Innenansicht:Reich durch Glühwein

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Statt sich Jahr für Jahr Hingerfichten schenken und die Spender dafür Glühwein verkaufen zu lassen, sollte München selbst eine Tanne aufstellen - und selbst zur Gewinnmaximierung auf dem Christkindlmarkt beitragen

Von Andreas Schubert

Kaum hatte sich die Meldung gesetzt, dass in Münchens Haushalt ein Loch klafft und die Stadt sparen muss, haben sie am Marienplatz den Christbaum aufgestellt. Und die Fichte aus Ruhpolding, die traurig ihre schütteren Zweiglein nach unten hängen lässt, kam genau zur richtigen Zeit. Was hätten die Leute wohl gesagt, wenn vor dem Rathaus eine protzige Prachttanne stehen würde und die Stadt gleichzeitig einen Sparkurs ankündigt? Der jetzige Baum lässt sich dagegen wunderbar als Geste deuten: Schaut her, Leute - die fetten Jahre sind vorbei, da braucht's kein Luxusgewächs.

Da kann man die Tatsache ruhig unter den Gabentisch fallen lassen, dass die Stadt ihre Christbäume schon seit Jahrzehnten in anderen Kommunen schnorrt und diese im Gegenzug Glühwein im Rathausinnenhof ausschenken dürfen. Mit dem Ausschank dürfte eine hübsche Stange Geld zu verdienen sein, weshalb man sich schon fragt, warum die Stadt nicht selbst irgendwo einen Baum auftreibt und ins Glühweinbusiness einsteigt. So teuer kann eine Trauerfichte wie die jetzige gar nicht sein. Und der Plempel, mit dem man den heißen Süßpapp anrührt, geht kanisterweise billig her. Die Gewinnspanne bei vier Euro Verkaufspreis pro Nullzwo-Glasl dürfte Kämmerer Ernst Wolowicz Freudentränen in die Augen treiben.

Überhaupt wäre Gastronomie ein Geschäftsmodell, das sich auf das ganze Jahr ausweiten ließe. Warum nicht auf Frühlings- und Oktoberfest selber Bier verkaufen? Warum nicht im Sommer das Grillen am Flaucher verbieten und selber eine hochprofitable Foodtruck-Flotte mit Steaks und Würschteln betreiben? Warum immer andere reich werden lassen und dafür nur etwas Pacht kassieren? Man stelle sich OB Dieter Reiter als Wiesnwirt im "Festzelt zum Wirtschaftsreferat" vor, die Bürgermeister Josef Schmid und Christine Strobl am Ausschank respektive als Bedienung.

Die Politik und den Verwaltungskram könnte man outsourcen und den vielen eifrigen Bürgerinitiativen überlassen. Wir würden nur noch über Bürgerentscheide regiert werden und in einer totalen Demokratie leben. Das Chaos, das dann ausbrechen würde, täte der sonst so geordneten Stadt vielleicht mal ganz gut. München wäre endlich so sexy wie Berlin - nur eben reich statt arm.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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