Hölzerner Riese:Wie aus dem Bilderbuch

Die Stieleiche in Stangenried ist ein Prachtexemplar, wie man es sich schöner kaum vorstellen kann. Trotz eines Alters von mehr als 200 Jahren ist sie gesund

Von Robert Stocker, Markt Indersdorf

Den Burschen stattlich zu nennen wäre untertrieben. Eigentlich ist er ein Riese. Mit einer Größe von 25 Metern überragt er die umliegenden Häuser bei weitem, sein Kreuz befindet sich auf Höhe der Giebel. Die Arme sind bis zu 50 Zentimeter dick und verzweigen sich zu einer riesigen Krone. Sein imposanter Körper hat einen Umfang von fast fünf Metern. Autofahrern, die auf der Staatsstraße 2050 den Indersdorfer Ortsteil Stangenried passieren, sticht das Prachtexemplar schon von weitem ins Auge. Der Riese ist eine mächtige Eiche, die wie ein Monument über der Hofeinfahrt von Johann Sedlmair thront. Ein Baum wie aus dem Bilderbuch.

Die Eiche steht in der Liste der Naturdenkmäler, die die Untere Naturschutzbehörde am Dachauer Landratsamt führt. Am Stamm ist ein dreieckiges Schild mit der Aufschrift Naturdenkmal angebracht, darüber steht die Nummer 7010. Sie ist in einem Kataster erfasst und gibt Aufschluss über den Standort des Denkmals. Das Etikett Naturdenkmal erhalten nach dem bayerischen Naturschutzgesetz Phänomene, die durch ihre Seltenheit und Schönheit bestechen. Das gilt auch für die Stieleiche an der Bushaltestelle in Stangenried. Sie prägt die Landschaft und das Ortsbild des Weilers, der zur Gemeinde Markt Indersdorf im Landkreis Dachau gehört. Der Baum spitzte wohl schon zu Zeiten des bayerischen Staatsreformers Maximilian von Montgelas aus dem Boden. Eigentümer Johann Sedlmair schätzt das Alter der Eiche auf 250 Jahre. Der Baum gehört wie selbstverständlich zum Hof. "Ich bin jetzt 70 Jahre alt", sagt der Landwirt, "seit 60 Jahren kann ich mich an die Eiche erinnern." Auch Siegfried Lex, Kreisfachberater für Gartenkultur und Landespflege am Landratsamt, taxiert das Alter des Baums auf mindestens 200 Jahre. Genaueren Aufschluss darüber würden die Jahresringe des Stammes geben. Sie sind aber nur zu sehen, wenn der Baum gefällt wird. "Das machen wir natürlich nicht", betont Experte Lex.

Quercus ist der botanische Name für Eichen. Die wichtigsten Arten dieser Gattung sind Stiel- und Traubeneiche. "Bei uns kommen zu 99 Prozent Stieleichen vor, Traubeneichen sind im tertiären Hügelland nicht so verbreitet", sagt der Kreisfachberater. Bei den Naturdenkmälern im Landkreis handelt es sich in erster Linie um Bäume. Das bekannteste ist wohl die tausendjährige Eiche in Eisolzried, deren Stamm noch massiver als der in Stangenried ist. Doch die Eiche, die hier mitten im Weiler steht, konnte sich ebenfalls prächtig entwickeln. Sie steht frei und hat keine Konkurrenz durch andere Bäume; der hunderte Jahre alte Walnussbaum auf dem Hof von Johann Sedlmair ist etwa 50 Meter entfernt. "Die Eiche dominiert ihr Umfeld und kann gleichmäßig in alle Richtungen wachsen", konstatiert Lex. Viele große Eichen sind auch am Rande von Wäldern zu finden, wo sie laut Sedlmair als Windschutz dienen.

Die mindestens 200 Jahre alte Stieleiche in Stangenried scheint gesund zu sein. "Der Baum könnte ein bisschen voller mit Blättern sein, macht aber einen vitalen Eindruck", sagt der Kreisfachberater. Einige Austriebe ganz unten am Stamm sind leicht von Eichenmehltau befallen. Die Krankheit sei aber nicht so gefährlich, sagt Lex. Der Eichenprozessionsspinner setzt den Bäumen wesentlich stärker zu. Der Schädling - eine Berührung der Raupen kann allergische Reaktionen auslösen - ist im Landkreis nicht stark verbreitet. Größere Probleme gibt es in Franken mit ihm, wo die Bäume häufig unter Trockenheit leiden. Denn der Spinner befällt gern geschwächte Eichen. Seit einem Blitzschlag vor 30 Jahren ist die Krone der Eiche in Stangenried nicht mehr so dicht. Die Spuren des Einschlags sind noch heute zu sehen: Eine tiefe, etwa zwei Meter lange Furche zieht sich durch die obere Hälfte des Stamms. Vermutlich wurden auch die Haarwurzeln der Eiche im Boden geschädigt. Der Hofbesitzer erinnert sich: "Der Baum ist förmlich explodiert", sagt Sedlmair. "Holzstücke und Rindenteile schleuderten bis in den Hof." Seitdem stützt ein Seil die mächtige Krone. Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde, die für die Pflege des Naturdenkmals zuständig ist, überprüfen die Seilsicherung regelmäßig. Aus Sicherheitsgründen stutzen sie auch Äste des Baums, die über der Staatsstraße 2050 hängen. Ansonsten werden keine gesunden, dicken Äste entfernt, um die Eiche nicht aus ihrem Gleichgewicht zu bringen. "Die Statik des Baums muss stimmen", sagt Lex.

Naturdenkmal

Nicht nur die Bewohner des Dorfes, auch viele Schüler aus Nachbarorten kennen das Naturdenkmal in Stangenried sehr gut: Die etwa 250-jährige Eiche steht unmittelbar an der Bushaltestelle des kleinen Weilers. Stangenried gehört zur Gemeinde Markt Indersdorf und liegt an der Staatsstraße 2050 zwischen Langenpettenbach und Hilgertshausen im Nordwesten des Landkreises Dachau. Die hügelige Landschaft ist äußerst reizvoll; von Langenpettenbach führt ein Radweg bis nach Hilgertshausen. Stieleichen heißen deshalb so, weil ihre Früchte an langen Stielen hängen. Ein etwa 100 Jahre alter und 20 Meter hoher Baum verarbeitet an einem sonnigen Tag 18 Kilogramm Kohlendioxid. Dabei werden schädliche Stoffe in der Luft wie Bakterien, Pilzsporen oder Staub ausgefiltert. Der Baum verbraucht an diesem Tag 400 Liter Wasser und gibt Feuchtigkeit an die Luft ab. Bei der Fotosynthese entstehen 13 Kilogramm Sauerstoff, die den Bedarf von etwa zehn Menschen decken. Außerdem produziert der Baum zwölf Kilo Zucker. sto

Hofbesitzer Sedlmair ist auf seine Eiche stolz. "Die ist schöner als ein Maibaum." Arbeit hat er mit dem Baum nicht viel, nur das Laub muss er entsorgen. Wenn ein Tornado den grünen Riesen fällen würde, müsste Sedlmair nicht für mögliche Schäden aufkommen. Lex: "Das wäre höhere Gewalt, da haftet keiner."

In der nächsten Folge am Dienstag geht es um den Mesnerbichl bei Andechs.

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