Impfmüdigkeit in München:"Impfen verhindert schreckliches Leid"

Auch in München gibt es viele Verweigerer - der Kinderarzt Bernd Simon kämpft dagegen an.

Martin Thurau

Die Häufung der jüngsten Masernfälle hat die Gesundheitspolitik aufgeschreckt: Das zuständige Robert-Koch-Institut in Berlin schlägt Alarm, die Weltgesundheitsorganisation WHO wirft den Deutschen Impfmüdigkeit vor, und seit Donnerstag beraten Experten auf der Nationalen Impfkonferenz in Mainz über Gegenstrategien. Wie halten die Münchner es mit dem Impfen? Bernd Simon, niedergelassener Kinderarzt, berichtet aus seiner Praxis.

Impfmüdigkeit in München: "Jeder, der sein Kind nicht impfen lässt, übernimmt ein Risiko, das er nicht abschätzen kann - für sein Kind und andere."

"Jeder, der sein Kind nicht impfen lässt, übernimmt ein Risiko, das er nicht abschätzen kann - für sein Kind und andere."

(Foto: Foto: ddp)

Süddeutsche Zeitung: Nachlässigkeit beim Impfen - beobachten Sie das in Ihrer Sprechstunde?

Simon: In Deutschland sind sogenannte Impfskeptiker vergleichsweise zahlreich vertreten, das schlägt auch auf das Impfen von Kindern durch, wie wir natürlich in unserer Gemeinschaftspraxis schon seit Jahren beobachten können. Bei einigen wichtigen Kinderkrankheiten wie Diphtherie und Keuchhusten ist die Impfbereitschaft nicht schlecht. Bei Masern dagegen hat Deutschland insgesamt keinen ausreichenden Standard.

SZ: Sind denn Masern so schlimm?

Simon: Ich praktiziere in Oberföhring, vor gut zehn Jahren habe ich an einer nahegelegenen Schule, an die viele nicht-geimpfte Kinder gingen, einen Masernausbruch erlebt. Die Eltern waren voller Sorge, die Kinder waren heftig krank. Und einige wenige überstehen die Masern nicht schadlos. Kinder können auch in Deutschland daran sterben, sie können Hirnhautentzündung bekommen, sie können später an der schrecklichen Folgekrankheit SSPE zugrundegehen. Jeder, der sein Kind nicht impfen lässt, übernimmt ein Risiko, das er nicht abschätzen kann - für sein Kind und andere. Früher war es Schicksal, Masern zu bekommen, heute ist es Fahrlässigkeit.

SZ: Mit welcher Art Skepsis kommen denn die Eltern zu Ihnen?

Simon: Es gibt einen harten Kern, der macht drei bis fünf Prozent aus. Bei diesen Eltern ist Diskutieren eigentlich zwecklos, die wollen ihre Kindern nicht impfen lassen. Weitere fünf Prozent sind anfangs sehr skeptisch, aber schließlich doch bereit, die Kinder impfen zu lassen - wenn man sie gut berät. Wenn man ihnen klarmacht, dass das Impfen nur minimale Risiken hat, es im Einzelfall aber schreckliches Leiden und gar Todesfälle verhindert.

SZ: Der Diskussionsbedarf ist unter den jungen Eltern doch viel weiter verbreitet. Wie helfen Sie ihnen?

Simon: Ja, die Verunsicherung ist groß. Darum haben Eltern alles Anrecht darauf, dass wir sie umfassend informieren. Bei uns bekommen sie zunächst fundiertes Informationsmaterial, das nicht von der Impfindustrie kommt. Beim nächsten Termin antworte ich dann ausführlich auf Fragen. Wissen Sie, ich arbeite seit 28 Jahren als niedergelassener Arzt, und als Alt-Achtundsechziger hatte ich vielleicht zunächst eine eher liberale Haltung gegenüber den Eltern: "Wir machen das eben so, wie sie das wollen." Seit langem aber nehme ich die Herausforderung an, die Eltern mit Argumenten überzeugen zu wollen. Doch überreden tue ich sie nie. Das können mitunter lange, manchmal auch anstrengende Gespräche sein. Und selbst wenn die Mutter oder der Vater dann einwilligen, impfe ich das Kind nie am gleichen Tag, sondern gebe ihnen noch einmal Bedenkzeit.

SZ: Empfehlen Sie denn das volle Programm, das die zuständige Ständige Impfkommission (Stiko) angibt?

Simon: Ja, aus meiner Sicht müssen Sie als Arzt sehr gute Gründe haben, wenn Sie das nicht tun. Schließlich sind die Urteile durch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten gestützt, ausgewiesene Experten bewerten sie.

SZ: Kritiker sagen, die Stiko sei nicht unabhängig von Pharmainteressen.

Simon: Sicher gibt es massive Versuche der Branche, Mitglieder der Kommission befangen zu machen. Meines Wissens aber sind die Grundsätze, nach denen eine Empfehlung zustandekommt, streng geregelt.

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