Hungerstreik:Letzte Eskalation

Die demonstrierenden Flüchtlinge am Sendlinger Tor kündigen am Freitag an, nun auch nichts mehr trinken zu wollen. Bis zum späten Nachmittag müssen 15 von ihnen ins Krankenhaus eingeliefert werden - dann entschließen sich Polizei und Kreisverwaltungsreferat zur Räumung des Platzes

Von Christian Gschwendtner

Es ist Freitagabend, kurz nach 17 Uhr, als die Münchner Sicherheitsbehörden nicht mehr länger zusehen wollen: Nach Tagen der Eskalation rund um das Flüchtlingscamp auf dem Sendlinger-Tor-Platz beginnen die Münchner Polizei und das Kreisverwaltungsreferat (KVR) mit der Räumung des Platzes. Ein Vertreter des Kreisverwaltungsreferats liest den Auflösungsbescheid vor, anschließend haben die Demonstranten Zeit, den Platz zu räumen. Die Behörden hätten handeln müssen, um die Gesundheit der Teilnehmer zu schützen, auch angesichts der sinkenden Temperaturen und der Ankündigung der Flüchtlinge, den Hungerstreik auszuweiten, heißt es in Durchsagen am Ort und in Botschaften der Polizei auf Twitter. 600 Einsatzkräfte sind am Sendlinger Tor, die Polizei kesselt den Platz zunächst ein. Jeder könne aber das Gelände verlassen, sagt ein Polizeisprecher. Nach 18.30 Uhr beginnen die Flüchtlinge und ihre Helfer dann selbst damit, das Gelände zu räumen. Sie packen zusammen, die meisten Demonstranten sind aus eigener Kraft in der Lage, den Platz zu verlassen. Dennoch kam es bis zum Abend zu 18 Notfalleinsätzen, weil viele Menschen geschwächt sind. Am Ende läuft aber alles reibungslos: Kurz nach 19 Uhr ist das Gelände wieder frei, die Flüchtlinge selbst räumen ihre Sachen auf. Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle zeigt sich am Sendlinger-Tor-Platz erleichtert. "Ich bin froh, dass es auf diese Weise abgelaufen ist." Der Münchner Ordnungschef macht selbst Durchsagen an die Flüchtlinge auf Deutsch und Englisch. Eine Alternative zur Räumung habe es nicht gegeben, sagt er. "Es war erkennbar, dass die Situation bedrohlich wird angesichts der immer steigenden Zahl der Einsätze." Es gebe eine Schutzpflicht der Behörden. Den ganzen Tag über gab es Treffen der Sicherheitsbehörden, um 14 Uhr fällt die Entscheidung, noch am selben Tag zu räumen. Als es dann soweit ist, riegeln Sicherheitskräfte den Zugang zur Straßenbahn ab, der Trambahnbetrieb wird eingestellt. An der Lindwurmstraße stehen etwa 15 Krankenwagen parat. Ganz ohne Turbulenzen geht das Ende des Camps aber nicht ab. Direkt am Sendlinger Tor bilden Demonstranten eine Menschenkette um einen Baum, sechs von ihnen steigen auf ihn, ausgestattet mit Mützen, Schals, Rucksäcken und Schlafsack. "Der Streik geht auf den Bäumen weiter", skandieren sie. "Sagt es alle laut, dass Flüchtlinge willkommen sind!" Passanten liefern sich heftige Wortgefechte auf der Straße vor dem Baum. Polizisten versuchen zu schlichten, greifen aber nicht ein. Vorsorglich sind Mitglieder einer Höhenrettungstruppe der Polizei dabei. Adeel Ahmedi, ein Sprecher der Demonstranten, kritisiert das KVR: "Warum hat man unseren Protest beendet? Wir waren noch nicht so krank. Das ist nicht fair", sagt er per Telefon vom Baum herunter. Den ganzen Tag über standen die Zeichen auf Eskalation. Die Flüchtlinge hatten am Freitagvormittag verkündet, dass sie von Samstag an auch nichts mehr trinken wollen. Man werde in einen trockenen Hungerstreik treten, sagt Muhammad Qasim, einer der Hauptorganisatoren. Immer wieder sieht man weggetretene Demonstranten, die apathisch am Boden liegen. Die Sanitäter kommen mit der Behandlung oft nicht hinterher - obwohl phasenweise bis zu drei Krankenwagen am Rondell parken. Dass es so weit gekommen ist, ist für die Flüchtlinge zweifellos die Schuld der hiesigen Politiker. Sie hätten beharrlich jeden Dialog verweigert, und zwar seit zweieinhalb Monaten.

"Wir müssen immer mit unserem Leben spielen, damit wir gehört werden", sagt die Kurdin Narges auf einer Pressekonferenz. Sie ist davon überzeugt, dass die Regierungsvertreter sofort da wären, wenn Deutsche nur einen Tag in Hungerstreik träten. Die 33-Jährige verpackt ihre Worte in eine antikapitalistische Generalkritik. Doch ihre Botschaft geht im Trubel unter, den die Rettungseinsätze verursachen. Um 22.30 Uhr sind mittlerweile zwölf Menschen auf den Bäumen.

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