Kneipe Ludwigsvorstadt "Import-Export":Kreative Kraft aus dem Nichts

Der Charme des Temporären: Das Import-Export hat sich als Konzertbühne, Veranstaltungsort und Bar in der Szene einen Namen gemacht - im März droht der Auszug.

Sebastian Krass

Am Ende kam die Polizei. Das war ja klar. Candelilla spielen nun mal laute Gitarrenmusik, das ist auch gut so, aus musikalischer Sicht. Das sieht an sich auch Michael Schild so, aber diesmal musste er die Sache auch aus Mietersicht betrachten. Deshalb hatte der Betreiber des Import-Export an der Goethestraße die vier Musikerinnen beim Soundcheck gebeten, die Verstärker ein wenig leiser zu drehen.

Kneipe Ludwigsvorstadt "Import-Export": Temporäre Konzertbühne: Das Import/Export.

Temporäre Konzertbühne: Das Import/Export.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das taten sie auch. Aber es gab immer noch Anwohner, die sich über Gebühr in ihrem Schlaf gestört fühlten. Da traf es sich gut, dass Candelilla ohnehin kein Lied mehr in petto hatten, als die Wachtmeister Nachtruhe einforderten. Weil es nicht das erste Mal war, dass die Polizei zum Import-Export gerufen wurde, hinterließen die Beamten diesmal "eine mittelernsthafte Verwarnung", wie Michael Schild sagt.

Das Problem mit dem Lärm und den Anwohnern haben die Macher dieses Lokals gemein mit vielen anderen Wirten in München. Aber hier hat es eine weitere Ebene. Wie Schild und sein Partner Tuncay Acar damit umgehen, steht nämlich sinnbildlich für den Charakter des Provisorischen, der das Projekt Import-Export auszeichnet. "Wir haben schon viel Arbeit in die Isolierung gesteckt, zum Beispiel an den Fenstern. Aber morgen machen wir dann noch mal eine Sonder-Isolierungsaktion an der Tür." Alles ist im Fluss, ständig.

Im September haben Schild, 41, und Acar, 42, einen regelmäßigen Kulturbetrieb in dem ehemaligen Obst- und Gemüseladen zwei Häuser neben dem Café Gap in Gang gesetzt. An sechs Tagen die Woche veranstalten sie unter dem Dach des eigens gegründeten Vereins Kunstzentrat Konzerte, Lesungen, Diskussionen. Am Anfang hatten die Initiatoren eine Zusage, bis Ende des Jahres bleiben zu können. Jetzt hat die Verwaltung des ansonsten leerstehenden Hauses das Mietverhältnis bis Ende März verlängert. "Aber gleichzeitig kam die klare Ansage, dass es darüber hinaus nicht mehr weitergeht. Die Hausbesitzer haben dann wohl andere Pläne", erzählt Schild.

Diese Form der Zwischennutzung weckt automatisch Erinnerungen ans Puerto Giesing, jenes Kunst- und Partyzentrum im Gebäude des ehemaligen Hertie-Kaufhauses an der Silberhornstraße, das Ende Oktober den offiziellen Betrieb weitgehend eingestellt hat. "Die Themen sind allemal verwandt", sagt auch Michael Schild. "Es geht darum, wie man aus dem Nichts wahnsinnig viel kreative Kraft mobilisieren kann."

Die Idee zum Import-Export entstand aus dem Munich-Central-Projekt, mit dem die Kammerspiele im Juni den Raum bespielt hatten. Schild und Acar, beide selbst Künstler, machten mit und sahen danach die Chance, "umzusetzen, was wir schon seit eineinhalb Jahren als Idee hatten: einen Gegenpol zum sozusagen offiziellen Kunst- und Kulturleben zu schaffen, eine Plattform, wo man sich auf Augenhöhe begegnen kann". Wie groß der Hunger in München nach solchen Orten ist, zeigt der Erfolg, den diese Initiativen haben. Puerto Giesing war den ganzen Sommer über in aller Munde. Und auch das Import-Export hat sich schon einen Namen gemacht.

Sitzplatz Teppichboden

Der Dienstagabend war ein gutes Beispiel. Anfangs zeigte der Verein Raumwandler den Film "WAAhnrock", eine Dokumentation über das große Anti- Atomkraft-Festival in Wackersdorf 1986, eine Art bayerisches Woodstock 90Tage nach Tschernobyl. Alle Sitzplätze waren belegt, so dass einige sich auf dem Teppichboden niederließen, der im Lokal verlegt ist - schon richtig: Teppichboden. Als das Konzert dann näher rückte, gab es nur noch Stehplätze mit beschränkter Sicht auf die Leinwand. "Seit einem Monat läuft es richtig, jetzt sind auch die Podiumsdiskussionen gut besucht", sagt Schild.

Das dürfte sich auch an diesem Freitag bewahrheiten, wenn Schorsch Kamerun Platz nimmt auf der Bühne, die am Boden und an den Wänden mit einem überdimensionalen Stadtplan des südlichen Bahnhofsviertels verkleidet ist. Von 19Uhr an wird der Sänger der Goldenen Zitronen und Regisseur an den Kammerspielen mit weiteren Diskutanten eine heikle Frage erörtern: Welche Rolle spielen Künstler und Kulturschaffende im Prozess der Gentrifizierung? Schon um 17 Uhr laden die Veranstalter zu einem Bahnhofsviertel-Monopoly auf 1,50 Meter breitem Spielfeld ein.

Der Terminkalender des Import-Export füllt sich wie von selbst. "Wir bekommen so viele Vorschläge, dass wir gar nicht hinterherkommen", sagt Schild, "obwohl wir sieben Tage die Woche hier arbeiten. Aber wir lernen dadurch auch so viele interessante, kreative Menschen kennen, dass die Arbeit jeden Tag aufs Neue fasziniert." Bei so viel Schwärmerei entsteht natürlich die Frage, was nach Ende März passiert - wenn dann wirklich Schluss sein sollte. "Wir würden das Konzept schon gern fortführen, allerdings mit einem größeren Team. Und wir haben noch keine Idee, wo das funktionieren könnte", sagt Schild.

Eine große Frage ist auch, ob Import-Export dann ein dauerhaftes Domizil bekommen sollte oder nicht. "Da sind wir beide noch unschlüssig. Wir sehen die Gefahr, dass man an einem festen Ort zu statisch wird." Und der Charme des Temporären ist natürlich auch nicht zu unterschätzen.

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