Großstadt-Indianer:Leben wie im Wilden Westen

Großstadt-Indianer: Dörte Wormuth und Arnulf Pfitzke sind Mitglieder des Münchner Cowboy-Clubs und verstehen sich selbst als Indianer.

Dörte Wormuth und Arnulf Pfitzke sind Mitglieder des Münchner Cowboy-Clubs und verstehen sich selbst als Indianer.

(Foto: Robert Haas)
  • Dörte Wormuth und Arnulf Pfitzke sind Mitglieder des Cowboy-Clubs in München und verstehen sich als Indianer.
  • Beide versuchen, die Spiritualität der Lakotas in ihr Leben zu integrieren.
  • In ihrer Wohnung erinnern zahlreiche Artefakte und selbst hergestellte Utensilien an das Leben der Indianer.

Von Mirjam Wlodawer

Es war nachts um drei Uhr, als zwei Münchner Polizisten bei einer Verkehrskontrolle einem Cowboy begegneten. Mit Lederstiefeln, Sporen, Hut: Arnulf Pfitzke. Er erinnert sich: "Ich habe ausgesehen, als wäre ich gerade vom Pferd gestiegen", sagt Pfitzke und grinst. "Zum Glück hatte ich keine Kanone dabei. Die haben ja eh schon gedacht, dass ich voll auf Drogen bin." Einen Ausweis trug der Cowboy auch nicht bei sich. Ein Irrer? Die Polizisten wollten Pfitzke auf die Wache bringen. Pfitzke wollte nach Hause. Er diskutierte, erklärte. Aber als er den Polizisten sagte, dass er Mitglied des Münchner Cowboy-Clubs sei, ließen sie ihn weiterfahren.

Seit dieser Begegnung ist Arnulf Pfitzke vorsichtiger geworden. Wenn der 54-Jährige heute in den Cowboy-Club fährt, trägt er Jeans, T-Shirt und Birkenstock. Erst im Club verwandelt er sich in einen Cowboy. Oder in einen Indianer. Für den Mechaniker macht das keinen so großen Unterschied: "Der Oldstyle-Cowboy und der Indianer sind sich eigentlich ziemlich ähnlich. Beide leben in der Natur und müssen die Zeichen der Natur erkennen können."

Ein authentisches Lebensgefühl

Freiheit, Naturverbundenheit, Stolz. Wenn Pfitzke von der spirituellen Lebenseinstellung der Cowboys und Indianer spricht, erinnert das manchmal an eine Zigaretten-Werbung. Aber Pfitzke und seine Lebensgefährtin Dörte Wormuth suchen nach einem authentischen Lebensgefühl, wie sie das nennen. Sie wollen keine Indianer spielen. Sie wollen Indianer sein.

Das war nicht immer so. Vor allem nicht für Dörte Wormuth. Vor zehn Jahren lernte sie Arnulf Pfitzke kennen. Im Blaumann half er einer gemeinsamen Freundin beim Umzug. Groß gewachsen, durchtrainiert - ein attraktiver Mann, dachte sie. Aber als sie Arnulf das erste Mal in seiner Wohnung besuchte, bekam die Büroangestellte einen Schock. Federn, Hüte, Cowboysättel - eine Wohnung wie ein Wildwest-Museum. "Mich haben Indianer schon immer fasziniert", sagt Wormuth. "Aber als ich da reinkam, dachte ich nur: Das ist zu abgedreht. Das kann nicht funktionieren." Die Beziehung stand auf der Kippe. Wormuth, damals 40, war hin und hergerissen zwischen der Faszination für diese fremde Welt und ihrem bürgerlichen Leben als alleinerziehende Mutter zweier Kinder - bis ihr Arnulf Pfitzke ein Paar Mokassins aus Büffelleder nähte.

Heute lebt die kleine, rundliche Frau selbst in einer Art Museum. Wenn sie mit Pfitzke und ihren Kindern am Frühstückstisch sitzt, blickt sie auf den skelettierten Schädel eines Büffels. An den Wänden von Flur und Schlafzimmer: indianischer Federschmuck. Vor dem Fernseher: eine aus Weiden geflochtene Indianerliege. Der Skalp über der Schlafzimmertür ist ein Imitat aus Pferdehaar.

Die Nachbarn lächeln - und sind ein bisschen neidisch

Dass Pfitzke und Wormuth anders sind, blieb den Nachbarn in der Einfamilienhaussiedlung nicht lange verborgen. Im ländlichen Grafing gestatten gut gestutzte Hecken den Blick in den Nachbargarten. Wenn es auf einem der Indianer-Camps, die sie regelmäßig besuchen, geregnet hat, stellt Pfitzke das Indianerzelt im Garten auf, damit es trocknet. Was sagen die Nachbarn dazu? "Natürlich werden wir von manchen Leuten belächelt. Aber viele sind auch neidisch. Weil sie sich nicht trauen, anders zu sein als andere."

Großstadt-Indianer: Dörte Wormuth ist im richtigen Leben Büroangestellte.

Dörte Wormuth ist im richtigen Leben Büroangestellte.

(Foto: Robert Haas)

Vorurteilen begegnet Pfitzke mit einer geballten Ladung Wissen. Er will nicht für einen Spinner gehalten werden. Unzählige Bücher über das Leben der Indianer hat er in den vergangenen Jahrzehnten gesammelt. Um das Leben der Lakota während der Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs möglichst authentisch nachzuleben, studiert Pfitzke historische Kataloge. Wann kamen die ersten Glasperlen in den Handel? Wann wurden die Lakota-Indianer von den Cowboys mit ersten Kochtöpfen vertraut gemacht? Zu jedem Topf, Knopf oder Sattel kennt Pfitzke eine Geschichte. Einmal wurde er gefragt, was er denn studiert habe. "Nichts, habe ich dann gesagt. Ich bin LKW-Mechaniker."

Sehnsucht nach dem Wilden Westen

Grell scheint die Sonne ins Wohnzimmer. Das Leder der alten Cowboysättel glänzt. Dörte Wormuth und Arnulf Pfitzke packen Federschmuck, Lederleggins, Mokassins und einen wollenen Umhang in eine aufklappbare Plastikkiste. Außerdem haben sie eine Thermoskanne mit heißem Tee dabei. Wie so oft wollen die beiden auch an diesem Tag in den Cowboy-Club nach München fahren.

Der Club an der Isar hat eine lange Geschichte. Vor mehr als hundert Jahren träumten drei junge Männer aus München davon, in Amerika ein Leben als Cowboy zu führen. Weil ihnen das Geld für die Reise fehlte, gründeten die Brüder Fred und Hermann Sommer und ihr Freund Martin Fromberger die Lotteriegemeinschaft "Wild West". Doch der Gewinn blieb aus. Ihren Traum vom Leben eines Cowboys wollten die jungen Männer trotzdem nicht aufgeben. 1913 gründeten sie in München den ersten deutschen Cowboy-Club. Bis heute treffen sich selbsternannte Cowboys und Indianer regelmäßig auf dem Vereinsgelände an der Isar, um zu reiten, die Kunst des Lassowerfens zu üben oder im Nachbau eines Saloons ein Bier zu trinken.

Dem Cowboy-Club fehlt der Nachwuchs

Früher war der Verein jung und populär. Inzwischen sind die Cowboys in die Jahre gekommen, junge Mitglieder kommen kaum dazu. Vorstandsmitglied Herbert Köpf, den jeder im Club als "Cowboy Billy" kennt, sorgt sich um die Zukunft des Clubs. Nur sechs der 50 Vereinsmitglieder sind jünger als 40. "Früher hat es nichts Anderes gegeben. Aber die Jugend hat heute so viele andere Interessen." Winnetou und Old Shatterhand geraten allmählich in Vergessenheit. Die Helden von heute heißen Harry Potter und Shrek.

Großstadt-Indianer: Wenn Arnulf Pfitzke von der Lebenseinstellung der Cowboys und Indianer spricht, erinnert das manchmal an eine Zigaretten-Werbung.

Wenn Arnulf Pfitzke von der Lebenseinstellung der Cowboys und Indianer spricht, erinnert das manchmal an eine Zigaretten-Werbung.

(Foto: Robert Haas)

Köpf kennt Wormuth und Pfitzke seit vielen Jahren. Im Cowboy-Club gehören die beiden Indianer zu einer Minderheit. Außer ihnen gibt es nur einen weiteren Indianer. Sind Indianer bei den Cowboys unbeliebt? Das Gegenteil sei der Fall, sagt Köpf. Um ein Indianer zu sein, bräuchte man eine bestimmte spirituelle Einstellung. "Einen Indianer spielt man nicht. Einen Indianer muss man in sich tragen."

Nicht alle Lakota sind begeistert von den Hobby-Indianern

Je mehr Wormuth und Pfitzke sich dem Cowboy-Club nähern, desto ausgelassener wird er der Indianer, den er in sich trägt. Pfitzke dreht die Musikanlage lauter. Musik vom Stamm der Lakota. Monotone Trommelschläge begleiten den hypnotischen Singsang gebrochener Männerstimmen. Pfitzke singt jede Strophe mit. Zwei Zahnlücken blitzen in seinem Mund. Er hat sich selbst die Sprache der Lakota beigebracht. Im vergangenen Sommer reiste er mit seiner Lebensgefährtin in ein Reservat in Amerika, um dort die Nachfahren der echten Lakota kennenzulernen. Er musste kein Lakota sprechen, um sich mit ihnen zu verständigen. Die meisten Indianer, die im Reservat leben, haben die Sprache ihrer Vorfahren vergessen. Trotzdem stört es manche, dass europäische Hobby-Indianer die Kultur ihrer Vorfahren nachleben.

Vor 20 Jahren war Pfitzke schon einmal bei den Lakota. Damals begegnete er einem weisen Medizinmann. "Der hat in mir geblättert wie in einem Katalog. Der konnte mir Dinge über mich erzählen, das war einfach nur unglaublich." Der Medizinmann soll Pfitzke auch gesagt haben, dass er eine alte Seele besitze. Die Lakota glauben an Wiedergeburt. Selbst ein Stein hat für sie eine Seele. Und der LKW-Mechaniker, glaubt er an ein Leben nach dem Tod? Er lacht. "Also ich würde mir schon wünschen, irgendwann neben Indianerhäuptlingen wie Sitting Bull, Crazy Horse oder Rain on the Face vor 'nem Tipi zu sitzen, 'ne heilige Pfeife zu rauchen und über alte Zeiten zu plaudern."

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