Ice Cross Downhill in München:Männer fürs Grobe

Beim Saisonauftakt im Ice Cross Downhill rasen Schlittschuhfahrer mit mehr als 50 Stundenkilometern einen Eisparcours hinunter. Nicht wenige stürzen spektakulär. Den 25.000 Zuschauern gefällt's.

Lisa Sonnabend

Die Fahrer sind leicht in die Hocke gegangen, es geht um eine scharfe Kurve. Plötzlich strauchelt einer, rempelt den Nebenmann an. Die beiden rudern mit den Armen wie Orang-Utans, die aus dem Gleichgewicht geraten sind. Der Fahrer im blauen Trikot schafft es nicht, es wirbelt ihn um die eigene Achse, dann schleudert er gegen die Bande und landet mit dem Hinterteil auf der Eisbahn. Ein Raunen geht durchs Publikum - nicht wenige lachen.

'Crashed Ice' im Olympiapark

Gerangeln im Eiskanal: Der Saisonauftakt im Ice Cross Downhill wurde am Samstag in München ausgetragen.

(Foto: dpa)

Am Samstagabend wurde im Münchner Olympiapark ein Wettkampf im Ice Cross Downhill ausgetragen. Die Sportart, auch Crashed Ice genannt, ist eine Mischung aus Eislaufen, Skifahren und Boardercross. Jeweils vier Athleten, die zum Schutz eine Eishockeyausrüstung tragen, rasen auf Schlittschuhen einen 353 Meter langen Eisparcours hinunter. Mit einer Geschwindigkeit von teils über 50 Stundenkilometern. Am Start geht es steil bergab, dann führt die von einer Bande umrahmte Strecke wellenförmig ins Ziel. Die besten zwei Fahrer qualifizieren sich jeweils für die nächste Runde. Natürlich bewältigen nicht alle den Kurs, ohne hinzufallen. Und das ist Absicht.

Bereits im vergangenen Jahr war München Austragungsort für einen Ice-Cross-Downhill-Wettkampf. 50.000 Leute stürmten damals den Olympiapark, Chaos brach aus. Auch an diesem Samstagabend ist der Andrang groß - obwohl die Veranstalter nun Eintritt verlangen, immerhin 18 Euro. 25.000 Menschen schauen zu, genauso viele wie beim Weltcup im Parallelslalom vor zwei Wochen an gleicher Stelle. Obwohl es da um deutlich mehr ging.

Das erneute sportliche Großereignis kommt München sehr gelegen, hat die Stadt sich doch um die Olympischen Spiele 2018 beworben und muss sich nun als Austragungsort für Wintersportwettkämpfe beweisen. Was der Bewerbungsgesellschaft jedoch nicht gefallen wird: Von Schnee ist im Olympiapark keine Spur mehr. Auf Grund der frühlingshaften Temperaturen hatten die Veranstalter sogar große Schwierigkeiten, die Eisstrecke zu präparieren. Auf dem Hügel vor der Schwimmhalle haben die Zuschauer den Boden gar so weich und schlammig getreten wie auf einem Rockfestival im Sommer.

Zwei weitere Großereignisse bleiben der Bewerbungsgesellschaft nun noch vor der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees: Im Februar stehen die Ski-WM in Garmisch an und das Air & Style, ein Snowboard-Event im Olympiastadion.

"Ich freue mich, wenn die Fahrer auf die Fresse fliegen"

Den Zuschauer kommen die verhältnismäßig warmen Temperaturen gelegen. Sie trinken mehr Bier als klebrigen Glühwein. An dem Heizstrahler vor einem Sponsorenstand bleibt niemand stehen. Und: Die Strecke ist noch ein wenig schneller - also gefährlicher. Der Garmisch-Partenkirchener Martin Niefnecker, der im vergangenen Jahr Weltmeister wurde, hatte im Vorfeld die Begeisterung der Zuschauer folgendermaßen erklärt: "Wenn ich nicht mitfahren und stattdessen bei einem Rennen zuschauen würde, würde ich sehen wollen, wie die Sportler sich über den Haufen fahren."

Die 22-jährige Eva Adametz steht mit drei Freunden in der Zuschauermasse. "Ich bin sehr schadenfroh", sagt sie. "Deswegen freue ich mich, wenn die Fahrer auf die Fresse fliegen." Wenige Meter entfernt beobachtet Christian das Geschehen. Ob es nicht recht brutal zugehe? "Das ist ja der Witz dran", meint der 29-Jährige. In der Pause nach den Achtelfinal-Läufen rappen auf der Bühne vor der Olympiahalle die Hamburger Hip-Hopper Eljot Quent: "Die Leute drehen durch, wenn einer in die Bande brettert."

Trotz der Attraktivität ist Ice Cross Downhill im Sport bislang nicht anerkannt, was sicherlich auch daran liegt, dass die Extremsportart vor zehn Jahren von einem österreichischen Getränkehersteller zu Marketingzwecken ins Leben gerufen wurde. Zwar wird auch in diesem Jahr wieder nach vier Rennen ein Weltmeister gekürt; München ist die Auftaktveranstaltung. Doch das Preisgeld reicht den Athleten bei weitem nicht aus, um die Sportart professionell zu betreiben. Der Garmisch-Partenkirchener Niefnecker arbeitet deswegen als Installateur. Der Schwede Jasper Felder, der erfolgreichste Fahrer der vergangenen Jahre, ist Kindergärtner.

Nicht alle erfolgreichen Ice-Cross-Downhiller trainieren immer emsig. Eine permanente Trainingsstrecke gibt es erst seit dieser Saison, sie liegt im österreichischen Waidring. Manchem Fahrer gelingt es deswegen nach nur wenigen Monaten Übung, einen Spitzenplatz zu erobern.

In München straucheln die Favoriten früh. Martin Niefnecker und Jasper Felder schaffen es nicht einmal ins Halbfinale. Im Finale treten nach einem Fehlstart nur noch drei Athleten gegeneinander an. Wieder geht es nicht gerade sanft zu. Der Kanadier Kyle Croxall schiebt sich an dem Finnen Arttu Pihlainen und dem Tschechen Lukas Kolc vorbei, die beiden straucheln, mit dem Knie schrammeln sie auf dem Eis entlang und sind fortan chancenlos. Warum der 21-jährige Kanadier Croxall Ice Cross Downhiller geworden ist? "I like rough sport." Ihm gefällt es, wenn es grob zugeht.

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