"Humans In Love":Amors Chronistin

Luise Loué sammelt Erinnerungsstücke und große Gefühle. Mit ihrem Museum der Liebesobjekte zielt die Künstlerin mitten ins Herz der Münchner

Von Bernhard Blöchl

Seit einer Woche hängt da dieser Spruch. Rote Buchstaben verzieren die Häuserfassade, darunter baumelt ein gelber Lampion. Seit hier dieser Spruch zu lesen ist, in der Milchstraße in Haidhausen, bleiben die Fußgänger schon mal stehen, sie erkundigen sich nach dieser neuen Attraktion, von gegenüber fotografiert eine Nachbarin. Es hat den Anschein, als würde dieser Spruch etwas in den Menschen auslösen, sie herausreißen aus dem Alltag - ob Anzugträger, Studentin oder Rentnerpaar. Der Spruch ist eine klare Botschaft und bemerkenswert anziehend in einer Zeit, da die Welt mal wieder durchdreht: "Vergesst die Liebe nicht!"

Die Frau, die hier charmant befiehlt, nennt sich Luise Loué. Sie will die Münchner an große Gefühle erinnern, ihnen Mut machen zum Miteinander, zu Offenheit und Hingabe. Der Spruch ist das Motto von Münchens jüngster Kunstsammlung, ihrer Sammlung: Das Museum der Liebesobjekte teilt sich die Räume mit dem Münchner Literaturbüro. Dort, wo jeden Freitag offene Lesungen über die Bühne gehen, entführt Luise Loué von diesem Wochenende an in ihr Reich der Herzensangelegenheiten. "Liebesobjekte sind Erinnerungsstücke, Kunstwerke und Basteleien, die aus Liebe oder für einen geliebten Menschen erschaffen wurden", erklärt die 39-Jährige. "Ich möchte den schönen, witzigen, bisweilen traurigen und immer authentischen Liebesgeschichten Raum geben, erzählt zu werden."

"Humans In Love": Kuratorin ist die Sammlerin Silke Gropengießer alias Luise Loué. Ihr Motto: "Vergesst die Liebe nicht!"

Kuratorin ist die Sammlerin Silke Gropengießer alias Luise Loué. Ihr Motto: "Vergesst die Liebe nicht!"

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Folgt man ihr in das Ein-Zimmer-Museum, dann entdeckt man: Briefe, Kassetten und Handarbeiten, eine Korsage, eine Collage und die SM-Installation eines Kunststudenten. Eigene Werke sind dabei, außerdem Gastbeiträge. Seitlich, unter dem wandfüllenden SMS-Protokoll einer Amour fou steht in großer Schrift: "Bist du besser im Lieben oder im Geliebtwerden?" Ein Ort zum Staunen ist das hier, zum Fühlen und Sich-Hinterfragen. Und hat nicht jeder schon gegrübelt: Wohin mit den Kisten voller Erinnerungen, den Mix-Tapes der Verknallten, den tränenverschmierten Zetteln? Die Idee für ein Museum erscheint simpel, aber wie das eben immer so ist im Leben: Eine muss es machen.

Eine wie Loué, Luise Loué. Der Name klingt nicht nur wie ein Pseudonym, er ist eines. Bürgerlich heißt sie Silke Gropengießer, ursprünglich stammt sie aus dem Chiemgau. Als Besucher ihrer Münchner Galerie merkt man schnell, dass die Gastgeberin nicht nur Kuratorin ist. Als Künstlerin und Autorin - vielleicht sollte man sagen: als Amors Chronistin - bringt sie sich sehr persönlich ein, offenbart Facetten ihrer Beziehungen. Das sei nicht immer leicht für ihren Mann, sagt sie und lächelt. Mit ihm hat sie einen kleinen Sohn und lebt in Schondorf am Ammersee. "Aber Liebe ist nun mal mein Lebensthema", sagt sie. Wie es dazu kam, darüber gibt ihre frühe Biografie Auskunft.

"Humans In Love": Hat nicht jeder schon gegrübelt: Wohin mit den Kisten voller Erinnerungen, den Mix-Tapes der Verknallten, den tränenverschmierten Zetteln?

Hat nicht jeder schon gegrübelt: Wohin mit den Kisten voller Erinnerungen, den Mix-Tapes der Verknallten, den tränenverschmierten Zetteln?

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sie war sieben, als sich ihre Eltern scheiden ließen. Als Teenager, in ihrer Punk-Phase, zog sie bei ihrer Mutter aus. Sie war noch grün hinter den Ohren, ihre Haare waren es auch. Mit 19 ging sie nach Amerika, dann nach Berlin. "Bis heute habe ich immer einen gepackten Koffer griffbereit." Später holte sie das Abitur nach, studierte unter anderem Romanistik, Kunstgeschichte und BWL. Als Projektmanagerin in verschiedenen Branchen und Galerien verdiente sie sehr gut - ein Fach aber fesselte sie am meisten: die Liebe. "Bei meinen Eltern hat es nicht funktioniert, also habe ich die Leute gefragt: Wie kann es gehen? Ich wollte Alternativen erfahren, also habe ich Menschen darauf angesprochen, immer wieder", erzählt sie. "Das ist total spannend, es gibt immer neue Aspekte." Einiges fließt in das Museum ein, anderes in Nebenprojekte. Eines davon heißt "Humans In Love": Im Internet dokumentiert Loué, was Menschen über die Liebe denken, wie sie Liebe leben und worauf es ankommt.

Nur die Liebe zählt, seit vielen Jahren. Auch ihr Museum ist das Ergebnis eines langen Prozesses: Geschrieben und gesammelt habe sie schon immer, erzählt Luise Loué. Ihr erster Liebesbrief, den sie 1988 von einem Zwölfjährigen bekommen hat, enthält die entzückende Zeile: "PS: Du bist bis jetzt meine größte Liebe." Der gefaltete Brief auf rosa Papier ist ebenso ausgestellt wie die (gefüllten) Kartons mit weiteren Liebesbeweisen. Vor zwei Jahren hat sie begonnen, Struktur in ihre Erinnerungen zu bringen. "Ich habe die Kisten rausgeholt, für jeden Liebhaber eine, und habe mir Gedanken gemacht." Fotos, Briefe und Geschichten hat sie auch von Fremden bekommen, eine entsprechende Kleinanzeige in der Süddeutschen Zeitung sei sehr ergiebig gewesen. Sie konzipierte ein Buch, dessen Veröffentlichung sie gerade vorbereitet, und richtete das Blog www.liebesobjekte.de ein. Daraus, befeuert durch motivierendes Feedback, wuchs die Idee des Museums - als reales Pendant zum virtuellen Forum.

"Humans In Love": "Ich liebe dich jetzt viel mehr als in Cesenatico": Persönliche Briefe und Tagebücher sind in einer neuen Ausstellung in Haidhausen zu sehen.

"Ich liebe dich jetzt viel mehr als in Cesenatico": Persönliche Briefe und Tagebücher sind in einer neuen Ausstellung in Haidhausen zu sehen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Schuld an alledem war der Fenchel. Will man sich dem Wesenskern des Museums nähern, muss man über den Fenchel sprechen. Er ist das Herzstück, buchstäblich und metaphorisch. An der Wand, direkt im Blickfeld des Besuchers, steht er, der getrocknete Fenchel, durchbohrt von einem Pfeil. Auch um ihren Hals trägt die Kuratorin dieses Symbol, eine Strickarbeit als Kette, prall und rot wie ein Herzmuskel, umgeben von blauen Adern. Wie zu allem hier gibt es dazu eine Geschichte, eine, die Freud und Leid offenbart.

Es war 2008, als sie mit ihrem damaligen Freund Urlaub in den Tiroler Bergen machte. Es regnete, und sie aßen reichlich Fenchel. "Wir schliefen unglaublich viel - doch nicht miteinander." Also dachte sie sich: "Schuld war der Fenchel! Er musste libidosenkende Inhaltsstoffe enthalten." Zu Hause ließ sie den Pfeil schmieden und schenkte ihrem Freund das Kunstwerk, als Zeichen dafür, dass sie ihn noch liebte - trotz der kleinen Flaute. "Der Fenchel sagt viel aus: den Gutglauben an die Liebe". Hinterher stellte sich heraus, dass es einen anderen Grund für die unübliche Distanz gab. "Es sollte unsere letzte gemeinsame Reise sein. Wir waren noch ein halbes Jahr zusammen. Wahrscheinlich hatte er mich schon vor dem Urlaub betrogen", resümiert sie auf ihrem Blog. "Drei Jahre meines Lebens hat mich die Verarbeitung gekostet." Durchgestrichen nach dem Wort "mich" ist der Zusatz: "dieser Depp von Mann".

"Humans In Love": Geschrieben und gesammelt habe sie schon immer, erzählt Luise Loué. Ihr Museum zeigt eigene Werke, außerdem Gastbeiträge.

Geschrieben und gesammelt habe sie schon immer, erzählt Luise Loué. Ihr Museum zeigt eigene Werke, außerdem Gastbeiträge.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Inzwischen schreiben ihr viele Leute, um ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Nun sollen sie ins Museum kommen, denn am meisten liebt die Gastgeberin den persönlichen Austausch. Zur Vernissage am Samstag, 23. April, um 19 Uhr hat sie sich ein Motto ausgedacht: "Gib dir Mühe! Erscheine so, als ob du ein wichtiges Date hättest." Stilvoll soll dieser emotionsgeladene Ort eröffnet werden, der sich langfristig auch finanziell tragen soll. Künftig sollen im Museum Lesungen, Gastausstellungen und Partys stattfinden, zum Beispiel im Mai eine "Glücks-Party - glückliche Menschen erzählen, warum sie glücklich sind".

Wer nun vor lauter Arbeit und Verpflichtungen glaubt, nicht kommen zu können, denjenigen sei laut vorgelesen, was an der Häuserwand steht: Vergesst die Liebe nicht!

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