Innenansicht:Zuprosten statt zuhören

Lesezeit: 1 min

Die Verlosung von Wiesn-Tickets kommt besser an als die Sprechstunde des Oberbürgermeisters

Von Andreas Glas

Der Oberbürgermeister hat neulich wieder seine Bürgersprechstunde abgehalten. Dort läuft es ein bisschen so ab wie zu Weihnachten in amerikanischen Shopping-Malls, wenn ein Kind nach dem anderen auf Santa Claus' Schoß klettert und ihm seine Wünsche diktiert. Halt mit dem Unterschied, dass da im Rathaus nicht Santa Claus sitzt, sondern Dieter Reiter, dass jeder seinen eigenen Stuhl hat, und dass auf den Wunschzetteln keine iPhones und Skateboards stehen, sondern Radwege und Wohnungen, die man sich auch leisten kann. Bürgernähe sei ihm eben ein wichtiges Anliegen, sagt Dieter Reiter, und die Sprechstunde ist seine Strategie, den Bürgern zumindest das Gefühl von Nähe und Geborgenheit zu geben.

Reiters Stellvertreter, Josef Schmid, hat da eine andere Strategie. Schmid praktiziert Bürgernähe neuerdings so, dass er ein paar Münchner zum Wiesnanstich in die Ratsboxe ins Schottenhamel-Zelt einlädt. Wie großzügig: Der kleine Mann darf jetzt dorthin, wo bisher nur die großkopferte Politprominenz hin durfte, Freibier inklusive. Der eine, Reiter, setzt also aufs Zuhören, der andere, Schmid, aufs Zuprosten. Da stellt sich natürlich die Frage: Welche Form der Bürgernähe kommt bei den Münchnern besser an?

Zum Glück kann man das leicht messen. Eines haben Reiter und Schmid nämlich gemeinsam, wenn es um Bürgernähe geht: Sowohl der OB als auch der Zweite Bürgermeister setzen auf das Zufallsprinzip, auf eine Art Lotterie. 40 Münchner dürfen zur Sprechstunde ins Rathaus kommen, immerhin 20 zum Anstoßen ins Wiesnzelt, für beides muss man sich bewerben. Haben sich mehr Bürger beworben als es Plätze gibt, entscheidet das Los, wer Reiter und Schmid nahe kommen darf - und wer nicht. Wer also wissen will, was die Bürger eher anlockt, muss nur die Bewerberzahlen nebeneinander legen.

Das Ergebnis ist ein ziemlich klarer Punktsieg für den Zweiten Bürgermeister: In Dieter Reiters Sprechstunde wollten 230 Leute kommen, für Schmids Wiesntische beim Anzapfen aber haben sich satte 7000 München beworben. Irgendwie hätte man sich das ja auch denken können: Am nächsten sind sich Politik und Bürger immer noch dort, wo es Freibier gibt.

© SZ vom 15.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: