Hygiene:"Gravierende Mängel" in 125 bayerischen Betrieben

Zustände wie bei Müller-Brot sind offenbar kein Einzelfall: Nach Recherchen der SZ hat das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zwischen 2006 und 2010 landesweit 935 Lebensmittelbetriebe untersucht - und in 125 Betrieben "gravierende Mängel" gefunden. In 91 Fällen ermittelten sogar Staatsanwälte.

Dietrich Mittler, Olaf Przybilla, Katja Riedel

In Aschaffenburg zum Beispiel haben die Lebensmittelkontrolleure diese Woche zugeschlagen. Mehrere Backstuben wurden seit Dienstag kontrolliert, und beim Familienbetrieb R. wurde man fündig. Schädlingsbefall und Verunreinigungen wurden festgestellt, der Betrieb am Donnerstag geschlossen.

Verschmutzung in Lebensmittelbetrieben

Verdreckte Rohre, schimmelige Teigträger: Lebensmittelkontrolleure stoßen in manchen Betrieben auf ekelhafte Zustände.

(Foto: SZ)

Viel will die Staatsanwaltschaft nicht sagen, ein laufendes Verfahren, es gehe um mögliche Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften. Der zuständige Ordnungsreferent Aschaffenburgs, Meinhard Gruber, wird ein wenig präziser: Nein, nicht nur um Spinnweben gehe es, "auch um Mäusekot", der in der Backstube gefunden worden sein soll.

Ein vergleichsweise normaler Vorfall, sagt er. Routinemäßig werden alle Bäckereien kontrolliert, und dass die "immer mal wieder nachreinigen müssen", sei an der Tagesordnung. Wie auch bei Bäcker R. Auch diesmal, sagen die Kontrolleure, bestehe keine Gefahr für die Gesundheit der Konsumenten, die Ware sei deswegen nicht zurückgeholt worden.

Ein insofern eher alltäglicher Vorgang, doch durch den Skandal bei Müller-Brot fühlt sich der Bäcker plötzlich "geradezu verfolgt". Er habe ein neues Kabel verlegt, im Schacht müsse es zu Verunreinigungen gekommen sein - und eben auch zu Schädlingsbefall. Kein Mensch hätte sich normalerweise dafür interessiert, jetzt riefen wegen Müller-Brot die Medien an. R. empfindet das als "Hetzjagd".

Konkreter Betrugsverdacht

Als Jäger würden sich die Kontrolleure der Spezialeinheit des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vermutlich nicht bezeichnen. Sie werden von den Kreisbehörden in besonderen Fällen hinzugezogen. Und ihr Alltag sieht so aus: 935 Betriebe der Lebensmittelbranche hat die Spezialeinheit allein zwischen 1. September 2006 und 31. Mai 2010 kontrolliert. In 125 Betrieben fielen "gravierende Mängel" auf, in 91 Fällen ermittelte sogar die Staatsanwaltschaft, mitunter bestand konkreter Betrugsverdacht.

All das ist einer Präsentation zu entnehmen, die ein Mitarbeiter der Spezialeinheit im Juni 2010 der Vereinigung der Backbranche vorstellte. Er zeigte, was in bayerischen Bäckereien so zu finden ist: tote Mäuse, Insekten und anderes Getier, verdreckte Hefeleitungen, verschimmelte Abflüsse. Bilder, die eher an stillgelegte Weltkriegsbunker denken lassen. "Dabei müsste es eigentlich in solchen Großbetrieben aussehen wie in einem OP-Saal", sagt Gero Beckmann. "Zwar sagen einige Verantwortliche immer, eine Maus oder Motten in Bäckereien seien ganz normal - aus meiner Sicht ist es das aber keinesfalls."

Der Lebensmittelhygieniker arbeitet in einem Bad Kissinger Labor, das Proben aus unterschiedlichen Betrieben analysiert. Beckmann ist schockiert über die Verhältnisse bei Müller-Brot, wundert sich aber nicht: "In der deutschen Nahrungsmittelwirtschaft arbeiten immer weniger Ausgelernte", sagt er. Auch Reinigungskräfte würden oft nicht nach Qualität, sondern nach Preis ausgesucht.

Verschmutzte Produktionsanlagen, unhygienische Mitarbeiter

Doch ob dies tatsächlich ein flächendeckendes Problem ist, darüber lässt sich kaum ein Überblick verschaffen. Im jüngsten Jahresbericht des LGL heißt es, dass 2010 insgesamt 33 Bäckereibetriebe von der Spezialeinheit Lebensmittelsicherheit untersucht wurden. Vier von ihnen wiesen gravierende Mängel auf. Wie jetzt auch bei Müller-Brot, habe der Bereich der Produktionshygiene "am häufigsten Anlass zu Beanstandungen" gegeben.

Verschmutzung in Lebensmittelbetrieben

Zustände wie bei Müller sind offenbar keine Seltenheit, auch in anderen Betrieben stießen die Kontrolleure auf ekelhafte Bedingungen.

(Foto: SZ)

Oft stießen die Kontrolleure in diesen Fällen auf stark verschmutzte Produktionsanlagen oder Arbeitsgegenstände. Auch ließ offenbar bisweilen die persönliche Hygiene der Mitarbeiter zu wünschen übrig. "Unhygienische Lagerung von Lebensmitteln sowie der Befall mit Schädlingen" steht ebenfalls hoch oben auf der Beanstandungsliste.

Routinemäßige Stichproben in den Labors des LGL bringen oft Mängel ans Licht, wenn auch nicht unbedingt gesundheitsgefährdende. 2010 etwa wurden laut LGL in 627 Fällen Brote und Kleingebäcke untersucht, dabei kam es zu immerhin 130 Beanstandungen, also in rund 20 Prozent. Bei insgesamt 1652 feinen Backwaren - zum Beispiel Blätterteiggebäck - waren die Prüfer mit 230 Warenproben nicht einverstanden (fast 14 Prozent). Höhere Beanstandungsraten gibt es nur bei einigen Fleischprodukten (bis zu 25 Prozent) oder alkoholfreien Getränken (24,5 Prozent).

Andreas Rossa von der Staatsanwaltschaft Memmingen hat viel Erfahrung mit Verstößen in der Lebensmittelbranche. Er ermittelte etwa im Ekelfleisch-Skandal 2007. In zehn bis 20 Fällen setzt er sich jährlich mit der Spezialeinheit Lebensmittelsicherheit in Verbindung. Etwa dreimal rückten sie 2011 bei ihm an.

Die LGL-Experten bereiteten ihn zum Beispiel vor der Hausdurchsuchung in einem Schlachthof mit detaillierten Lageplänen darauf vor, wo er fündig werden könnte. In schwierigen Fällen reisen Veterinäre oder Lebensmittelchemiker aus Oberschleißheim an, um Ermittler und lokale Gesundheitsämter beim Sichern von Daten und Beweisen zu unterstützen. Der erste Verdacht kommt meist von den Kontrolleuren der Landratsämter - weil ihnen bei Routinekontrollen Ungereimtheiten auffallen oder sie Hinweise aus der Bevölkerung erhalten.

In Würzburg und in Regensburg wurden inzwischen sogar Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet: Sie sind gefragt, wenn Kriminelle im großen Stil und landesweit ungenießbare Ware produzieren oder auf den Markt bringen.

Das fünfköpfige Team in Regensburg wird von Wolfhard Meindl geleitet. Er hat das "Bauchgefühl", dass die Zahl der Vergehen und Verstöße in der Lebensmittelbranche zurückgeht - weil die Behörden genauer hinsähen. "Ich habe den Eindruck, dass die Dichte der Kontrollen in den zurückliegenden Jahren zugenommen hat - und das hatte durchaus positive Auswirkungen", sagt Meindl.

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