Illegale Seniorenbetreuung:Vom Sklavenmarkt in die Altenpflege

Viele Menschen beschäftigen illegale Helfer, weil die Leistungen der Versicherungen nicht annähernd reichen.

Sven Loerzer

Der unsichtbare Dritte, der in dem Prozess vor dem Amtsgericht München neben den beiden Vermittlern möglicherweise illegal arbeitender ungarischer Pflegekräfte eigentlich mit auf die Anklagebank gehört, das ist die Politik. Eine Politik, die Menschen in schwierigsten Lebenssituation allein lässt mit einer Frage: Wie kann ich meine kranke Mutter, meinen Vater zuhause angemessen versorgt wissen, ohne davon finanziell völlig überfordert zu werden?

Illegale Seniorenbetreuung: Wie kann ich meine kranke Mutter angemessen versorgt wissen, ohne davon finanziell völlig überfordert zu werden?

Wie kann ich meine kranke Mutter angemessen versorgt wissen, ohne davon finanziell völlig überfordert zu werden?

(Foto: Foto: ddp)

Mehr als 25.000 Münchner sind pflegebedürftig und erhalten deswegen Leistungen von ihrer Pflegekasse. Aber niemand erfasst, ob diese für eine angemessene Pflege ausreichen. Drei Viertel der Menschen, 18.800, werden zu Hause versorgt, um knapp 12.000 von ihnen kümmern sich allein die Angehörigen. Oder vielleicht zusammen mit osteuropäischen Billigkräften? Niemand will das so genau wissen, schon gar nicht die Bundesregierung.

Denn die Politik in Berlin drückt sich seit langen Jahren vor einer rechtlich sauberen Lösung. Sie gibt weder das Geld, das eine Rund-um-die-Uhr-Pflege mit tariflich Beschäftigten kosten würde, noch schafft sie einfache, praktikable Bedingungen für den bezahlbaren Einsatz etwa von osteuropäischen Pflegekräften. Die Reform der Pflegeversicherung in diesem Jahr hat das kaum verändert. Die erste Anhebung der Leistungen seit Einführung der Pflegeversicherung vor zwölf Jahren deckt nicht einmal die üblichen Kostensteigerungen. Je nach Bedürftigkeit zahlen die Kassen nun zwischen 420 und 1470 Euro im Monat für Leistungen eines ambulanten Dienstes.

Die Leistungen der Pflegeversicherung reichen nicht annähernd

Um überhaupt Anspruch darauf zu haben, muss der Pflegebedarf mindestens 90 Minuten täglich betragen; für den Betrag von 1470 Euro müssen es mindestens fünf Stunden täglich sein. Weil die Beträge oft nicht reichen, um den Bedarf abzudecken, müssen viele alte Menschen dafür zuzahlen. Immer häufiger verzichten Angehörige deshalb auf einzelne Leistungen, geben aus Kostengründen an, sie wollten sich selbst darum kümmern - ob sie dies nun können oder auch nicht. Die Dienste bringt das in eine sehr schwierige Situation: Wer übernimmt unter diesen Umständen die Verantwortung dafür, wenn die Patienten unterversorgt bleiben?

Noch problematischer stellt sich die Situation dar, wenn zu den körperlichen Gebrechen auch noch geistige Einschränkungen kommen, etwa eine Demenz. Zwar gibt es nach der Pflegereform für die Betreuung verwirrter Menschen bis zu 200 Euro monatlich zusätzlich. Aber schwierigere Pflegen durch hiesige Dienste kosten 4000 bis 5000 Euro pro Monat - da reichen die Leistungen der Pflegeversicherung auch nicht annähernd hin.

Eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung, die sich mindestens vier bis fünf Mitarbeiter teilen müssen, kostet oft mehr als 8000 bis 10000 Euro pro Monat. In dieser Situation entscheiden sich, wie auch die Dienste zu spüren bekommen, immer mehr Angehörige für eine Kombination: Ein deutscher Pflegedienst übernimmt die Grund- und Behandlungspflege, während eine osteuropäische Haushaltshilfe 800 bis 1200 Euro monatlich bekommt, damit die Pflegebedürftigen in der langen Zeit zwischen den Besuchen des Pflegedienstes nicht allein bleiben.

Eine Osteuropäerin, die sogar offiziell über die Bundesagentur für Arbeit vermittelt wird, darf den alten Menschen aber gar nicht betreuen - sie muss eine reine Haushaltshilfe bleiben. Doch wer kann da schon so genau hinschauen? Und überhaupt, sagt da mancher Politiker: Eigentlich dürfen ja auch Angehörige und mithin Laien ihre Eltern pflegen, warum soll es einer Haushaltshilfe verwehrt bleiben? Die nötige Legalisierung folgt nicht.

"Sklavenmarkt" zum Rückgrat der Pflege machen?

Auf diese Weise entzieht sich die Politik einer überfälligen Entscheidung: Denn viel mehr Geld in die Pflege alter Menschen zu stecken, das bringt weniger gesellschaftliche Anerkennung als die Kinderbetreuung auszubauen. Andererseits aber einen Markt der Billigpflege ganz offiziell zuzulassen, dazu will sich auch niemand durchringen. Da stellt sich schnell die ethische Frage, ob ein Land wie die Bundesrepublik einen "Sklavenmarkt" zum Rückgrat der Pflege macht, der auf längere Sicht obendrein viele der bestehenden Arbeitsplätze in diesem Bereich gefährden würde.

Die Stadt München versucht die Misere abzumildern und zahlt bundesweit am meisten für die ambulante Pflege. Der Finanzkontrolle Schwarzarbeit gebührt das Verdienst, den Blick auf das Dilemma zu lenken. Die Bundespolitik, so scheint es, nimmt den Graumarkt, in dem sich preiswerte Lösungen für die Betreuung hilfsbedürftiger Menschen bewegen, bewußt in Kauf: Das mindert den größten Druck. Wer sich um pflegebedürftige Angehörige kümmert, dem bleibt ohnehin keine Zeit und keine Kraft, um zu demonstrieren. Und der Graumarkt schützt vor Mehrausgaben in der Pflege.

Dass bei diesem Stillhalteabkommen der Politik mitunter verzweifelte Angehörige als kleine Kriminelle dastehen, auch das zementiert das System. Denn das verbreitet Angst und kann so den Graumarkt in Grenzen halten. Vor allem aber kann es den etablierten Pflegediensten und ihren Verbänden signalisieren, dass ja doch etwas gegen die Schwarzarbeit unternommen wird. So wird wohl auch nach dem Prozess alles bleiben, wie es leider ist.

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