Ina Müller in München:Wie das Prinzip Fischerkneipe in der Olympiahalle funktioniert

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Wie gelingt es einer Komikerin aus dem Norden, Münchens größte Veranstaltungshalle zu füllen? Ina Müller bringt das Prinzip Fischerkneipe nach Bayern, kalauert sich durch die Probleme einer Frau mit Mitte 40 - und überrascht mit einem offenherzigen Geständnis in Sachen Emanzipation.

Tobias Dorfer

Es ist noch kein Ton gesungen, da lässt sich schon erkennen, in welche Richtung der Abend mit Ina Müller geht. Da flimmern Fotomontagen über die Leinwand: Ina, die in Michael-Jackson-Manier ein Baby aus dem Hotelfenster hält. Ina beim US-Präsidenten. Ina nackt mit zwei dicken schwarzen Balken über den Brüsten. Ein bierernster Abend wird das nicht in der gut besuchten Münchner Olympiahalle. "Macht doch mal ne Paparazzia - hier bei mir", ist die Botschaft.

Wer abends vögelt, kann morgens deshalb noch nicht fliegen: Ina Müller mags zotig. (Archivfoto von ihrem Konzert in Leipzig). (Foto: picture alliance / dpa)

Ina Müller ist Menschen südlich des Weißwurstäquators vor allem durch ihre herrlich-anarchische ARD-Show Inas Nacht ein Begriff. Dort entlockt sie zu später Stunde in der kleinen Kneipe Schellfischposten in Hamburg-Altona ihren prominenten Gästen mitunter erstaunliche Bekenntnisse. Es wird viel getrunken, noch mehr gesungen - und ein Shantychor macht sich immer wieder mit musikalischen Einwürfen bemerkbar.

In einer Folge hat Ina Müller den Schauspieler Florian David Fitz gefragt, ob er lieber eine Injektion von ihr verpasst bekommen oder an einem Pferdepenis lutschen würde. Zwei Minuten später stand ein Pferd in der Kneipe (eine Stute allerdings, so kam es nicht zum Äußersten).

Diese kleine Sendung ist inzwischen mehr als ein Geheimtipp, deshalb verwundert es auch nicht, dass Ina Müller zuletzt sogar als Nachfolgerin von Thomas Gottschalk bei Wetten, dass? gehandelt wurde - wobei sich natürlich die Frage stellt, ob sie sich mit einer so großen durchchoreografierten Show überhaupt einen Gefallen tut.

Denn Inas Nacht lebt von der Intimität. Auf den Bänken im Schellfischposten sitzen ein Dutzend Zuschauer, die Fragen auf Bierdeckel schreiben. In München stand Ina Müller vor dem Problem, 7000 Menschen in der Olympiahalle zu unterhalten - und sie versucht sofort, auch dort das Prinzip Kneipe zu etablieren.

David sitzt in der ersten Reihe, er spricht seinen Namen englisch aus und ist mit seiner Freundin nach München gekommen. Zwölf Jahre sind die beiden zusammen. Ina Müller fragt, wann geheiratet wird, und ob er seine Freundin schon einmal betrogen hat. Nein sagt David. Dass er schwitzt ist auf der Videowand deutlich zu sehen. Seine Freundin sagt, sie habe sich gewünscht, dass Ina Müller ihren David anspricht.

Nach Davids Bekenntnissen erfährt das Publikum vor allem etwas über Ina Müller selbst. Dass die 46-Jährige auf Sex mit jüngeren Männern steht. Dass sie gerne Alkohol konsumiert - und sich deshalb liebend gerne anstelle von Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner durch die Grüne Woche trinken würde. Dass sie Twitter nicht kapiert, Sport hasst und ihr iPad unbenutzt unter dem Bett liegt.

Dass sie eine unbeschwerte Kindheit auf einem Bauernhof hatte und lebendige Hühner vor den Schulbus warf, damit der Fahrer anhält. Dass sie in der Schulzeit in einen Torsten ohne "h" verliebt war, der jetzt nicht mehr ganz so nett anzuschauen ist, dafür aber FKK-Bilder bei Facebook postet.

Gewürzt wird das Ganze mit dem einen oder anderen Kalauer - mal platt, mal plattdeutsch, aber immer zur Freude der Zuschauer. Ein Beispiel: "Was hat eine Frau mit Mitte 70 zwischen den Brüsten, was eine Frau mit Mitte 20 nicht hat? Den Bauchnabel."

Es wird überhaupt viel gekalauert an diesem Abend und meistens geht es um Sex. Sogar in einer Geschichte über vergessene Pin-Codes bringt Ina Müller etwas Anzügliches, weil "Pin" im Plattdeutschen für Penis steht und Mann deshalb im Norden der Republik keiner Frau sagen darf, man habe seinen "Pin" vergessen.

So bleibt in knapp zweieinhalb Stunden nur Zeit für 17 Lieder, die aber mehr sind als nur Füllstoff zwischen den Zoten. Mal lustig ("Podkarsten"), mal auf Plattdeutsch und mal ganz melancholisch. "Auf halber Strecke" ist so ein kleines Juwel, ein getragener Song über die Mitte des Lebens und die Chancen, die diese Zeit bietet. Ein wenig melancholisch klingt Ina Müller plötzlich und dennoch lebensbejahend. "Kein sexy Ding mehr, aber Spaß daran wie noch nie." Es ist ihr Lied und sie singt mit so viel Hingabe, dass selbst Moralapostel ihr spätestens jetzt die Kalauer verziehen haben.

Zumal sich Ina Müller nicht nur über kugelbäuchige Männer lustig macht, sondern in beide Richtungen austeilt. "Gleichberechtigung" ist der Höhepunkt des Konzerts, ein Lied über eine Pilotin namens Nicole - und das offenherzige Geständnis, dass auch eine emanzipierte Person wie Ina Müller Frauen nicht jeden Job zutraut. Frei nach dem Motto: Wer abends vögelt, kann morgens deshalb noch nicht fliegen.

Das Publikum honoriert diese Sprüche mit Klatschen und Johlen - und dennoch geht es zunächst recht gesittet in der Olympiahalle zu. 13 Lieder, fast das gesamte Programm, dauert es, bis Ina Müller ihr Münchner Publikum da hat, wo sie es möchte: auf den Beinen. Sie rennt durch den Zuschauerraum, singt "Oh happy day" und ruft, wer Lust hat, möge bitte vor die Bühne kommen.

Und weil schon alle stehen, singt Ina Müller die schnelle Nummer "Dumm kickt gut", gefolgt von "Das wär' dein Lied gewesen", dem Titelsong ihrer aktuellen CD. Plötzlich tobt die Halle, auch wenn Ina Müller dann beim furiosen Finale ein wenig lange an Robbie Williams "Let me entertain you" herumnagt.

Was sie bietet ist gute Unterhaltung - dabei bewegt sich Ina Müller auf ihre eigene Weise irgendwo zwischen Jungesellinnenabschied und Chansonabend. Es ist wie in einer guten Kneipengemeinschaft, wo jeder seinen Platz findet: der Arzt und die Krankenschwester, die Anwältin und der Aldi-Verkäufer. Beim dritten Bier plaudert jeder mit jedem und sind alle gleich.

Diese intime Stimmung in eine große unpersönliche Konzerthalle zu übertragen, das ist eine Aufgabe, an der schon viele Musiker scheiterten. Dass Ina Müller in der Olympiahalle ihre eigene kleine Kneipe eingerichtet hat, ist ihr hoch anzurechnen. Sie hat es trotz - oder wahrscheinlich sogar wegen - ihrer Zoten geschafft. Oder wie sie selbst singen würde: "Lieber Orangenhaut als gar kein Profil."

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