Hundert Jahre Knastgeschichte:Zu klein, zu alt, zu wenig Platz

Das Frauengefängnis Neudeck ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit - bald kommt der Umzug nach Stadelheim.

Susi Wimmer

An der Wand hängen nachgemalte Raffael-Engel, der einzige Schmuck in dem Zimmer. Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein abgeschrubbter weißer Holzschrank. Und gleich neben dem Bett, mitten im Zimmer, Waschbecken und Klo. Keine Türen, nur ein Frotteevorhang . Dafür ist die Türe nach draußen um so massiver. Hier, auf etwa zehn schmalen Quadratmetern, "brummen" die weiblichen Untersuchungshäftlinge für die meiste Zeit des Tages und in der Nacht sowieso.

Hundert Jahre Knastgeschichte: Idyllisch am Auer Mühlbach gelegen, allerdings technisch hoffnungslos veraltet, überbelegt und gefährlich: Das Frauen- und Jugendgefängnis Am Neudeck.

Idyllisch am Auer Mühlbach gelegen, allerdings technisch hoffnungslos veraltet, überbelegt und gefährlich: Das Frauen- und Jugendgefängnis Am Neudeck.

(Foto: Foto: Andreas Heddergott)

"Neudeck entspricht nicht der Höhe der Zeit", formuliert es Abteilungsleiterin Mariona Hauck vorsichtig. Nicht nur die Juristin ist froh, wenn sie aus dem verwinkelten Altbau am Auer Mühlbach herauskommt - und in das moderne Gefängnis an der Stadelheimer Straße umzieht. Am heutigen Mittwoch wird Richtfest für die neue JVA gefeiert.

Neudeck platzt aus allen Nähten

Neudeck, das sind über 100 Jahre gelebte Knastgeschichte. Neudeck, das sind auch unübersichtliche Gänge, Mauern, über die man leicht Handys und Drogen werfen kann, teilweise überbelegte Zellen, kaum Möglichkeiten für Sport- oder Gruppenaktivitäten. Kurzum: Neudeck ist ein veralteter Knast, der aus allen Nähten platzt.

Rita Baier, Dienstleiterin in Neudeck, blickt kurz aus dem vergitterten Fenster: Gerade ist Hofgang. Frauen, hauptsächlich in Trainingsanzügen, laufen in dem kleinen Innenhof im Kreis. Allesamt Untersuchungshäftlinge. Sie müssen nicht arbeiten. Bis auf die Stunde Hofgang am Vormittag und eine Stunde Umhergehen im kleinen Hausgang sitzen sie permanent in der Zelle.

Zu klein, zu alt, zu wenig Platz

Eventuell machen die Frauen noch bei den Gruppenstunden mit: Ein Pfarrer bietet eine Poesiestunde an, dann gibt es noch Angebote wie die christliche Gruppe oder den Bastelkurs. "In Zukunft werden wir dann eine kleine Turnhalle haben und mehr Gruppenangebote", sagt Rita Baier. Man müsse einfach mehr tun für die Resozialisierung der Insassinnen - und der Sport sei gut, um die Aggressionen abzubauen.

Hundert Jahre Knastgeschichte: Spätestens Mitte 2009 will man in die neue JVA an der Stadelheimer Straße umziehen. Am heutigen Mittwoch wird Richtfest gefeiert.

Spätestens Mitte 2009 will man in die neue JVA an der Stadelheimer Straße umziehen. Am heutigen Mittwoch wird Richtfest gefeiert.

(Foto: Foto: dpa)

Kriminelle Frauen sind im Kommen

74 Haftplätze bietet Neudeck für Frauen an. Zu wenige. Denn was die Kriminalität anbelangt, sind die Frauen im Kommen. "Wir sind ziemlich ausgelastet", klagt Mariona Hauck. In der neuen JVA soll die Anzahl der Plätze mehr als verdoppelt werden - auf 160. Neben Untersuchungshäftlingen ("das geht durch alle Deliktbereiche, vom Mord bis zum Ladendiebstahl") werden auch Frauen einsitzen, die zu Haftstrafen von bis zu neun Monaten verurteilt wurden.

"Drogen, Betrügereien, Vermögensdelikte", zählt Rita Baier auf, seien so die typischen Frauendelikte. Und Frauen, sagt die Dienstleiterin, seien im Strafvollzug unproblematischer als die Männer. "Sie ertragen die Haft anders, Männer sind da aggressiver." Wobei - in einem Punkt seien die Männer wieder pflegeleichter: Regeln oder Anweisungen nehmen sie leichter hin, "denn Frauen wollen immer alles ausdiskutieren".

6 Uhr Frühstück, 7 Uhr Arbeit, 11 Uhr Mittagessen, Pause bis 12 Uhr, Arbeit bis 15 Uhr, Hofgang bis 16 Uhr, Abendessen in der Zelle, gegen 17 Uhr Einschluss. So sieht der Alltag für die Frauen mit Haftstrafen aus. Die Jobs reichen vom Putzkommando in Stadelheim über die Wäscherei, den Nähsaal bis hin zu Verpackungsarbeiten. Abends dann muss nach den Wärterinnen geklingelt werden, wenn das Licht aus- oder angeschaltet werden soll.

Zehn Mutter-Kind-Plätze

Notruf in der Zelle, Gegensprechanlagen, Lichtschalter in der Zelle, Zellentoiletten in Kabinen mit Abluftfilter, Motorschlösser an den Türen, Fassadenüberwachung, Sport- und Gruppenräume: "Für uns wird es im neuen Gefängnis einfacher werden", hofft Mariona Hauck. Der Bau mit einem Gesamtvolumen von 52 Millionen Euro soll am 27. Oktober 2008 übergeben werden, läuft dann im Probebetrieb und soll Mitte 2009 endgültig seine Bestimmung erfüllen.

Zu klein, zu alt, zu wenig Platz

Neben zehn Mutter-Kind-Plätzen wird es wieder Plätze für den Jugendarrest geben. Auch hier mehr als in Neudeck: 60 statt bislang nur 47. Derzeit sitzen drei Mädchen in Neudeck in Untersuchungshaft, die restlichen Plätze fallen unter den Bereich "Arrest" und sind in der Mehrzahl von männlichen Jugendlichen belegt. So ein Einschluss, erzählt Rita Baier, sei für einige Jugendliche schon ein einschneidendes Erlebnis: "Kein Handy, kein Computer, keine Playstation, stattdessen Einschluss gegen 16 Uhr, da brechen Welten zusammen."

Filmreifes Sägen am Fenster zum Innenhof

Manche, sagt sie auch, halten den Einschluss schlecht aus, sie weinen oder flüchten sich in Krankheiten. Und Jugendliche, erzählt sie, neigen auch zu wenig durchdachten Aktionen: Wie der Bursche, der begonnen hatte, ganz filmreif am Fenstergitter herumzusägen. "Allerdings war es das Fenster zum Innenhof."

In der neuen JVA an der Stadelheimer Straße 4 bis 6, unweit des bestehenden Männer-Gefängnisses, wird zum Sägen kaum Gelegenheit bleiben: Was die Sicherheit anbelangt, ist der dunkelrote Bau auf dem neuesten Stand der Technik. Aus dem normaler Haushalt, so sagt Justizministerin Beate Merk, hätte man den Neubau nicht finanzieren können.

So entstand erstmals die Konstellation, dass ein privater Investor Planung, Bau, Vorfinanzierung und Facility-Management übernimmt. Der Freistaat zahlt dafür 20 Jahre lang eine bestimmte Summe, danach geht die JVA in seinen Besitz über. Einen Stacheldraht oder Mauern wird es dort nicht geben, einziger Schutz ist die speziell konzipierte Außenmauer.

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