Hundeerziehung:"Lumpi, gehst her oder ned?!"

Ein Dackel.

Sagt der Dackel-Besitzer: "Lumpi, gehst her oder ned?!" Und Lumpi geht her. Oder nicht.

(Foto: picture alliance / dpa)

Dackel, Dalmatiner oder Dogge sind nicht automatisch liebe Begleiter. Sie müssen erzogen werden, damit die Konflikte zwischen Hundehaltern und Hundehassern nicht weiter eskalieren. Ein Hundeführerschein könnte die Situation entspannen.

Von Karl Forster

"Dem Hunde, wenn er gut erzogen, wird selbst ein weiser Mann gewogen." - Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, Vers 1174.

Die Problematik rund um den Hund erklärt sich in einem uralten Witz. Sagt der Dackel-Besitzer: "Lumpi, gehst her oder ned?!" Und Lumpi geht her. Oder nicht. Dieses "Oder nicht" steht als rhetorische Floskel für das Unvermögen, einen Hund zu halten. Ob Dackel, Dalmatiner oder Dogge, wenn Herrchen oder Frauchen den Befehl zum Kommen geben, egal in welcher Sprache und mit welchen Worten oder Pfiffen, hat der Hund zu kommen. Und zwar sofort.

Der Befehl muss ja nicht so kulturbeladen sein wie bei Thomas Mann in der Novelle "Herr und Hund" über seinem Mischling Bauschan: "Auf den Stufen, welche zur Haustüre führen, lasse ich dann einen Pfiff von zwei Tönen hören, Grundton und tiefere Quart, so, wie die Melodie des zweiten Satzes von Schuberts unvollendeter Sinfonie beginnt. . ." Bauschan kommt wie der Blitz, erweist sich aber viele großartige Sätze später weit weniger gehorsam, wenn es im Gebüsch was zu jagen gibt.

Die Folgsamkeit des Hundes ist der Schlüssel im derzeit wieder einmal ausufernden Streit zwischen Hundehaltern und jenen Menschen, die entweder prinzipiell oder wegen schlechter, im schlimmsten Fall tödlicher Erfahrungen freilaufende Hunde als unerträglich empfinden. Und beide Seite geraten hierbei in Gefahr, ihre Positionen aus Ärger und Hilflosigkeit mit Argumenten zu verteidigen, die bei genauerer Betrachtung vollkommen schwachsinnig sind. Seitens der obwaltenden Kommunalpolitik werden dann manchmal ebenso schwachsinnige Bestimmungen erlassen.

Bestes Beispiel aus mehreren Orten um München herum: die Unterscheidung zwischen kleinen und großen Hunden und die daraus folgenden unterschiedlichen Einschränkungen. Hier müssen Hunde von einer gewissen Schulterhöhe angeleint werden nach dem Motto: je größer, desto gefährlicher. Welch ein Unsinn!

Nehmen wir mal den Jack Russel Terrier. Dessen angeborener (angezüchteter) Verhaltensmodus inklusive der äußerst geschätzten Veranlagung seines Vorgängers, des Foxterriers, macht ihn zum genialen und unerbittlichen Jäger. Zum Beispiel von Ratten. Der Hund hat den Instinkt zu töten. Seine Widerristhöhe wird zwischen 25 und 38 Zentimeter angegeben. Sein Wesen gilt als lebhaft, wachsam, aktiv, kühn und furchtlos. Es gibt Jack-Russel-Besitzer, die den netten Kleinen auch "Abrissbirne" nennen. Dagegen Deutsche Dogge oder Irischer Wolfshund, zwei der größten Hunde der Welt: Beide gelten als "freundlich, liebevoll, anhänglich und mit sehr hoher Reizschwelle ausgestattet". So viel zum Thema Gefahr und Hundegröße.

Der Kangal ist offiziell gefährlich, der Komondor nicht

Zielführender ist da schon die Unterscheidung der einzelnen Rassegruppen, die derzeit meist nur zwischen gefährlichen und nicht gefährlichen, also Kampf- und Nichtkampfhunden getroffen wird. Das ist zwar nicht falsch, aber ungenügend und inkonsequent.

Ziemlich hip ist derzeit etwa der Kangal, ein türkischer Herdenschutzhund. Seine eigentliche Aufgabe, wie auch die seines ungarischen Kollegen Komondor, ist die Bewachung von Schaf- oder Rinderherden. Beide werden in ihrer Heimat noch immer eingesetzt. Und beide nehmen es, wenn es sein muss, mit einem Rudel Wölfe auf. Wer einmal gesehen hat, wie ein tagsüber ach so schläfriger Kangal oder Komondor bei der Abenddämmerung erwacht und sich in Hab-Acht-Positur setzt, ahnt deren tödliche Entschlossenheit, wenn es etwas zu verteidigen gilt. Der Kangal steht in Deutschland auf der "Gefährlichen"-Liste, der Komondor nicht. Eine unverständliche Behördenwillkür.

Noch mehr in Mode als Kangal und Co. sind derzeit Hunde aus Ländern, in denen Tierschutz ein Fremdwort ist: Rumänien, Ungarn und vor allem Spanien. Dort (und nicht nur dort) gibt es eine Unzahl von Straßenhunden, die sich mehr oder weniger ungehindert vermehren. Die Behörden greifen zu rigorosen Methoden, um mit diesem auch hygienischen Problem fertig zu werden: Sie lassen die Hunde einfangen und nach kurzer Karenzzeit (für den Fall, dass es doch einen Besitzer gibt) töten.

Hunde aus solchen Tötungsstationen zu holen und in die so hundefreundliche deutsche Welt zu bringen, ist derzeit offenbar vornehmste Aufgabe diverser Tierschutzverbände. Die Werbesprüche für diese Hunde sind bekannt: lieb, treu, menschenbezogen und so weiter. Man könnte aber auch sagen: absolut unerzogen, geschult im Kampf um alles Fressbare, psychisch schwer einschätzbar. Sicher, nicht jeder solche Straßenhund ist gefährlich, aber die Chance, dass dieser Hund, egal ob groß oder klein, unter gewissen Stresssituationen aus der Rolle fällt, ist weit größer als bei einem Hund aus guter Zucht.

Ein guter Züchter kennt dagegen die rassetypischen Macken und Vorzüge seiner Hunde genau. Das sind keine Vorurteile, sondern eindeutige Erkenntnisse: Der Beagle ist ein Jagdhund mit kaum abtrainierbarem Trieb. Der Spaniel frisst, bis er platzt. Der Border Collie muss arbeiten, sonst wird er psychisch krank, und der ungarische Puli will alles und jeden hüten. So schaut ein guter Züchter auch darauf, ob Herr und Hund auch zusammenpassen.

Leider wird mit der Hundezucht auch viel Schindluder getrieben. Sogenannte "Vermehrer" jagen die Weibchen von einer Trächtigkeit in die nächste und verscherbeln dann die Welpen weit unter Zuchtpreis und ungeachtet der Eignung der Käufer. So kann es kommen, dass ein zentnerschwerer Dobermann, eine eigentlich friedliche Rasse, die aber das Gen "mannfester Hof- und Haushunde" in sich haben, an eine hundeunerfahrene Besitzerin gerät. Eine höchst gefährliche Kombination.

Lisa statt Lumpi und Willi statt Waldi

Und dann ist er also da, der Kleine, irgendwas zwischen acht und zwölf Wochen alt, entwurmt und gechipt, aber noch nicht stubenrein. Bis dieser kleine, süße, niedliche, allerliebste, weichbäuchige, treuherzige Hund ein erwachsener, funktionierender Freund und Begleiter seiner Herrchens oder Frauchens ist, dauert es drei Jahre. Bis er - zu neunundneunzig prozentiger Sicherheit, ein Rest bleibt immer - "Sitz", "Platz", "Stopp" und "Hierher", also die lebens- und überlebenswichtigen Befehle befolgt, muss jedes Kommando 5000 Mal wiederholt werden.

Das ist Arbeit. Hierzulande setzen dabei Hundetrainer - der bekannteste ist dank perfekter Eigenvermarktung Martin Rütter - auf das Prinzip Bestätigung durch Belohnung, sein amerikanischer Kollege Cesar Millan dagegen deutlicher auf Unterwerfung, wenn es sein muss durch Körperkontakt. Wie auch immer: Die Zeit, bis ein Hund erzogen ist, ist bei aller Duzi-Duzi-Welpen-Fröhlichkeit voller Tücken, egal um welche Rasse es sich handelt. Vor allem in der Großstadt.

Es ist vielleicht der Anonymität der Großstadt zu verdanken, dass gerade hier das Haustier oft zu des Menschen Partner upgegradet wird. Die sonntägliche WDR-Sendung "Tiere suchen ein Zuhause" (die allerdings auch Hunde aus Tötungsstationen anbietet) hat unlängst eine Studie veröffentlicht, derzufolge Hunde immer häufiger Menschennamen bekommen. Also "Lisa" statt "Lumpi" und "Willi" statt "Waldi". Das ist nicht verwerflich, aber Indiz für einen Rollenwechsel des Hundes.

Erfreulich an dieser Tendenz ist, dass viele, vor allem großstädtische Hundebesitzer auch mehr Verantwortung für ihren Freund übernehmen und die Hundeschule besuchen (die ja immer auch eine Hundebesitzerschule ist). Von der ersten Welpenstunde an lernen die Hunde da nicht nur Kommandos und dass sie einen Chef, einen Rudelführer haben, sondern auch, dass es vierbeinige Konkurrenten gibt, mit denen man sich arrangieren muss. Man nennt das Sozialisation.

Forscher haben längst herausgefunden, wie Hunde untereinander kommunizieren. Sie haben über alle Rassen hinweg Beschwichtigungssignale entwickelt, mit denen sie dem anderen ihre Befindlichkeit mitteilen. Das geht vom Züngeln, den Kopf abwenden, erstarren oder die Bewegung verlangsamen bis zum Hinlegen. Solche Demutsgebärden gehen zurück bis zu des Hundes Urform, dem Wolf und seinem Verhalten im Rudel.

Der Hundeführerschein muss Pflicht werden

Wer mit seinem Hund draußen auf dem Land und auch im Englischen Garten oder am Flaucher der Großstadt spazieren geht, wird feststellen: Die Hunde in der Stadt sind wesentlich besser sozialisiert als die auf dem Land. Ist ja auch logisch: Hier gibt es mehr Konkurrenz, hier muss man sich öfter arrangieren.

A Hungarian Puli is seen outside the Chelsea and Westminster hospital in west London

Dem ungarischen Puli werden alle positiven Eigenschaften der Hundewelt nachgesagt, aber auch eine gewisse Willensstärke, unprosaisch Sturheit genannt.

(Foto: REUTERS)

Doch auch der besterzogene Hund ist, vor allem vor dem dritten Lebensjahr, letztendlich unberechenbar. Unvergessen bleibt die Szene mit dem acht Monate alten Puli namens Derci, einem ungarischen Hirtenhund, dem zwar alle positiven Eigenschaften der Hundewelt nachgesagt werden, aber auch eine gewisse Willensstärke, unprosaisch Sturheit genannt. Derci entdeckt winters auf der Wiese südlich des Kleinhesseloher Sees plötzlich etwas für ihn Interessantes. Die Rute hoch - was heißt: Jetzt mache ich Unsinn -, und ab geht die Post. Laut und fröhlich bellend rast Derci auf einen Mann zu, der einen Schlitten zieht, auf dem ein kleines Kind sitzt. Derci ist außer sich vor Begeisterung: endlich ein Spielkamerad. Dercis Herrchen rast, so gut es geht, hinterher und kann den guten Mann mit dem Schlitten gerade noch davon abhalten, diesen auf das achtmonatige Monster zu schleudern. Es war am Herrchen, es mit Beschwichtigungsgesten zu versuchen. Derci ging die kommenden Wochen wieder an der Leine.

Es wird immer wieder solche Szenen geben. Auch beim strengstem Leinenzwang wird sich ein Hund losreißen und dann, weil nicht an ein Leben ohne Leine gewöhnt, womöglich noch größeren und gefährlicheren Blödsinn anstellen. Unlängst hat sogar ein bestens erzogener und geschulter Polizeihund einen Menschen angefallen. Und selbst der kinderliebste Hund kann zur Gefahr werden, weil Kinder oft die Gesten des Hundes, wenn ihm das Herumgespiele zu viel wird, nicht verstehen. Da hilft kein Leinenzwang. Und auch ein Maulkorb wird zu Hause kaum angelegt werden.

Trotzdem wird die Rolle des Hundes als Freund des Menschen immer wichtiger. Jake Burton, Inhaber des amerikanischen Snowboard-Weltmarkenführers Burton, erzählte kürzlich in einem Interview, er engagiere vorwiegend Mitarbeiter, die ihren Hund mitbringen, das sei gut fürs Betriebsklima. In einigen Staaten in den USA können Kinder ihre Eltern gerichtlich dazu zwingen, ihnen einen Hund zu kaufen. Und wer in München, rund um die Plattenbauten der Chiemgaustraße, erleben möchte, wie wichtig ein kleiner alter Dackel für eine kleine alte Frau sein kann, soll dort spazieren gehen. Es gibt dort viele solcher Mensch-Hund-Gespanne.

Was also ist die Lösung für das so heftig umstrittene Problem Mensch-Hund? Eine absolut gültige wird es nicht geben. Aber eine, die die Situation entspannen könnte, würde sie nur in entsprechender Form und Konsequenz umgesetzt. Sie heißt Hundeführerschein und ist in manchem deutschen Bundesland zumindest ansatzweise bereits eingeführt.

Doch das ist eben das Problem mit dem Problemlöser: Diese Lizenz zum Hundeführen muss, analog zum Waffenschein und Kfz-Führerschein, zur Pflicht werden für jeden Herrn, jede Frau mit Hund, sei es Pekinese, irischer Wolfshund oder ein Streuner aus Spanien. Erst wenn jeder Hundebesitzer sich mit dem Phänomen Hund auseinandersetzen muss, wächst das Verständnis für des Menschen so guten Freund. Und nur, wer den Hund versteht, kann ihn auch beherrschen. Denn er, der Besitzer, ist der Chef. Und der Hund hat zu folgen. Ein "Oder nicht" gibt es nicht.

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