Integration:Offene Türen

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Hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen: Ulrike Endres-Hoppe ist für ihre Integrationsarbeit ausgezeichnet worden. (Foto: oh)

Ulrike Endres-Hoppe unterrichtet am Gymnasium in Markt Schwaben. Für ihr Engagement und die Integration ausländischer Kinder ist sie mit dem Ellen-Ammann-Preis ausgezeichnet worden.

Von Alexandra Leuthner, Markt Schwaben

Da war damals diese Sache mit der bosnisch-kroatischen Familie, die im Haus ihrer Eltern Unterschlupf fand, noch vor dem Jugoslawienkrieg. "Sie wussten nicht, wohin. Da hat mein Vater gesagt, kommt doch mit zu uns", erzählt Ulrike Endres-Hoppe. In dem Zweieinhalbtausend-Seelenort, aus dem sie stammt, auf dem flachen Land östlich von Ingolstadt gelegen, "da wo es immer niederbayerisch neblig ist", hatte es so etwas noch nicht gegeben. "Das hat mich als junger Mensch geprägt", sagt die heute 48-Jährige, die nach dem Studium in München - auch der Liebe wegen - hängen blieb. "Jemandem zu geben, was er braucht, ohne ihn ändern zu wollen, selbst wenn man ihn nicht mag."

Ihr Vater, Sozialdemokrat und Atheist, hatte der Tochter vorgemacht, was sie selbst, Jahrzehnte später, als überzeugte Katholikin und Religionslehrerin in Markt Schwaben umzusetzen begann. Für ihr Engagement in und um das Franz-Marc-Gymnasium zur Verständigung der Kulturen und für eine Chancengleichheit ausländischer Kinder wurde Endres-Hoppe vom Bayerischen Landesverband des Katholischen Frauenbunds in München nun mit dem Ellen-Ammann-Preis geehrt. Die Auszeichnung wurde nach 2013 zum zweiten Mal verliehen. Der Preis geht an Frauen, die, so ist es in den Kriterien beschrieben, "mit ihren Ideen, Projekten und Initiativen Grenzen überschreiten, neue Wege gehen und kreative Lösungen entwickeln - in Verantwortung für eine menschenwürdige Gesellschaft". Die Namensgeberin, eine gebürtige Schwedin, gründete den Frauenbund in Bayern 1911. Die sechsfache Mutter war eine der ersten Frauen im Bayerischen Landtag. Sie gehörte zu jenen, die sich 1923 gegen den Hitlerputsch stellten.

70 Schüler kümmern sich bei dem Projekt um Grundschüler in Lese-Patenschaften und lernen gemeinsam mit Mittelschülern. (Foto: privat)

Ulrike Endres-Hoppes Zugang zur Politik und zum politischen Handeln ist immer eher praktisch orientiert gewesen als intellektuell. "Als vor zehn Jahren die ersten Migrantenkinder bei uns im Gymnasium gelandet sind, hatte ich das Gefühl, etwas tun zu müssen." Solche Schüler seien ja ohne jede Fördermaßnahme gewesen, Kontakte aus dem "Elfenbeinturm Gymnasium" zur muslimischen Gemeinde habe es keine - auch zu den Pfarrgemeinden kaum gegeben. Also legte Endres-Hoppe los. Acht Mädchen aus der zehnten Klasse waren die ersten, mit denen sie die Arbeitsgemeinschaft "Offenes Haus" aufbaute. Die gleichnamige Markt Schwabener Elterninitiative, entstanden aus einer Hausaufgabenbetreuung für ausländische Kinder, engagiert sich für die Integration von Migrantenfamilien in Markt Schwaben.

Aus der AG, die Endres-Hoppe ins Leben gerufen hatte, ist mit der Einführung des G 8 eine bleibende Einrichtung geworden. Als P-Seminar und Profilwahlfach ist das Angebot am Gymnasium institutionalisiert, drei Lehrkräfte sind eingebunden, 70 Schüler kümmern sich um Grundschüler in Lese-Patenschaften und lernen gemeinsam mit Mittelschülern. Ausländische Gymnasiasten kommen in den Genuss von Sprachpatenschaften. Neben der praktischen Auseinandersetzung mit ausländischen Kindern bekommen die Schüler aus der Oberstufe die politischen Hintergründe im Unterricht vermittelt, das Wissen über die Herkunftsländer wird in Klausuren geprüft - das gefällt Endres-Hoppe. "Ich mag Projekte nicht, bei denen man sich nur als Gutmensch fühlen kann. Das Gefühl kann beim Theorieunterricht nicht aufkommen", sagt sie und lächelt. Zugleich aber bekomme der politische Unterricht für die Schüler einen anderen Stellenwert, wenn sie vorher mit einem Kind etwa aus Afghanistan in einem Buch gelesen haben. "Der Lesepatentag ist mein Lieblingstag. Es ist meine größte Freude, wenn ich ihnen zuschaue und ich als Lehrerin überflüssig geworden bin."

Diese kleinen Momente, die funktionieren, motivieren Ulrike Endres-Hoppe , sie hat es deshalb nicht bei den P-Seminaren belassen. Sie hat einen interreligiösen Dialog angestoßen, beide Kirchengemeinden sind eingebunden. Durch ihre guten Kontakte zu Bettina Ismair und dem Offenen Haus konnte sie Gesprächsrunden für Schüler und Muslime organisieren. Mit Begeisterung erzählt sie, wie eine Muslima mit ihrem eigenen Tee und Kopftuch bei ihr im Unterricht saß. "Mit größter Selbstverständlichkeit hat sie über ihren Glauben geredet und Fragen beantwortet." Bis hin zu der Frage der Schüler, ob sie, wenn sie in einem Flugzeug sitze, immer wisse, wie sie ihren Gebetsteppich ausrichten müsse. Zur festen Einrichtung im Religionsunterricht am Franz-Marc-Gymnasium gehören jetzt auch ein Islamtag, inklusive eines Besuchs der Moschee für Schüler der siebten Klassen.

Im Theorieunterricht erfahren die Lesepaten mehr über die Herkunftsländer der betreuten Kinder. (Foto: privat)

Das absolute Highlight für Endres-Hoppe: Ein interreligiöser Sommerspaziergang, der die christlichen Kirchen in Markt Schwaben und die Moschee als Stationen einschloss, mit Leseblöcken an jeder Kirche und einem Gesang des Markt Schwabener Imams zum Schluss. "Haben Sie ihm schon mal zugehört? Er berührt einen." Als Religionslehrerin kenne sie durchaus Zeiten, in denen sie eher distanziert zum eigenen Glauben stehe. Aus diesen Begegnungen aber, auch aus den Gesprächen mit islamischen Frauen, gehe sie "mit einem ungeheuren Glücksgefühl. "In Fragen der Schöpfung sind wir uns ja so was von nahe, nur die Rituale unterscheiden sich." Nun wollen Endres-Hoppe und Ismair eine interkulturelle Gesprächsrunde für Frauen ins Leben rufen - eine Ergänzung zu internationalen Kochabenden, die längst regelmäßig stattfinden. Aber das müsse noch warten. "Meine Familie dankt mir das alles ja nicht immer", sagt die Mutter zweier Kinder. Sie habe gelernt, auch mal nein zu sagen.

Die Kinder jener kroatisch-bosnischen Familie bei Endres-Hoppe zu Hause waren der kleinen Ulrike damals zu Ersatzgeschwistern geworden, und ihre Eltern nahmen sie schließlich sogar in die eigene Wohnung auf, obwohl sie mit den "kroatischen Macho-Allüren" des Vaters nie einverstanden waren. "Aber ich weiß, dass ich eine Tür aufmachen muss, um den anderen kennenzulernen", sagt die Preisträgerin. "Frieden schaffe ich so vielleicht keinen, aber von den 70 Schülern, die im Offenen Haus waren, werden hoffentlich niemals ausländerfeindlichen Sätze zu hören sein."

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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