Historie einer Klinik:Blickkontakt aus dem Besucherturm

Vor 50 Jahren ist das Kinderkrankenhaus in Harlaching eröffnet worden. Daran und an den raschen Wandel in diesem Zeitraum bei der medizinischen Behandlung und Betreuung der kleinen Patienten erinnert eine Ausstellung im Hauptgebäude der Klinik

Von Theo Harzer, Harlaching

Die Liedermacherin und Sängerin Monika Hollmann kam vor 47 Jahren im Kinderklinikum Harlaching zur Welt. Mit 2340 Gramm fehlte ihr Gewicht, deshalb beschlossen die Ärzte, sie im Haus zu behalten und erst einmal aufzupäppeln. 15 Tage verbrachte Hollmann dann in der Klinik. Ihre Eltern durften in diesem Zeitraum nicht zu ihrer Tochter. Die einzige Möglichkeit, ihren Nachwuchs zu sehen, war der Besucherturm. Über ihn gelangte man auf Balkone und konnte von dort durch die Fensterscheiben einen Blick auf die Kinder werfen. "Mein Opa hat mich damals sofort erkannt", erzählt Monika Hollmann. "Er hat sich die Babys angeschaut und wusste, welches davon ich war."

Historie einer Klinik: Philippe ist Ringer. Nach einer Borreliose-Infektion half ihm Arzt Florian Bauer wieder auf die Beine und brachte ihn zurück in den Ring.

Philippe ist Ringer. Nach einer Borreliose-Infektion half ihm Arzt Florian Bauer wieder auf die Beine und brachte ihn zurück in den Ring.

(Foto: Robert Haas)

Das Trennen der kleinen Patienten von deren Eltern war damals, vor nahezu fünf Jahrzehnten, gang und gäbe. "Wenn das Kind im Krankenhaus war, galt es als krank, und die Eltern waren nicht dabei", erinnert sich Florian Bauer, leitender Oberarzt für Neonatologie. Der Besucherturm war eine für damalige Verhältnisse innovative Idee, auf diese Weise konnte man den Eltern wenigstens ein bisschen Kontakt zu ihrem Kind bieten. Für Monika Hollmann sind diese 15 Tage, die sie allein in der Klinik verbracht hat, noch immer präsent. Sie beschäftigt sich intensiv mit ihrer Vergangenheit. "Ich fühle mich manchmal isoliert und ich glaube, dass das mit dem Krankenhaus-Aufenthalt zusammenhängt."

Historie einer Klinik: Seit 50 Jahren sind die Pforten der Kinderklinik Harlaching geöffnet. Mehr als 100 000 Kinder wurden hier geboren.

Seit 50 Jahren sind die Pforten der Kinderklinik Harlaching geöffnet. Mehr als 100 000 Kinder wurden hier geboren.

(Foto: Robert Haas)

Heute, 50 Jahre nach der Eröffnung des Kinderkrankenhauses in Harlaching, ist Harlaching ein höchst zeitgemäßes Krankenhaus. Das wird unter anderem in einer Ausstellung deutlich, die das Klinikum aus Anlass ihres Jubiläums veranstaltet. Die Eltern haben selbstverständlich ihre Kindern bei sich im Zimmer und genießen umfassenden Service.

Ute Erber zum Beispiel hat ihre drei Kinder in Harlaching zur Welt gebracht. Sie lobt die familiäre Atmosphäre im Krankenhaus: "Wir haben uns hier sehr gut aufgehoben gefühlt. Sowohl von der medizinischen wie auch von der menschlichen Seite her." Ihre erste Tochter, Charlotte, war ein Frühchen. "Mit Charlotte sind wir fünf Monate lang jeden Tag in die Klinik gekommen. Das war fast schon wie ein Zuhause." Mit Frühchen kennt man sich aus in Harlaching. Es gibt eine Frühchen-Station, die zwölf Plätze vorhält. Für die vorbildliche Versorgung von Frühgeborenen hat das Klinikum Harlaching denn auch das Qualitätssiegel "Perinatalzentrum Level 1" erhalten.

Historie einer Klinik: Dieter Grab hat Sabine Helmers und Andreas Metzgers Tochter Victoria zur Welt gebracht und dabei Mutter wie Tochter das Leben gerettet.

Dieter Grab hat Sabine Helmers und Andreas Metzgers Tochter Victoria zur Welt gebracht und dabei Mutter wie Tochter das Leben gerettet.

(Foto: Robert Haas)

Ein ganz besonderes Frühchen war Victoria. Als sie in der sechsundzwanzigsten Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt auf die Welt kam, wog sie gerade mal 320 Gramm. Damit war sie eines der kleinsten Frühchen, die je in Harlaching geboren wurden. Ihre Mutter war am HELLP-Syndrom erkrankt, im Volksmund auch Schwangerschaftsvergiftung genannt, deshalb musste die Schwangerschaft umgehend abgebrochen werden. Heute ist Victoria drei Jahre alt und quickfidel. Dieter Grab, Chefarzt der Frauenklinik in Harlaching, hat damals den Eingriff bei Victorias Mutter durchgeführt. "Man holt das Kind in der Fruchtblase aus dem Mutterleib. In der Blase hat das Frühchen die größten Überlebenschancen", sagt er. Grab ist in seinem Metier gleichermaßen anerkannt wie sehr bekannt. Nicht von ungefähr ist er Präsident der Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin.

Historie einer Klinik: Phil Hill stammt selbst aus Harlaching. Seit 2015 leitet er das Krankenhaus.

Phil Hill stammt selbst aus Harlaching. Seit 2015 leitet er das Krankenhaus.

(Foto: Robert Haas)

In der Kinderklinik Harlaching erblicken jährlich circa 2300 Kinder das Licht der Welt. Besonders wichtig in der Endphase der Schwangerschaft sind dabei die Hebammen. Sybille Kaffenberger ist seit 1988 im Haus, sie ist die dienstälteste Hebamme in Harlaching. "Ich habe schon Kinder zur Welt gebracht, deren Eltern ich auch aus dem Bauch geholt habe", sagt sie. Kaffenberger arbeitet eng mit Marie-Sophie Buschmeier zusammen, der dienstjüngsten Hebamme. "Die Arbeit zwischen Jung und Alt läuft sehr gut", verraten sie in der Ausstellung, die das Klinikum zum fünfzigjährigen Bestehen veranstaltet. "Es gibt keine Konkurrenz. Im Gegenteil: Wir lernen täglich voneinander." Kaffenberger hat den Wandel der Geburtsmedizin in den vergangenen 30 Jahren direkt mitbekommen. "Es hat sich vieles verändert. Zum Beispiel der Kreißsaal: Früher war er grau gekachelt und ungemütlich, heute ist das ein ganz heimeliger Raum."

Die Klinik tut sehr viel dafür, um auf dem neuesten Stand zu bleiben und Patienten wie Mitarbeitern ein angenehmes Umfeld zu generieren. Phil Hill, Leiter des städtischen Klinikums Harlaching, erklärt, wie die Kliniksanierung am Standort Harlaching in nächster Zukunft vonstatten gehen soll. "Zuerst wird die Kinderklinik ins Hauptgebäude umziehen." Anschließend wird das Gebäude des Kinderkrankenhauses abgerissen, auf dem Gelände entsteht das Baufeld für eine neue Klinik. Dieser Neubau ist Teil eines der größten Projekte im Deutschen Gesundheitswesen: Die Stadt München und der Freistaat Bayern investieren in den nächsten Jahren für die Modernisierung und die Konzentration der städtischen Kliniken Bogenhausen, Schwabing, Harlaching und Neuperlach auf zukunftsfähige Standorte mehr als eine dreiviertel Milliarde Euro. Denn langfristig kann sich München die aktuelle Kliniklandschaft nicht leisten.

Für Monika Hollmann sind in Kliniken Strukturen wichtig, die es Kindern ermöglichen, von Anfang an eine starke Bindung zu ihren Eltern aufbauen zu können. Eine ganz persönliche Antwort auf diese Herausforderung hat sie mit ihrem Projekt "Herzensgesang", dem gemeinsamen Singen für Schwangere und Eltern mit Babys, gefunden. "Die Stimme von Mutter und Vater ist in der Schwangerschaft das erste, nächste und vertrauteste, was das Baby hört", schreibt die Musikerin auf ihrer Web-Seite. Ihre eigenen Eltern konnten ihr in den ersten 15 Tagen ihres Lebens keine Lieder vorsingen. Heute hingegen dürfen Neugeborene mit jeglichem Komfort rechnen. Natürlich auch mit elterlicher "Der Mond ist aufgegangen"-Beschallung.

Die Ausstellung zu "50 Jahre Kinderklinik Harlaching" befindet sich im Hauptgebäude, Sanatoriumsplatz 2,und ist auf unbestimmte Zeit geöffnet.

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