Hugo Strasser:Der geborene Klarinettist

Keep on swinging - der Münchner Big-Band-Veteran Hugo Strasser feiert seinen 85.Geburtstag.

Christian Mayer

Man müsste so gelassen sein wie Hugo Strasser, der über ein sich ständig regenerierendes Publikum verfügt und Generationen zusammenführt. Kürzlich hatte er nach einem Auftritt mit der Bigband mal wieder Grund zu dieser heiteren Gelassenheit, als sich ein fabelhaft schönes Mädchen bei ihm vorstellte.

Hugo Strasser: Swinglegende Hugo Strasser feiert seinen 85. Geburtstag.

Swinglegende Hugo Strasser feiert seinen 85. Geburtstag.

(Foto: Foto: dpa)

Ein Autogramm wollte sie haben, aber für wen? "Für Martha", sagte die Konzertbesucherin und lächelte. Hugo Strasser, der sich Verehrerinnen gegenüber als perfekter Kavalier präsentiert, freute sich über so viel jugendlichen Zuspruch. "Da wird sich meine Oma aber freuen!", sagte das Mädchen und drehte ab.

Hugo Strasser schildert solche Begegnungen mit einem jungenhaften Lächeln, er ist ohnehin ein charmanter Geschichtenerzähler und gerade in diesen Tagen ein gefragter Gesprächspartner. Schließlich wird er am Karsamstag 85 Jahre alt, was allein schon Grund genug wäre, über seine mehr als sechs Jahrzehnte währende Karriere als Klarinettist zu plaudern.

Über seinen Weg zum legendären Bandleader, über seine Freundschaft mit den anderen Veteranen des deutschen Swing, Max Greger und Paul Kuhn. Und ganz allgemein über seine hingebungsvolle Liebe zur Musik. Aber Strasser spricht nicht nur in der Vergangenheitsform; er hat noch einiges vor.

Der geborene Klarinettist

"Wissen Sie, natürlich übe ich noch immer fleißig, zehn Stunden in der Woche." Die Klarinette sei ein forderndes Instrument. Außerdem steht der König der Tanzmusik noch immer 40, 50 Mal im Jahr auf der Bühne - das nächste Mal in München am 22. April, wenn er gemeinsam mit den Weather Girls und seiner Band im Festsaal des Bayerischen Hofs die Fans bedient.

Auch jetzt sitzt er im Hotel am Promenadeplatz, vor sich ein Glas Leitungswasser, nicht mal einen Kaffee hat er sich genehmigt. Im raschen Tempo springt er vor und zurück durch sein Leben, das vor allem mit München zu tun hat. Hier ist er geboren, als Sohn eines Schulhausoffizianten, eine gehobene Bezeichnung für Hausmeister.

Das musikalische Talent geerbt

In der Haimhauser Straße in Altschwabing wuchs er mit fünf Geschwistern auf. Die Mutter kam aus Schrobenhausen, der Vater stammte aus einer Bauernfamilie aus Jetzendorf bei Petershausen und hat dem kleinen Hugo die musische Ader vererbt.

Schon als Sechsjähriger beherrschte dieser die Mundharmonika so gut, dass er in der "Kinderstunde" auf Radio München spielen durfte. Aber dann passierte etwas, was Kindern die Musik verleiden kann: Hugo lernte das falsche Instrument. Mit der Geige, die ihm krampfhafte Verrenkungen abforderte, konnte er sich so gar nicht anfreunden.

Es waren Glücksfälle, die ihm zu seinem Karrierebeginn verhalfen. Erst mal machte der junge Strasser nach der Volksschule eine Schriftsetzerlehre, musste aber nach einer Bleivergiftung bald einsehen, dass er nicht geschaffen war für diesen Beruf. Dann marschierte er, auf Drängen des Vaters, zum Vorstellungsgespräch in die Akademie für Tonkunst am Odeonsplatz, wo er zufälligerweise von Professor Arnold begutachtet wurde.

Der Mann war Solo-Klarinettist bei der Bayerischen Staatsoper, ihm fielen sofort die Zahnstellung und der kräftige Mund des Bewerbers auf. "Der geborene Klarinettist", urteilte der Professor, der mit dieser Einschätzung einen Volltreffer gelandet hatte.

"Ich konnte beim ersten Hineinblasen einen reinen, klaren Ton hervorbringen - das schafft fast keiner", erzählt Strasser. Es war Liebe auf den ersten Griff, bald schon übte er täglich im leeren Schulhaus seines Vaters, dort gab es einen "herrlichen Hall".

Der "Strasser-Sound" wurde geboren

Es ist bis heute jener gewisse "Strasser-Sound" geblieben, der damals geboren wurde. "Es gibt Klarinettisten, die spielen mich in Grund und Boden", sagt er. "Aber ich habe diesen erkennbaren Ton, das war immer mein Markenzeichen."

Weniger günstig waren dagegen die Zeiten für junge Musiker wie Strasser, der im achten Semester zur Wehrmacht eingezogen wurde. Das war 1940, der Münchner spielte nun in Stettin und später im Ruhrgebiet mit Soldaten-Kapellen. Den amerikanischen Swing schätzte er schon damals, über das besetzte Paris kamen aufregende neue Songs und Sounds auch nach Deutschland.

Allerdings durfte man offiziell nicht mal den Namen eines Glenn Miller in den Mund nehmen - die nationalsozialistische Reichsmusikkammer kontrollierte sogar die Noten. Doch Musiker sind manchmal trickreich, und so wurde beispielsweise aus "Whispering" eine deutsche Variante mit dem albernen Text "Lass mich dein Badewasser schlürfen", was Hugo Strasser auch heute noch mit diabolischer Freude erzählt.

Die wilde Nachkriegszeit

Am Ende des Krieges, den er als Flakhelfer-Ausbilder mit viel Glück überlebt hatte, sah Strasser auch das Ende seiner Karriere gekommen. Er selbst hatte sich zwar auf einem Kohlenzug nach München durchgeschlagen, aber die Konzertsäle waren zerstört und die Zeiten reif für Trauermärsche.

Doch bald schon war Strasser wieder ein gefragter Mann, er durfte bei den amerikanischen Offizieren auftreten, in Erholungsheimen und Münchner Lokalen wie dem Hofbräu am Wiener Platz oder dem Keller-Club in Freimann: "Köche, Friseure und Musiker waren gefragte Leute."

Mit Berühmtheiten wie Count Basie, Ella Fitzgerald und Lionel Hampton durfte er Konzerte geben, wobei er zwischen Altsaxophon und Klarinette wechselte. Manchmal tobte auf Münchens Kleinbühnen ein erbitterter musikalischer Wettstreit zwischen Hillbillies aus der texanischen Provinz und den Jazzern und Westcoast-Swingern. "Eine absolut wilde Zeit", an die sich Strasser anekdotenreich erinnert. Wohl auch, weil er schon damals immer nüchtern blieb, während die anderen sich dem Rausch hingaben.

Der geborene Klarinettist

Es hätte wohl keine bessere Schule für einen Unterhaltungsmusiker geben können, der sich wenig später, nach der Währungsreform, anschickte, auch das deutsche Publikum zu erobern. Strasser trat zunächst in der Band des legendären Schlagzeugers Fritz "Freddie" Brocksieper auf, später dann mit dem vier Jahre jüngeren Max Greger, der damals schon eine sehr "dominante Persönlichkeit" gewesen sein muss, wie sein Freund Hugo berichtet.

Es war die Blütephase der Bigbands, zugleich sehnten sich die Menschen im Wirtschaftswunderland nach Schnulzen und heiler Welt. Strasser lieferte auch in dieser Hinsicht populäre Melodien: Er komponierte den Schlager "Das Edelweiß vom Wendelstein", einen Hit, der so viel einspielte, dass er für seine Familie ein Haus bauen konnte.

Auch im Film kam er lautstark zur Geltung. In "Hallo Fräulein" durfte er 1949 in einer Szene mit der jungen Margot Hielscher zeigen, wie man mit dem Saxophon Frauen zum Vibrieren bringt.

Die Leute von den Sitzen reißen

Sein eigentliches Interesse aber galt der Tanzmusik. 1955 gründete er ein 16-köpfiges Orchester, mit dem er im Deutschen Theater regelmäßig die Leute nicht nur während der Faschingssaison von den Sitzen riss. Nichts anderes ist ja die Aufgabe einer guten Bigband, die vor allem das Publikum in ständiger Bewegung halten muss, ganz egal ob es sich dabei um den Ball der Berliner Zahnärzte, um den der Münchner Opernfreunde oder hessischer Juristen handelt.

"Nach so vielen Jahren hat man ein Gespür für Stimmungen", sagt Strasser, der immer auch für das Fernsehen gearbeitet hat. Sechs Millionen seiner Tanzplatten hat er verkauft, unendlich viele Stücke komponiert und arrangiert. Titel wie "You're the Cream in my Coffee" oder "Wild Cat Blues" sind der Grund, warum ihm das Publikum treu geblieben ist. Sein Song "Lonely Trumpet" ging sogar um die Welt, weil sich der Trompeter Ray Anthony frecherweise gratis aus dem Fundus von "Klarinetten-Hugo" bediente.

"Ich hätte ja nie gedacht, dass ich so lange als Musiker durchhalte", sagt er, wenn man ihn auf seinen Geburtstag anspricht. "Ganz ruhig" will er feiern, mit ein paar Freunden am Chiemsee, anders als vor fünf Jahren, als es regelrechte Strasser-Festspiele zum 80. Geburtstag gab.

Er wirkt robust, aber ein bisschen hat er die Drehzahl doch verringert, seit er vor zwei Jahren nach einer Lungenentzündung in ein künstliches Koma versetzt werden musste. In diesem kritischen Moment sprang sein Kumpel Max Greger ein, der einen ausverkauften Tanzball in Karlsruhe ohne Gage übernahm. "Habt ihr meinen Terminkalender dabei?", lautete Strassers erste Frage, als er im Krankenhaus erwachte.

Und der Terminkalender ist noch immer gut gefüllt. Der Mann, der damit kokettiert, selbst nicht tanzen zu können, hält sein Publikum in Atem. Er freut sich, wenn er mit jungen Kollegen auftreten kann. Am 5. Juli gibt er etwa ein Konzert mit der SWR-Bigband in Regensburg.

Hugo Strasser trifft dort auf den Sänger Roger Cicero ("Frauen regier'n die Welt"): "Der hat die deutsche Sprache zum Swingen gebracht." Strasser ist offen für viele Einflüsse, er mag Klassik und Rock, nur für Computer- und Elektronikmusik kann er sich nicht erwärmen. "Viel zu steril, zu technisch. Für mich hat Musik immer mit Menschen zu tun. Und sie braucht eine Melodie."

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