Hugendubel:Die letzte Seite

Lesezeit: 2 min

An diesem Samstag schließt der Hugendubel am Marienplatz. Das große Buchkaufhaus, das 1978 die Branche in Deutschland revolutionierte, verschwindet für immer - eine kleinere Filiale soll im Sommer 2017 wieder eröffnen

Von Katja Riedel und Florian Peljak (Fotos)

Bücher, Bücher, Bücher, bis unters Dach, bis hinauf zur Kuppel, durch die natürliches Licht in das Kaufhaus fällt, in dem es um eine Sache geht: Lesen. Um das Stöbern nach genau jenen zwei Buchdeckeln, deren Inneres den Lesenden entführen soll zu fremden Orten und Begebenheiten, die man in der Fantasie bereisen und im besten Fall tief im Bauch spüren wird. Die zum eigenen Leben werden, zu eigener Emotion und Erinnerung.

Das Bücherkaufhaus Hugendubel am Marienplatz mit seinen sechs Stockwerken war so etwas wie das Einfallstor zu jenen Welten, die Nichtlesern verschlossen bleiben. Es bot schon früh fast dieselbe nahezu grenzenlose Auswahl, wie sie später das Internet zum Standard werden ließ. Bis zum Jahr 1978 gab es das in Deutschland noch nicht, bis die Filiale des Münchner Familienunternehmens am Marienplatz als erste Großbuchhandlung Deutschlands eröffnete.

Mit Rolltreppen, die die Leser über die Ebenen führten, auch zu jenen Leseecken, in denen mancher saß und den neuesten Grisham kostenlos las wie in einem öffentlichen Lesesaal, auf rotem, gepolstertem Leder lümmelnd. Die Münchner waren von diesem neuen Bücherparadies so angetan, dass sie nicht nur staunend die Rolltreppen rauf und runter fuhren, sondern auch die Regale restlos leerräumten. Es dauerte einige Wochen, bis die Buchhändler einschätzen konnten, wie viele Bücher die Münchner täglich kaufen wollten.

1 / 11
(Foto: Florian Peljak)

Aus jedem Winkel in jedem Stockwerk sah das Innenleben des Hugendubel am Marienplatz komplett anders aus.

2 / 11
(Foto: Florian Peljak)

Beste Lage: Wer von den Bücherstapeln aufblickte, konnte draußen das Leben auf dem Marienplatz beobachten.

3 / 11
(Foto: Florian Peljak)

Nach fast 40 Jahren schließt die Buchhandlung nun ihre Filiale gegenüber dem Rathaus.

4 / 11
(Foto: Florian Peljak)

Den Überblick hatten Verkäufer wie der langjährige Buchhändler Christoph Stampfl.

5 / 11
(Foto: Florian Peljak)

Mit seinen sechs Stockwerken war das Bücherkaufhaus so etwas wie das Einfallstor zu jenen Welten, die Nichtlesern verschlossen bleiben.

6 / 11
(Foto: Florian Peljak)

Die Chefin des Unternehmens, Nina Hugendubel.

7 / 11
(Foto: Florian Peljak)

Der gesenkte Kopf war die typische Körperhaltung der Kunden im Hugendubel.

8 / 11
(Foto: Florian Peljak)

Am Anfang räumten die Münchner die Regale noch innerhalb kürzester Zeit restlos leer - später gab es von allem alles und davon zuviel.

9 / 11
(Foto: Florian Peljak)

Wer sich an den Buchstapeln vorbei ganz nach oben gearbeitet hatte,...

10 / 11
(Foto: Florian Peljak)

...konnte im Café entspannen, bevor es auf verschlungenen Wegen wieder nach unten ging.

11 / 11
(Foto: Florian Peljak)

Von außen galt das Gebäude mit seiner Fassade eher als misslungen.

Später gab es von allem alles und davon zu viel: Ein Reiseführer für Ecuador? Für Südchina? Für Westthailand? Es gab so viele mögliche Exemplare, dass der Kunde den Stapel mühsam zu einer Leseinsel balancieren musste, um dort zu vergleichen, welcher Führer die besten Restaurants oder abwechslungsreichsten Spazierwege zu bieten hatte. 80 000 bis 100 000 Bücher stehen in den letzten Tagen des alten Marienplatz-Hugendubel noch in den teilweise schon leeren mintgrünen Regalen, schätzt Geschäftsführerin Nina Hugendubel. Sie und ihr Bruder Maximilian sind mit dem Haus aufgewachsen. Und für sie war es eine emotionale Katastrophe, als die Bayerische Hausbau ihren Mietvertrag vor zwei Jahren nicht verlängerte und das Haus an die Telekom gab, die dort Smartphones und andere Technik prominent in Szene setzen will. Ein Aufschrei ging durch die Stadt. Seelenlose Handys sollten die Kultur des Lesens und ihren wichtigsten Vertreter, das Buch, vertreiben, weg-gentrifizieren!

Noch nicht jeder hat inzwischen mitbekommen, dass der schlimmste Fall längst abgewendet ist. Dass die Handys zwar im Erdgeschoss, in der 1a-Lage zum Marienplatz, ausgeleuchtet werden, wenn das Gebäude vermutlich im Sommer 2017 umgebaut und neu aufgeteilt ist. Das Buch wird dann aber nicht verschwunden sein, sondern sich nur bescheiden - auf etwas mehr als zwei Etagen, auf denen es aber immer noch im Mittelpunkt stehen soll, wie Nina Hugendubel sagt. Auch wenn die Geschwister längst erkennen mussten, dass die Digitalisierung auch ihr Unternehmen zwingt, neu zu denken. Weil Kunden Bücher häufiger online bestellen, weil aber auch immer mehr Kunden lieber auf dem Lesegerät als auf Papier lesen. Die neue Zeit heißt bei Hugendubel Tolino, bei dem Lesegerät kooperiert man mit Buchhandelskonkurrenz und mit der Telekom. So kam es auch dazu, dass die Telekom und Hugendubel sich auf einen Untermietvertrag einigten, den sie im Verborgenen aushandelten.

Jetzt will Hugendubel mit einem anderen, einem wieder möglichst neuen Konzept zurückkommen. Einem, das noch Leseinseln kennt, das den Kunden noch dazu bringen soll, sich wie im eigenen Wohnzimmer zum Lesen niederzulassen. Aber auch einem, das mit weniger Quadratmetern und mit einem kleineren Konzept auskommt. Der neue Hugendubel wird sich also nicht mehr damit brüsten können, alles zu allem zu haben.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: