Homosexuelle in München:Irritiert über so viel schwule Spießigkeit

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Zu konservativ, zu spießig? Auf dem Pink-Christmas-Markt wird dieser Christbaumschmuck verkauft. (Foto: Robert Haas)
  • Seit etwa 15 Jahren schrumpft die schwule Gastronomie in München, nun hat auch das Jeans in der Blumenstraße zugemacht. Braucht die Szene solche Lokale überhaupt noch?
  • Nun wird darüber diskutiert, wie spießig, konservativ und bürgerlich die schwule Community geworden ist - und ob das gut ist, schlecht oder irgendwo dazwischen.

Von Mathias Weber

Und der nächste bitte: Wieder einmal stehen Nachtschwärmer vor einer verschlossenen Tür, wieder hat ein schwules Lokal zugemacht. Zugegeben: Das Jeans in der Blumenstraße war keine In-Kneipe. Die Boazn hatte ihre besten Jahre hinter sich - an der Wand hingen uralte Fetisch-Poster, in der Luft der Zigarettenrauch vieler Jahrzehnte. Die schwule Jugend (und manchmal auch die Hetero-Jugend) verirrte sich in das Jeans nur noch für einen Absacker, irgendwann nach vier Uhr in der Nacht. Die wenigen, meist älteren Stammgäste dürften nicht mehr viel zum Umsatz beigetragen haben.

Die schwule Gastronomie schrumpft also weiter. So wie seit zehn, 15 Jahren. Offenbar braucht sie der Münchner Schwule nicht mehr. Er hat ja mittlerweile alles andere: Geld, einen Job, einen Hund, einen Partner, eine eingetragene Lebenspartnerschaft, eine schöne Wohnung im Glockenbachviertel. Ein Klischee? Darüber streitet die Community.

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Von Mathias Weber

Diese Woche zum Beispiel im Sub, dem schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum an der Müllerstraße. Das berief eigens eine Diskussionsrunde ein, um zu klären, wie spießig, wie konservativ und wie bürgerlich die schwule Community eigentlich geworden ist - und ob das gut ist, schlecht oder doch irgendwo dazwischen. Auf das Thema ist Christian Schultze, der Geschäftsführer des Sub, immer wieder angesprochen worden. Er sieht in der Szene schon eine gewisse Tendenz zur Bürgerlichkeit und spricht von einem "hetero-normativen Nirvana", das für viele Schwule offenbar eine gewisse Anziehungskraft besitzt. Schultze sagt: "Viele Männer wollen daheim ihre kleine schwule Welt und nach außen hin wollen sie gar nicht mehr auffallen." Trotz der großen Toleranz in München.

Ganz anders als noch vor drei, vier Jahrzehnten, als sich die Community gerade darüber definierte, extrovertiert zu sein. Anpassen oder auffallen - diese Frage stellt sich auch das Sub selbst. Da denkt man darüber nach, ob es eigentlich noch in Ordnung ist, im Haus Kunstwerke auszustellen, auf denen nackte Haut gezeigt wird. Wo doch auch Jugendliche dorthin kommen und die Räume vom Bürgersteig aus einsehbar sind. Ist das schon Selbstzensur?

Die schwule Bewegung wollte das Männerbild ändern - und was ist passiert?

Wer sich in der Szene umhört, merkt rasch: Sie ist innerlich zerrissen und weiß selbst nicht so recht, wie sie mit der neuen Bürgerlichkeit umgehen soll. Zu der Diskussion zum Beispiel kamen hauptsächlich Männer über 40, und die zogen immer wieder Vergleiche mit jenen Zeiten, als in München die Schwulen noch nicht so gut gelitten waren; als sie tatsächlich eine auch örtlich geschlossene Community bildeten entlang der Müllerstraße und im Glockenbachviertel. Und die schwule Bewegung versuchte damals, Akzeptanz zu schaffen der homosexuellen Lebenswelt gegenüber; der Christopher Street Day war ein sichtbares Zeichen.

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"Die schwule Bewegung wollte das Männerbild ändern", sagt Christopher Knoll vom Sub. Ein neuer Mann sollte entstehen, "der zum Beispiel auch mal weinen darf". Passiert ist das nicht, im Gegenteil: Der schwule Mann gebe sich heute typisch heterosexuell, so die Meinung der Zuhörer im Sub - und bürgerlich: mit Bart, Beziehung, Wohnung und Karriere. "Glattgebügelt" nennt das Sub-Geschäftsführer Schultze. Wir haben "unsere Träume verloren", sagt ziemlich verbittert ein Mann, der in den Siebzigern schon in der Szene unterwegs war und der im nächsten Satz dann zugibt, jetzt in einer eingetragenen Partnerschaft zu leben.

Wenn nämlich eine Sache die vermeintliche neue Bürgerlichkeit der Schwulen ausdrückt, dann ist es die eingetragene Lebenspartnerschaft. Seit 2001 ist es zwei Menschen desselben Geschlechts möglich, ihrer Verbindung einen Rechtsrahmen zu geben - der Ehe ähnlich, aber nicht komplett gleich. An den Münchner Standesämtern haben sich zwischen Mitte 2009 und Ende 2014 genau 1037 Paare eintragen lassen; 711 männliche und 326 weibliche.

Das Interesse an Lebenspartnerschaften sei da, nehme aber nicht zu, sagt Sigolf Honsel. Er leitet im Sub die Gruppe "Gay & Gray", in der sich Schwule ab 40 zu regelmäßigen Veranstaltungen treffen. "Ich glaube nicht, dass die Szene heute konservativer ist", sagt der 65-Jährige. Aber er merkt an, dass es in seinem Bekanntenkreis doch einige gebe, die "schon seit 40 Jahren zusammenleben, überspitzt formuliert sind die ein Ausbund an Spießigkeit". Aber das seien sie ja auch nicht von heute auf morgen geworden: Homosexuelle aus gut bürgerlichen Verhältnissen hätten auch schon vor 25 Jahren spießig gelebt. "Es ist einfach ein Lebensentwurf", sagt er. "Und einen Partner haben zu wollen, Liebe, Zuneigung, füreinander einstehen - das ist nun wirklich nichts Neues."

Ob diese homosexuelle Spießigkeit nun ganz neu ist oder schon älter - darüber ist sich die Szene nicht einig. Klar ist: Es gibt sie und sie irritiert viele. Vielleicht, so sagt es einer im Sub, ist die schwule Welt ja nur ein Beiwagen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Vielleicht geht man nicht mehr in die schwule Boazn, weil auch Heterosexuelle nicht mehr in die Boazn gehen. Und vielleicht, sagte einer, würde so eine Diskussion in Amsterdam, Warschau oder Kopenhagen gar nicht geführt. Vielleicht ist die Angst vor zu viel Spießigkeit auch einfach nur sehr deutsch.

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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