"Ich lasse mir nicht reinreden":Die Gesetze des Rotlichts

Jerry und Mona sind zwei von rund 1800 Prostituierten in München. Sie haben mehr Rechte als früher. Aber davon wollen sie nichts wissen.

Von Annabel Dillig

Die Dunkelheit hat die Männer zu Schatten gemacht und die Frauen zur Ware im Scheinwerferlicht. Auf der Hansastraße, einem Münchner Straßenstrich, herrscht Hochbetrieb.

"Ich lasse mir nicht reinreden": "Clubbesitzer bewegen sich mit einem Bein auch künftig in der Illegalität, wenn sie Prostituierte per Arbeitsvertrag anstellen." Foto: ddp

"Clubbesitzer bewegen sich mit einem Bein auch künftig in der Illegalität, wenn sie Prostituierte per Arbeitsvertrag anstellen." Foto: ddp

Jerry, deren Brüste im Schein der Schwarzlicht-Röhre ihres Wagens beeindruckend groß erscheinen, hat jetzt keine Zeit mehr zu plaudern — schon gar nicht über Altersvorsorge und dergleichen.

Schnell zieht sie noch die Lippen nach, bevor sie, ganz Fleisch und Leder, den Fahrer eines silbernen BMW anspricht und mit ihm einige Worte wechselt.

Keine Angst vorm Altern

Der Mann im Anzug stellt seinen Wagen ab; Jerrys Zimmer ist nur ein paar Schritte entfernt. Als die junge Frau wenig später zurückkehrt, hat sie ihr erstes Geld an diesem Abend verdient.

Tags darauf. Ein Treffen mit Mona, die seit mehr als 20 Jahren in München anschaffen geht — mal auf dem Straßenstrich, mal in Clubs. Mona ist 40 und hat keine Angst vorm Älterwerden: "Warum", sagt sie, "soll man sich vor etwas fürchten, das sowieso unausweichlich ist?"

Mit 18, als alles anfing, sah Mona sicher kess aus, so wie die Mädchen in den ZDF-Serien der 80er, mit einem Pferdeschwanz an der Seite und Sommersprossen.

Teilzeit-Arbeit

Heute trägt sie einen weiten Pulli, viel Schminke und wenn sie redet, dann fährt sie sich oft durch die naturgelockten Haare. Seitdem Mona zwei Kinder hat, arbeitet sie nur "Teilzeit", etwa wenn ein Clubbesitzer anruft und fragt, ob sie einspringt, "weil gerade Not am Mann ist".

Meistens sagt sie zu, weil sie ihren Freund, den Vater ihrer Kinder, nicht um jeden Hunderter extra anschnorren will und, ja auch, "weil mir die Arbeit Spaß macht".

Die Gesetze des Rotlichts

Neu im Geschäft

Jerry und Mona, zwei von rund 1800 Prostituierten in München, könnten unterschiedlicher nicht sein. Jerry, eine Münchnerin mit amerikanischen Eltern, ist 24 und noch recht neu im Geschäft.

Sie hat die Realschule geschmissen und eine Ausbildung als Verkäuferin auch. Anschaffen will sie nur übergangsweise, bis sie genug Geld hat, um sich "was Solides" aufzubauen.

Von dem Prostitutionsgesetz, das seit 1. Januar 2002 in Kraft ist, hat sie schon gehört, aber "das ist ein Schmarrn", findet sie, weil bei der Arbeit lässt sie sich von keinem reinreden, "schon gar nicht von Politikern".

Gesellschaftliche Aufwertung

Bei Mona klingt das anders: Wenn sie über das neue Gesetz spricht, dann fallen Wörter wie "Signalwirkung" und "gesellschaftliche Aufwertung" von Prostituierten. "Wenigstens auf dem Papier sind wir jetzt nicht mehr Frauen sechster oder siebter Klasse."

Das Gesetz, das die rot-grüne Bundesregierung in der ersten Legislaturperiode verabschiedet hat, ermöglicht es Jerry, Mona und all den anderen Münchner Prostituierten, ihrer Tätigkeit straffrei nachzugehen — selbstständig oder im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses.

Durch Arbeitsverträge mit Bordell- oder Clubbesitzern könnten sie Arbeitnehmerrechte wie Urlaubsanspruch und Regelung der Arbeitszeit geltend machen.

Keine Arbeitsverträge zwischen Bordellbesitzern und Prostituierten

Und sie könnten sich davor schützen, sich ihre Kunden nicht selbst aussuchen zu dürfen oder wegen angeblicher "Schlechtleistung" bestraft zu werden. Außerdem hätten sie durch Arbeitsverhältnisse dieser Art Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen, wie Kranken- oder Rentenversicherung.

Doch die Prostituierten machen keinen Gebrauch von ihren Rechten. Weder dem Kreisverwaltungsreferat noch dem Sozialamt ist auch nur ein einziger Fall eines Arbeitsvertrages zwischen Bordellbetreiber und Prostituierter bekannt.

Die Gesetze des Rotlichts

"Die Arbeit auf dem Strich ist selbstbestimmter", sagt Mona. Auch sie kennt keine Hure, die per Vertrag an einen festen Arbeitgeber gebunden ist.

"Für viele, zum Beispiel allein erziehende Mütter, ist das Gesetz sicher sinnvoll, und es ist gut, dass unsere Arbeit endlich einen Hauch von Normalität bekommt", findet sie.

Schmaler Grad bis zur Illegalität

Andere, wie Jerry, wissen aber gar nicht, welche Möglichkeiten das Prostitutionsgesetz ihnen bietet. Deshalb arbeiten die meisten noch immer wochenlang ohne Unterbrechung. Urlaub nimmt nur, wer sich den Verdienstausfall leisten kann.

Sabine Skutella von "Mimikry", der Beratungsstelle für anschaffende Mädchen und Frauen in Bayern, sieht noch einen anderen Grund: "Clubbesitzer bewegen sich mit einem Bein auch künftig in der Illegalität, wenn sie Prostituierte per Arbeitsvertrag anstellen."

Seit dem Gesetz hat sich für die Münchner Prostituierten, die ihre Dienste in Clubs oder auf den Straßenstrichs an der Landsberger, der Ingolstädter und der Zamdorfer Straße anbieten, kaum etwas geändert.

"Das Missionieren habe ich aufgegeben"

Noch immer versichern sich die meisten bei einer privaten Krankenkasse selbst, monatlich kostet sie das rund 350 Euro. Weil viele zudem neben der eigenen Miete noch die Zimmer bezahlen müssen, sind viele Prostituierte tief verschuldet, was sie wiederum auf den Strich treibt — ein Teufelskreis.

Mona hat sich inzwischen richtig in Fahrt geredet: Vom neuen Prostitutionsgesetz ist sie auf das "Ende des Generationenvertrags" und die demoskopische Entwicklung in Deutschland gekommen.

Sie könnte ihren Kolleginnen eine Lehrveranstaltung in Sachen Altersvorsorge geben, doch "das Missionieren habe ich aufgegeben", sagt sie, "die Jungen kommen schon, wenn sie was wissen wollen."

Die Gesetze des Rotlichts

Es war Protest, der sie nach ihrem Abitur auf den Strich trieb, Protest gegen die spießigen Eltern und alle konventionellen Lebensentwürfe. "Ich war mir sicher, ich finde sowieso keinen Job. Und dann war da das Verruchte am Anschaffen. Wenn ich auf der Straße war, dachte ich: Wow, ich bin so völlig entartet."

25 Jahre große Lücke im Lebenslauf

Mona blieb auf der Straße — auch nach ihrer Ausbildung ("etwas im sozialen Bereich"), die sie mit Ende 20 abgeschlossen hatte. Es ist ihre Hintertür, wie sie es nennt, für ein Leben nach dem Strich.

Die wenigsten haben eine solche Alternative. "Der Ausstieg aus der Prostitution und die Suche nach einer neuen Tätigkeit sind schwierig", sagt Sabine Skutella von Mimikry, "viele haben eine Lücke von 25 Jahren im Lebenslauf."

Und dann erzählt Mona noch von ihrem schlimmsten Erlebnis in all den Jahren mit diesem Job. Es seien keine Schläge gewesen, sagt sie. Nein, es war etwas anderes, etwas, wovor kein Gesetz der Welt sie wird schützen können:

Es war der Geruch eines Freiers, den sie nicht loswurde. Zwei Abende hintereinander hatte der Geschäftsmann Mona gebucht. Sein Körpergeruch, sagt sie, sei so unerträglich gewesen, dass sie ständig glaubte, sich übergeben zu müssen.

Mona wusch sich und ihn, und als es vorbei war, wieder sich. Mit einer Nagelbürste schrubbte sie ihre Haut wund, der Geruch blieb. Er verfolgte sie, und Mona ekelte sich vor sich selbst. Eigentlich ein guter Grund, aufzuhören. Doch nach ein paar Tagen war der Gestank weg. Und Mona blieb.

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