HIV-Aufklärung in München:Lederschlümpfe auf Kneipentour

"Achtung, Kontrolle!" Mit provokanten Auftritten in Münchner Schwulenbars klären die "Sittenstrolche" über HIV und Aids sowie andere übertragbare Geschlechtskrankheiten auf. Denn das Bewusstsein für die Bedrohung scheint zu schwinden.

Antje Jörg

Papa Schlumpf ist schwul. Eine rote Ledermütze auf dem Kopf und mit der runden Brille auf der Nasenspitze steht er in der zweiten Reihe. "Habt ihr Sex mit Eurem Mann? Meistens ist ein andrer dran", singt er mit drei anderen Schlümpfen.

HIV-Aufklärung in München: Wenn sie als "Bayerische Staatssicherheit" für sicheren Sex werben, begegnet Adam, Markus, Richard und Thomas (von links) oft Unverständnis.

Wenn sie als "Bayerische Staatssicherheit" für sicheren Sex werben, begegnet Adam, Markus, Richard und Thomas (von links) oft Unverständnis.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Gäste des Pop-As, einer Schwulen-Bar im Münchner Glockenbachviertel, stimmen lauthals in den Refrain ein. Guido Vael heißt der Mann, der sich da als Papa Schlumpf verkleidet hat; sein Anliegen ist ein ernstes: Er kämpft für bessere Präventionsarbeit bei HIV, Aids und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten.

Viele Schwule scheinen noch heute die Bedrohung auszublenden - oder wieder. Auch deshalb gehört das "Lied der Lederschlümpfe", wie der umgetextete Klassiker heißt, ins Repertoire von Vaels Präventionsteam.

Mit provokanten Auftritten klärt die Gruppe die schwule Szene auf und zieht durch die Bars: das Selig, das Edelheiß, das Cook. Vor gut 25 Jahren wurde das Schwule Kommunikations- und Kulturzentrum, kurz Sub, in der Münchner Müllerstraße gegründet.

Im Stockwerk über der Sub-Infotheke hat Vael sein Büro. Es ist klein wie ein Kellerabteil und vollgestopft mit Ordnern, Infomaterial, Kostümen und Requisiten. Der Raum ist das Hauptquartier der "Sittenstrolche", eines Teams von zehn ehrenamtlichen Mitarbeitern.

Steht eine Patrouille an, lädt Vael hier vorher zum Briefing. Gemeinsam überlegt die Truppe, welche Lokale sich für ihre geplante Show-Einlage am besten eignen. Während Vael die Taschen mit Kondomen, Gleitcreme und Visitenkarten bestückt, schlüpfen die Sittenstrolche in Kostüme. Dann folgt die Generalprobe im Sub, wie bei professionellen Theatergruppen.

Es wirkt durchaus furchteinflößend, wenn die Sittenstrolche Thomas, Adam, Richard und Marcus die Wendeltreppe im Sub-Café herabsteigen. Motorradstiefel, Lederjacken, langer Mantel, dunkle Sonnenbrillen und Polizeimützen sollen den Eindruck martialischer Staatsmacht erwecken. Auf dem Rücken prangt der Schriftzug "BASI", er steht für "Bayerische Staatssicherheit".

Ein Zucken geht durch die drei Körper. Infiziert.

Plötzlich trillern sie auf ihren Pfeifen, die Gäste schrecken aus der Zeitungslektüre oder Gesprächen auf. Thomas ruft mit sonorer Stimme: "Achtung, Kontrolle! Bayerische Staatssicherheit. Tanzen verboten. Ficken erlaubt." Dann lächelt er und das bricht die Starre beim Publikum.

Die Vier gehen auf die Besucher zu und verteilen Visitenkarten und Kondome. Es folgt ein netter kurzer Plausch mit dem Hinweis, sich und andere zu schützen. Dann geht es raus auf die Straße. Auf zur ersten Kneipe.

Vael, 64 Jahre alt, ist einer der Gründerväter der Münchner Aids-Hilfe. Er engagiert sich seit drei Jahrzehnten in der Beratung und etablierte das Projekt Prävention im Sub. Vael ist HIV-positiv. Medikamente halten ihn am Leben, mit Nebenwirkungen. Zu den kleineren Übeln zählt das wandernde Fett: Vom Gesicht, den Armen und Beinen wandert alles in Nacken und Bauch. "Nach einer Weile siehst du aus, wie eine Kugel auf zwei Stäbchen", sagt er über sich selbst.

Manchmal treten die Sittenstrolche in weißen Anzügen auf, die ans Gesundheitsamt erinnern sollen. Auf den Köpfen tragen sie Hüte, die wie prall gefüllte Zecken mit Fangarmen aussehen. In Rot, Gelb und Weiß, sie stehen für HIV und Aids, Hepatitis sowie Syphilis. Langsam bewegen sie sich zu Technomusik durch den Raum.

In Zeitlupe gehen sie aufeinander zu, verbiegen sich, gehen auseinander, laufen auf die Gäste zu, wenden sich wieder ab, um davonzugleiten. Die Bässe werden härter, das Finale des Titels naht. HIV und Hepatitis bewegen sich aufeinander zu, sie verbinden sich und Syphilis hält seine Hände, wie bei einer Vermählung, über beide.

Ein Zucken geht durch die drei Körper. Infiziert. Die letzten Takte verklingen. In den Gesichtern der Gäste zeigen sich Erstaunen und Erkennen. Guido Vael tritt aus dem Hintergrund, reicht den Akteuren die Taschen mit den Kondomen und Infomaterial.

Auf Außenstehende macht solch ein Auftritt oder einer der "BASI" einen befremdlichen Eindruck. Als eine Gruppe älterer Touristen die "Bayerische Staatssicherheit" bei einer Kontrolle auf der Straße beobachtet, fragen die Herrschaften, was denn los sei. Der vermeintliche Polizist senkt seine Stimme: "Kontrolle", sagt er. Als er dem Mann die Visitenkarte der Sittenstrolche samt Kondom überreicht, bricht er beinahe in Lachen aus. Er senkt die Stimme noch tiefer und sagt in vertraulichem Ton zu dem Mann: "Tanzen verboten. Ficken erlaubt."

"Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sehe, wenn jemand das Virus hat"

Es dauert kurz, dann reißt der Mann entsetzt und überrascht die Augen auf. Seine Frau schüttelt den Kopf und tadelt: "Was es nicht alles gibt." Sittenstrolch Thomas schmunzelt. Manche wiederum, mit denen sie gerne ins Gespräch kämen, haben für das Anliegen der Sittenstrolche gar nichts übrig.

Wie der einsame, junge Mann vor der Kneipe KraftAkt. Beinahe fallen ihm die Lider zu - bis er Sittenstrolch Adam entdeckt. Torkelnd läuft er zu ihm und sagt: "Ich bin Joker, der Meisterkriminelle, und wer bist du?" Er gefällt sich offensichtlich in der Rolle des bösen Gegenspielers aus dem Batman-Film.

Das Gesicht von Joker ist kreideweiß, die Haare sind grün, der Mund ist rot und schlecht geschminkt. Seine Mimik und Gestik verraten: Er sucht nach Aufmerksamkeit, vielleicht Zuneigung oder auch nur Sex. Die Zigarette in der zitternden Hand scheint nicht die einzige Droge zu sein, die den knabenhaften Körper berauscht.

Joker fragt Adam, warum der als Polizist verkleidet ist. Adam erzählt, dass sie Präventionsarbeit leisten und die Uniform heute Abend dazugehört. Präventionsarbeit - da dreht sich Jokers verschmiertes Gesicht sofort weg. Adam ist klar: Für den Jungen zählt der Moment von körperlicher Nähe mehr als der Gedanke an den Schutz vor übertragbaren Krankheiten. Ignoranz, Desinteresse und Leichtsinn - wegen solcher Momente fragt sich Adam manchmal nach dem Sinn seines Tuns als Sittenstrolch.

Vael sagt, die Szene habe sich verändert. Zum einen nehmen die Therapiemöglichkeiten bei HIV und Aids vielen Schwulen die Angst vor dem Tod. Zum anderen kursieren in der Szene viele falsche Vermutungen, wie zum Beispiel: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sehe, wenn jemand das Virus hat." Sehen? In sogenannten Darkrooms wie dem Camp? Sie werden in der Szene geschätzt als Eldorados für Sex-Abenteuer.

Meist schimmert hier nur ein Bildschirm, auf dem ein Porno läuft. Sexpartner ertasten sich im Raum. Das soll Spannung und Erotik steigern, sicherer Sex ist hier nachrangig. Hin und wieder kommt es dann zu aggressiven Sprüchen gegenüber den Sittenstrolchen und ihrem Anliegen, Safer Sex zu propagieren.

Deshalb ist Guido Vael am Ende mancher Abende schon froh, wenn es keine Anfeindungen gab. An diesem indes ziehen die Sittenstrolche in seinem Büro eine erfolgreiche Bilanz ihrer Patrouille: Die "BASI" hat 400 Kondome verteilt.

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