Immobilien:Wohnungsbau aus der Zahnpastatube

Die Planungsexpertin Ingrid Krau vom "Münchner Forum" plädiert dafür, beim Nachverdichten und bei schnell entstehenden neuen Quartieren die mühsam erstrittenen Qualitätskriterien nicht über Bord zu werfen

Von Thomas Kronewiter

Nachverdichtung auf Parkplätzen, Bebauung von Bolzplätzen: In München werden große Anstrengungen unternommen, dem Wohnungsproblem zu begegnen. Der Diskussionsverein Münchner Forum hat sich ebenfalls Gedanken zur Wohnungssituation gemacht und Vorschläge erarbeitet, wie man die Lebensqualität in der Stadt erhalten kann: etwa durch intelligente Architektur, eine Nutzungsmischung, kommunikative Zonen. Wie das zusammenpasst, erläutert im SZ-Interview Ingrid Krau, ehemals Inhaberin des TU-Lehrstuhls für Stadtraum und Stadtentwicklung, als Vorsitzende des Arbeitskreises "Stadtgestalt und Lebensraum" im Münchner Forum.

SZ: Sie haben sich mit dem Arbeitskreis "Stadtgestalt und Lebensraum" des Münchner Forums viele Monate Gedanken gemacht über das Aussehen von Wohnquartieren, die richtige Form von Urbanität und sinnvolle Nutzungsmischung. Nun kommt mit dem Modul-Bauprogramm "Wohnen für alle" alles ganz schnell, alles ganz anders. Haben Sie für den Papierkorb gearbeitet?

Ingrid Krau: Überhaupt nicht. Angesichts der Zeitungsmeldungen ist zwar deutlich, wohin die Reise gehen soll. Mir erscheint aber unbedingt notwendig, daran zu erinnern, was dann alles verloren geht. Schnelligkeit muss nicht unbedingt bedeuten, dass man alle Prinzipien der Qualitätssicherung über Bord wirft. Die Siedlung am Ackermannbogen hat 20 Jahre in Planung und Herstellung benötigt, sie wird erst jetzt mit der "urbanen Mitte" fertig. Das war der erste große Fall eines Lernprozesses zwischen Politik, Verwaltung und Bürgerinitiativen in München. Heute können partizipative Wohnquartiere diese Erfahrungen nutzen. Qualität braucht diese Form der Beteiligung. München hat sich mit der "Willkommenskultur" jüngst als offene Stadt gezeigt. Es gibt also ein sehr großes Potenzial von Menschen, die sich auf dieser Ebene engagieren wollen. Das alles würde ja weggewischt, wenn man zurückkehrt zu einem Wohnungsbau aus der Zahnpastatube.

Der Kostendruck, der schon generell auf Wohnprojekten in München liegt, spitzt sich im Programm "Wohnen für alle" noch einmal zu. Ohne Geld aber gibt es keinen Treffpunkt, kein Café, kein Gästezimmer.

Das ist richtig. Aber die Genossenschaften zeigen uns ja, dass sie innerhalb sehr enger Budgets trotzdem handlungsfähig sind. Sie haben einen Weg gefunden, auch Personen mit einem minderen Haushaltseinkommen zu integrieren. Das ist für mich Bürgersinn. Wir plädieren für zusätzliche Flächen und Räume, die Kommunikation ermöglichen. Das muss nicht unbedingt die Kostenspirale anheizen. Die Individualräume können ja dafür kleiner sein. Es gibt viele Münchner, die sogar darauf angewiesen sind, dass ihre individuellen Räume klein und dafür bezahlbar sind. Und dass sich ergänzend gemeinschaftliche Nutzungen außerhalb der Wohnung ergeben, die flexibel nutzbar sind und zur Verfügung stehen. Das muss nicht in jedem Wohngebäude sein, aber es muss solche gemeinschaftsfördernden Räume und Orte geben.

Baustelle für "Friends" Wohnhochhäuser in München, 2016

Das Quartier am Hirschgarten - hier der Wohntower "Friends" - hält Ingrid Krau für misslungen.

(Foto: Catherina Hess)

An der generellen Notwendigkeit des Zusammenrückens haben auch Sie keinen Zweifel. Wie aber soll alles unter einen Hut kommen - möglichst schnell möglichst viele Wohnungen, dabei aber eine ansprechende Gestaltung, möglichst billig und dabei unter Mitwirkung vieler Ideengeber?

Das geht nicht grenzenlos. Unsere Forderung kommt aber aus der Erfahrung, dass gerade die schnellen Projekte auch einen Preis kosten. Man wird mit dem schnellen Bauen nur bewirken, dass irgendwann alle abrücken von den Ergebnissen. Ich nehme nur mal die neuen Bauten am Hirschgarten, die eng gebaut sind und keine Gemeinschaftsräume haben.

Wo in München gibt es denn gelungene Beispiele? Wo sind abschreckende Gegenmodelle zu sehen?

Als positives Modell gibt es die ursprüngliche Planung an der Berliner Straße in Schwabing, die später mit symptomatischen Abstrichen realisiert wurde. Ursprünglich war an eine gebaute Straße gedacht, die eine Nutzungsmischung haben sollte. Das ließ sich nach damaligen planerischen Regeln so nicht erstellen. Aber es kommt ganz angenehm so daher, als wäre es eine Stadtstraße. Man könnte dort auf dem Weg der Umnutzung noch heute etwas verändern. Als Negativbeispiel habe ich den Hirschgarten erwähnt. Dort ist es typisch für Ecken, in denen mit größerem Maßstab gebaut worden ist und zugleich in der Geschwindigkeit, die die Niedrigzinsen ermöglichen. Geschwindigkeit aber hat Folgen. Ich habe mit Leuten gesprochen, die im Hirschgarten wohnen. Die Wohnungen haben sehr kleine Zimmer und große Balkone, die die Miete unverhältnismäßig steigern. Sie haben diese kleinen Vorgärten, mit Jägerzaun oder Hecke abgegrenzt, winzig, aber es gibt keine Gemeinschaftsflächen, man kann sich von den Passanten nur bestaunen lassen. Das ist keine vernünftige Freiraumnutzung, sondern nur ein Ökonomisierungsmodell.

Besonderes Augenmerk haben Sie deshalb auf die Erdgeschosszonen gelegt - als Übergangszonen zwischen dem Privaten und der Öffentlichkeit. Wie muss man sich das vorstellen? Wie wird es finanziert?

Je dichter die Stadt, desto schlechter kann man in den Erdgeschosszonen wohnen. Neben den Schlafzimmern befinden sich oft auch noch die Stellplätze und Hauseingänge. Das Versprechen auf Privatheit löst sich dort nicht ein. Auf der anderen Seite fehlen kommunikative Flächen. Deshalb sind wir der Meinung, dass das Erdgeschoss der richtige Ort ist, um ein Stück Freiraum zu ermöglichen. Dort kann man gemeinsam sitzen, den Bereich kann man anmieten, vielleicht ist ein überdachter Eingang möglich, wo man stehen bleiben und mit dem Nachbarn einen Schwatz halten kann. Das ist nicht so wahnsinnig kompliziert. In einer Stadt wie München sollte der Wohnungsbau sich das leisten können, zumal Wohnungen hier in der Tendenz eher klein bleiben werden.

Ingrid Krau

Ingrid Krau war von 1994 bis 2007 Inhaberin des Lehrstuhls für Stadtraum und Stadtentwicklung an der TU München.

(Foto: privat)

Haben Sie den Eindruck, dass der politische Wille da ist, dies zu unterstützen, beispielsweise über Extra-Baurecht für solche kommunikativen Zonen oder/und Fördermittel?

Es gibt natürlich bestimmte Gruppierungen innerhalb des Stadtrats, die so etwas begrüßen würden und andere, die dem entgegenstehen. Im Prinzip hat uns Wien ja vorgeführt, dass so etwas politisch auch auf den Weg gebracht werden kann. Dort hat man die Bonus-Kubatur beschlossen. Und auf der anderen Seite gab es auch wagemutige Projekte, die dieses finanzielle Geschenk genutzt haben. So kann man die gleiche Wohnfläche realisieren, und bekommt zusätzlich Flächen, die auf das Bauvolumen nicht angerechnet werden. Die Vorbildfunktion von Wien in diesem Punkt ist in München durchaus bemerkt worden.

Wie wollen Sie dafür sorgen, dass Ihre Anstöße Gehör finden?

Bei uns in Deutschland herrschen demokratische Verhältnisse, die es Bürgern ermöglichen, sich durchsetzungsfähig bemerkbar zu machen Warum sollte ein Stadtrat dem kein Gehör schenken?

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