Historie:Zu gut fürs Abstellgleis

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Die Tram war ein Erfolg, erst mit Pferden, dann mit Oberleitung. In den Siebzigerjahren sollte sie dennoch abgeschafft werden - doch das wollten die Münchner nicht zulassen

Von Marco Völklein, München

In etwa 50 Jahren dürften der MVG die Buchstaben ausgehen. Dann werden sich die Chefs des städtischen Verkehrsbetriebs für die Trambahnen andere Bezeichnungen ausdenken müssen. Seit dem Bestehen der Trambahn in München werden die jeweils neuen Waggons im Wagenpark mit Buchstaben benannt. Nach der ersten Typenbezeichnung "Z" folgte der A-Wagen, dann ging es weiter mit B-, C-, D-Wagen - bis hin zu den neuesten Trambahnen der S- und der T-Klasse. Die werden aber auch noch etwas klingender "Variobahn" und "Avenio" genannt.

Los ging es mit dem Trambahnverkehr in München vor 140 Jahren - am 21. Oktober 1876. Damals fuhr die erste Tram, noch von Pferden gezogen, vom Promenadeplatz über Stachus und Stiglmaierplatz zur Maillingerstraße. Der Belgier Edouard Otlet, der bereits in Prag und Wiesbaden Pferdebahnen angelegt hatte, erhielt damals die Lizenz zum Aufbau und Betrieb eines ganzen Pferdetrambahnnetzes. Die Stadtväter hatten erkannt: Die wachsende Stadt benötigte dringend ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrsmittel.

Im Jahre 1894, zur Hochzeit der Pferdetram, waren mehr als 700 Rösser im Einsatz. An Steigungen, etwa am Sendlinger Berg, am Hackerberg oder zwischen Stiglmaierplatz und Sandstraße, mussten die Fahrer zusätzliche Pferde vor die Waggons spannen. Mit dem Aufkommen der Elektrizität machten sich die Tram-Chefs Gedanken darüber, den Betrieb auf Strom umzustellen. Erste Erfahrungen aus Berlin und Frankfurt waren positiv. 1895 schließlich ging die erste elektrifizierte Strecke vom Färbergraben zum Isartalbahnhof in Betrieb. Doch auch damals gab es Zweifler: Das Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äußeren hatte die Erlaubnis für den Betrieb der elektrischen Oberleitungsstraßenbahn nur mit Magengrimmen erteilt - die Beamten hatten sich vorbehalten, jederzeit die Umstellung von Oberleitungs- auf Akkubetrieb verlangen zu können. Die Oberleitung aber setzte sich durch: Binnen fünf Jahren wurden sämtliche Linien auf Strombetrieb umgestellt, der Fuhrpark erweitert und modernisiert. Am 14. August 1900 fuhr die letzte von Pferden gezogene Tram durch die Stadt. Die alten Wagen indes musterten die Verantwortlichen nicht aus: Sie wurden noch lange Jahre im Sommer an die elektrischen Trams als Beiwagen angehängt.

Bis in die Sechzigerjahre hinein wuchs das Trambahnnetz stetig. Doch mit dem Bau der U-Bahn Anfang der Siebzigerjahre wollten Politiker im Rathaus die Tram abschaffen. Eine "Stadt ohne Straßenbahn" war ihr Ziel - Strecken wurden nach und nach stillgelegt, der Fuhrpark nicht mehr erneuert. Erst in den Achtzigerjahren regte sich Widerstand: Fahrgast- und Umweltverbände forderten, die Trambahn zu erhalten und zu modernisieren. Das prägte 1984 sogar den OB-Wahlkampf. SPD-Bewerber Georg Kronawitter setzte sich massiv für den Erhalt der Straßenbahn ein - und gewann. Seither wächst das Tramnetz wieder:Zuletzt wurde im Dezember 2009 die 23er-Trasse in die Parkstadt Schwabing eröffnet, zwei Jahre später kam die Strecke nach St. Emmeram hinzu. Derzeit läuft der Bau für die Verlängerung der Linie 25 vom Max-Weber-Platz bis zum S-Bahnhof Berg am Laim im Münchner Osten. Die soll voraussichtlich Mitte Dezember in Betrieb genommen werden.

Nach wie vor heftig umstritten sind die geplanten Tangenten im Norden (durch den Englischen Garten) sowie im Westen der Stadt (durch Wotan- und Fürstenrieder Straße). Obwohl beide Projekte bereits im Jahr 1991 vom Stadtrat einstimmig beschlossen wurden, seien sie zwischenzeitlich "in die Mühlen der Politik geraten", wie der scheidende MVG-Chef Herbert König sagt. Wie es damit weitergeht, ist derzeit offen. Unklar ist auch, ob die Neubaugebiete in Freiham sowie auf dem Areal der ehemaligen Bayernkaserne im Norden künftig mit der Tram- oder mit der U-Bahn angebunden werden.

Klar ist dennoch, dass angesichts der Wachstumsperspektiven Münchens auch die Straßenbahnsparte der MVG in den nächsten Jahren wachsen wird. Bei Siemens hat der städtische Verkehrsbetrieb bereits weitere Fahrzeuge des Typs Avenio bestellt; neben der Hauptwerkstätte an der Ständlerstraße soll voraussichtlich bis 2021 ein zweiter Betriebshof errichtet werden. Im bestehenden Depot an der Einsteinstraße operieren die Trambahner der MVG jetzt bereits hart an der Kapazitätsgrenze.

© SZ vom 19.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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