Hungerstreik in Freimann beendet:Jung, traumatisiert, allein gelassen

Hungerstreik in Freimann beendet: Die einzige Ablenkung: Der Fernseher. Eine vernünftige Betreuung, die traumatisierte junge Menschen dringend bräuchten, gibt es hier nicht.

Die einzige Ablenkung: Der Fernseher. Eine vernünftige Betreuung, die traumatisierte junge Menschen dringend bräuchten, gibt es hier nicht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Sie essen wieder: Die minderjährigen Flüchtlinge in der Bayernkaserne haben ihren Hungerstreik beendet. Ihre Betreuer warnen aber vor einer weiteren Eskalation: Die umstrittene Aktion könnte erst der Auftakt zu einem größeren Drama sein.

Von Dietrich Mittler

Der Hungerstreik von 29 jugendlichen Asylbewerbern in der Münchner Bayernkaserne ist zu Ende. Am Freitagabend erklärten sich die jungen Männer im Alter zwischen 16 und 18 Jahren nach einem Gespräch mit Vertretern der Regierung von Oberbayern, des Münchner Stadtjugendamts und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge dazu bereit, wieder Nahrung zu sich zu nehmen.

Wie die Regierung von Oberbayern mitteilte, versicherten die Behördenvertreter den jungen Flüchtlingen, dass ihnen allen ein Platz in einer Jugendhilfe-Einrichtung sicher sei. Dort können die vielfach von ihren Fluchterlebnissen traumatisierten Jugendlichen unter anderem auch psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Ziel sei es, dies bereits zum Jahreswechsel zu ermöglichen, spätestens aber im ersten Quartal 2014.

"Es werden alle Jugendlichen, die sich derzeit im Haus 58 befinden, in entsprechende Jugendhilfeeinrichtungen kommen, sobald passende Plätze frei sind", stellte Regierungsvizepräsidentin Maria Els noch in der Bayernkaserne klar. Es müsse aber auch "kein Jugendlicher mit Jugendhilfebedarf das Haus 58 verlassen, solange kein Jugendhilfeplatz gefunden wurde". Zur Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge will die Stadt München nun in Absprache mit dem bayerischen Sozialministerium 50 Plätze in Jugendhilfe-Einrichtungen schaffen.

Kurzschlussreaktionen "eindeutig absehbar"

Besonders belasteten Jugendlichen bot das Stadtjugendamt beim Gespräch am Freitag bereits 23 freie Plätze in der stationären Jugendhilfe an - diese seien allerdings bayernweit verteilt. Zusätzlich will die Behörde laut einem Sprecher weitere Kapazitäten schaffen, um Engpässen begegnen zu können. Wie dringend der Handlungsbedarf ist, zeigt ein kürzlich verfasster Situationsbericht der Inneren Mission, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

In ihm wird vor einer weiteren Eskalation gewarnt. Wenn sich jetzt nicht wirklich grundlegend etwas zum Besseren ändere, sei der mittlerweile bereits zweite Hungerstreik der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in der Bayernkaserne der Auftakt zu einem Drama weit größeren Ausmaßes. Die Jugendlichen seien derart verzweifelt, dass Kurzschlussreaktionen geradezu "eindeutig absehbar" seien - angefangen bei der Zunahme von Selbstverletzungen bis hin zum Suizid oder zu Verzweiflungstaten, die wiederum andere Menschen gefährden.

Das Haus 58 auf dem Gelände der Bayernkaserne, in dem die Jugendlichen teils seit einem Jahr ausharren, sei hoffnungslos überfüllt. 120 Bewohner dürften dort untergebracht werden, tatsächlich lebten hier gut 180 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahren dicht gedrängt zusammen. "Durch die überfüllten Zimmer und die überlasteten sanitären Anlagen haben die Jugendlichen keine Privatsphäre und keine Möglichkeit, nach den Strapazen der Flucht zur Ruhe zu kommen", heißt es in dem Bericht.

"Die Leute werden ruhig gestellt"

Es bedurfte erst dieses Alarmrufes bis sich die Behördenvertreter ein Bild über die Lage verschafften und konkret nach einer Lösung suchten. Dies ist zwar ein Fortschritt, aber Michael Stenger, Vorsitzender des Trägerkreises Junge Flüchtlinge, will sich keiner Illusion hingeben: "Es ist wie beim letzten Hungerstreik vor eindreiviertel Jahren. Die Leute werden ruhig gestellt, es wird ein bisschen was verändert, aber im Prinzip bleibt es beim Alten." Die Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in der Bayernkaserne sei "ein Schandfleck für unsere Gesellschaft", sagt er.

Zusätzlich verschärft hatte die Lage eine an sich positive Ankündigung der früheren Sozialministerin Christine Haderthauer im August: "Möglichst zum Jahreswechsel, spätestens aber im ersten Quartal nächsten Jahres" sollten die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF) nur in Jugendhilfe-Einrichtungen untergebracht werden. Die Wohlfahrtsverbände applaudierten: Dort komme ihnen endlich die psychologische Hilfe zu, die die von Kriegsgeschehen und Flucht traumatisierten Jugendlichen dringend bräuchten.

Der Applaus war voreilig, wie sich nun zeigt. Die Voraussetzungen für eine Umverteilung im großen Stil liegen gar nicht vor, wie die sogenannte Fachbasis Asyl in München in einem Brandbrief warnt: "Der Schließungstermin 31.12.2013 ist zu früh und bei der hohen Zahl von UMF niemals haltbar." Derzeit gebe es schlichtweg nicht genug Jugendhilfeplätze. Verschärfend komme hinzu, dass der Betreuungsvertrag der Inneren Mission zum Jahresende ausläuft - und dann drohten die Jugendlichen ohne Beistand allein gelassen zu werden. Schon jetzt seien die Betreuer überfordert, der ohnehin zu niedrig angesetzte Betreuungsschlüssel sei "bei weitem überstrapaziert".

Aus dem Ministerium hieß es nun: "Der Freistaat kann die Kommunen nicht verpflichten, Jugendhilfeplätze zu schaffen." Es hänge alles davon ab, dass die Kommunen dies rasch täten. "Der von uns seit Langem geforderte Systemwechsel kam jetzt sehr kurzfristig", heißt es indes aus dem Münchner Sozialreferat. "Ich bin entsetzt, wie lange man da schon rumeiert", sagt Stenger, dessen Verein wenigstens einem Teil der Jugendlichen Unterricht anbieten kann. "Die hungern danach ", sagt er. Manche hätten bis zum Schluss die Hoffnung gehabt, dass sich für sie nun eine Chance auftut.

Doch während des Wartens seien einige 18 Jahre alt geworden. Sie müssten nun befürchten, unbetreut in einer Erwachsenen-Unterkunft zu landen. "Die haben eine Wahnsinnsangst, dass nachts irgendwelche Busse kommen, sie abholen und ins Hinterland verfrachten, wo sie wieder ohne Perspektive dastehen", schildert Stenger die Stimmung. "Wir sind besorgt, dass sie sich und andere in Gefährdungssituationen bringen werden", heißt es dazu im Bericht der Inneren Mission.

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