Urteil im Solln-Prozess:"Sie wollten sich an Dominik Brunner rächen"

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Ein Schlüsselbund zwischen den Fingern, Tritte auf den Kopf von Dominik Brunner: Haupttäter Markus Sch. muss wegen Mordes für fast zehn Jahre ins Gefängnis, der Mitangeklagte Sebastian L. für sieben Jahre.

Lisa Sonnabend

Markus Sch. atmet tief durch. Der 19-Jährige schweigt heute nicht, er hat das Bedürfnis zu reden und spricht minutenlang mit seinen Verteidigern. Als der Richter zur Urteilsverkündung ansetzt, blickt der Angeklagte nicht wie sonst starr auf die Tischplatte, sondern kaut nervös auf der Lippe. Im Prozess um den Gewaltakt von Solln sind die Urteile gesprochen worden - und die fallen wie erwartet hart aus.

Stützt sich mit der Faust auf die Tischplatte: der Hauptangeklagte Markus Sch. kurz vor der Urteilsverkündung. Am letzten Prozesstag schwieg der 19-Jährige nicht, sondern sprach minutenlang mit seinen Verteidigern. (Foto: Getty Images)

Markus Sch. muss wegen Mordes für neun Jahre und zehn Monate in Haft, Sebastian L. wegen Körperverletzung mit Todesfolge für sieben Jahre. Die beiden sind verurteilt worden für eine Tat, die das Land bewegt hat und noch immer bewegt wie kaum ein andere. Vor einem Jahr hatten sie den Manager Dominik Brunner am S-Bahnhof Solln zu Tode geprügelt.

Richter Reinhold Baier sagt am Montagvormittag in der Urteilsbegründung: "Die Angeklagten hatten sich entschlossen, sich an Dominik Brunner zu rächen." Sie seien "aufs Höchste verärgert gewesen, dass sie von einem Wildfremden in ihre Schranken gewiesen wurden".

Zunächst griffen sie Dominik Brunner - den Mann, der Kindern gegen die Drohungen der Verurteilten half - mit Körperverletzungsvorsatz an. Doch als Markus Sch. zutrat, "war ihm bewusst, dass Brunner sich nicht mehr wehren konnte und nahm tödliche Folgen in Kauf. Daher hat er zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt", sagt Richter Baier. Von ihm seien auch im Laufe des Prozesses "keine Worte des ehrlichen Bedauerns und einer ernsthaften Entschuldigung" zu hören gewesen.

Das Urteil des Gerichts entspricht weitgehend der Forderung der Staatsanwaltschaft. Diese hatte in der vergangenen Woche in ihrem Plädoyer zehn Jahre Haft und eine Verurteilung wegen Mordes für Markus Sch. gefordert, der zum Tatzeitpunkt 18 Jahre alt war. Der damals 17-jährige Sebastian L. solle zu acht Jahren Haft verurteilt werden wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Die Verteidiger von Markus Sch. dagegen hatten eine Strafe von "unter sieben Jahren" wegen Körperverletzung mit Todesfolge gefordert, die von Sebastian L. eine dreieinhalbjährige Haftstrafe. Beide Täter sind nach Jugendstrafrecht verurteilt worden.

Die Verteidiger von Markus Sch. kündigen unmittelbar nach der Verurteilung Revision an: Rechtsanwalt Maximilian Pauls sagt, er halte den Schuldspruch "für falsch". Auch Roland Autenrieth, einer der Anwälte von Sebastian L., sagt, es spräche "vieles für eine Revision". Er gehe davon aus, dass L. den Tod Brunners nie gewollt habe. "Dieser Auffassung ist das Gericht gefolgt, und vor diesem Hintergrund halten wir das Urteil für zu hoch", sagt Autenrieth.

Am 12. September 2009 war Dominik Brunner eingeschritten, als die beiden Täter in S-Bahn von vier Jugendlichen Geld erpressen wollten. Am Bahnhof Solln kam es dann zu dem tödlichen Gewaltakt. Brunner gilt seitdem als Vorbild für Zivilcourage.

Im Solln-Prozess widersprachen sich die Zeugen, weshalb sich kein genaues Bild vom Ablauf der Tat zeichnen ließ. Unstrittig ist jedoch, dass Brunner zuerst zugeschlagen hat und dass Markus Sch. der aggressivere Schläger war. Er nahm einen Schlüsselbund zwischen die Finger, um die Schlagkraft zu erhöhen und trat auf Brunners Kopf ein, als dieser bereits auf dem Boden lag.

Der Prozess um die Bluttat dauerte zwölf Verhandlungstage, zog sich über fast zwei Monate hin und es wurden mehr als 50 Zeugen gehört. Bereits nach wenigen Tagen nahm das Verfahren eine überraschende Wende: Es wurde bekannt, dass Brunner an einem Herzfehler litt und nicht unmittelbar durch die Tritte, sondern an einem Herzstillstand starb. Dadurch und wegen der Tatsache, dass Brunner zuerst zuschlug, hat sich an der Schuldfrage zwar nichts geändert, sie wurde seitdem aber differenzierter gesehen und diskutiert. Das Bild von zwei Killern war so nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Die beiden Angeklagten erschienen zudem vor Gericht als schüchterne und schmächtige Jugendliche. Markus Sch. war physisch und psychisch nicht in der Lage, selbst auszusagen, Sebastian L. antwortete dem Richter in kurzen, monotonen Sätzen.

Briefe an Dominik Brunner
:"Hilfst Du morgen?"

Trauer und Fassungslosigkeit: Am Sollner Bahnhof legten in den Tagen nach der Bluttat unzählige Bürger Briefe an Dominik Brunner nieder.

Richter Reinhold Baier gelang es, den Prozess ruhig und sachlich zu führen. Er ging einfühlsam, ja fast freundlich mit den Angeklagten um. Am ersten Prozesstag sagte er zu Sebastian L.: "Das kann ich nachvollziehen, dass Ihnen nicht wohl in Ihrer Haut ist." Zweifel daran, dass das Urteil hart ausfallen würde, hatte indes niemand.

Baier gilt als streng in seinen Entscheidungen: Auch die U-Bahn-Schläger vom Arabellaplatz, die einen Rentner zusammengeschlagen hatten, der sie auf das Rauchverbot hingewiesen hatte, hat er vor zwei Jahren verurteilt - zu langen Haftstrafen.

Den Brunner-Prozess hatteder Richter als ein Verfahren "wie alle anderen" bezeichnet. Doch in den vergangenen Monaten äußerte er mehrmals, dass die Gewalt unter Jugendlichen eine neue Intensität erreiche. Auffällig sei für ihn die Nichtigkeit der Anlässe. "Heute wird einfach Frust entladen, das entsteht aus dem Nichts", sagte er in einem Interview. Das traf auch auf den Gewaltakt von Solln zu.

In der Urteilsverkündung gibt Baier noch einmal das Geschehen vom jenem 12. September wieder - sein Vortrag dauert eineinhalb Stunden. Immer noch fällt es den Anwesenden im Gerichtssaal sichtlich schwer, das Geschehene anzuhören. Baier sagt: "Überwiegend wurde Brunner von dem äußerst aggressiven Markus Sch. angegriffen." Doch "auch L. versetzte Brunner mindestens einen festen Tritt". Dann habe Sebastian L. begriffen, dass das alles zu krass sei und habe versucht, seinen Freund wegzuziehen.

Baier sagt weiter: "Markus Sch.' Turnschuhsohle hinterließ einen Abdruck auf Brunners Stirn." Die Angeklagten hatten dagegen nur "Bagatellverletzungen". Markus Sch. rechte Hand war unverletzt, bei Sebastian L. waren keinerlei Verletzungen an der Hand vorhanden. Nur einmal lässt der Richter ein "Entweder oder" zu. Ob Brunner nach einem Schubser mit dem Kopf auf das Geländer stürzte oder ob er stolperte, sei nicht klar.

Im Hinblick auf die Frage, ob Brunner durch sein Verhalten zur Eskalation des Konfliktes beigetragen habe, sagte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer nach der Urteilsberkündung: "Wir sollten nicht Täter und Opfer verwechseln." Insgesamt lobte er aber die Prozessführung und das von den Richtern ausgesprochene Strafmaß: "Es ist eine gerechte Strafe, wenn man davon ausgeht, dass das Jugendstrafrecht angewandt werden muss", meinte Seehofer.

Am Wochenende jährt sich nun die Tat von Solln zum ersten Mal. In München und in Brunners Heimatort Ergoldsbach wird es Gedenkfeiern geben. Am Bahnhof Solln wird ein Erinnerungskreuz angebracht, in dem niederbayerischen Dorf wird das Dominik-Brunner-Haus geweiht, eine Kinderkrippe und Schülerhort - und ein Mahnmal aufgestellt. Es zeigt einen Mann, der sich schützend vor ein Kind stellt.

Markus Sch. und Sebastian L. werden dann bereits in der Justizvollzugsanstalt Ebrach in Oberfranken sitzen. Hier landen alle Straftäter aus Bayern, die zwischen 17 und 24 Jahren alt sind und zu mehr als 36 Monaten Jugendstrafe verurteilt werden. Begegnen werden sich die beiden Täter dort nicht mehr. Da sie Mittäter sind, werden sie in unterschiedlichen Hafträumen untergebracht. Sie müssen mit der Tat und deren Folgen ganz alleine zurechtkommen.

In der Öffentlichkeit aber wird die Diskussion über Jugendgewalt und Zivilcourage weitergehen.

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