Das soziale Gefälle wird zunehmen", warnt der Landrat. "Das kann noch lustig werden."

Um Straftaten zu verhindern, hält Göbel an Sicherheitsdiensten in den Unterkünften fest. Die Praxis habe in der Vergangenheit erfolgreich Übergriffe verhindert. Man habe immer an die Regierung von Oberbayern appelliert, das in ihren Einrichtungen wie in Höhenkirchen-Siegertsbrunn genauso zu handhaben. "Jetzt machen sie es endlich", so der Landrat. Vorangegangen war die Vergewaltigung einer 16-Jährigen durch afghanische Flüchtlinge in der Gemeinde. Allerdings schränkt Göbel ein: "Ich will damit nicht sagen, dass dieser Vorfall durch einen Sicherheitsdienst zu verhindern gewesen wäre."

Die Integrationsmaßnahmen sind natürlich nicht kostenlos. Einerseits werden sie von Bund und Freistaat gefördert, andererseits vom Landkreis selbst finanziert. Hinzu kommt Unterstützung von Firmen, vom global agierenden Konzern bis zum mittelständischen Betrieb. "Ich bin da sehr stolz auf unsere Gesellschaft", sagt Göbel und verweist auf eine Gruppe älterer Unternehmer, die unentgeltlich Kompetenzanalysen für Flüchtlinge erstellen, um deren berufliche Fähigkeiten herauszufinden.

Der Landrat ist zuversichtlich, irgendwann die Ernte einzufahren für die Integrationsarbeit: "Ich bin nicht so naiv, dass ich glaube, dass uns die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge unser Fachkräfteproblem lösen. Aber die Möglichkeit, bei uns eine freie Welt mit Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit kennenzulernen, kann sogar wirtschaftliche Chancen bergen."

Göbel denkt an eine künftige enge Zusammenarbeit Deutschlands mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge. "Damaskus ist die älteste Stadt der Welt, dort wird es eines Tages wieder eine florierende Wirtschaft und akademische Gründungen geben. Vielleicht können wir irgendwann davon profitieren." Als Beispiel führt Göbel den Kosovo an: "Damals hat sich Deutschland massiv um Rückkehrhilfen gekümmert. Jetzt sind wir der wichtigste Wirtschaftspartner des Landes."

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