Historie:Dass a Ruah is!

Biermaibock historisch, 1848

Traditionelle Maiunruhen, nicht in Kreuzberg, sondern in München. Dieser Stich zeigt einen Biertumult im Jahr 1848.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Bier sediert? Von wegen! Nationalgetränk und Rebellion sind in Bayern traditionell eng miteinander verbunden

Von Franz Kotteder

Merkwürdigerweise wird den Bayern andernorts ja immer eine gewisse Bräsigkeit nachgesagt, die vom Bier kommen soll. Da ist die Rede von der "königlich bayerischen Bierruhe" oder auch vom "Bierdimpfltum", dem der Bayer rettungslos verfallen sei. Das signalisiere eine tiefsitzende Obrigkeitshörigkeit und ein Untertanenverhalten, wie sie schlimmer nicht sein könnten, befördert durch die Volksdroge Bier, die als "Opium fürs Volk" diene, in Ergänzung zur anderen Droge, der kirchentreuen Religion. Jedenfalls, wenn man Karl Marx da folgen will.

Nun sind es Bayern wie Münchner gewöhnt, vom Rest der Welt unverstanden zu bleiben, schon klar. Aber selten werden sie so gründlich missverstanden wie in ihrem Verhältnis zum Bier und zur Obrigkeit. Es ist ja keineswegs so, dass Bier die Gemüter beruhigt und friedlich stimmt. Eher ist das Gegenteil der Fall, was sich bei jedem x-beliebigen Volksfest beobachten lässt. Sehr alte Bayern beklagen noch heute, dass es früher auf Volksfesten "viel lustiger" gewesen sei, weil man da noch mit dem Hacklstecken aufeinander losgegangen sei und eine "zünftige Rauferei" alles erst so richtig abrunde. Heute müssen die Volksfestwirte ein Vermögen für Ordnungsdienste und Wachleute ausgeben, damit es dazu nicht mehr kommt. Ein großes Wiesnzelt beschäftigt bis zu 120 Ordner pro Schicht. Völlig friedlich läuft die Sauferei aber trotzdem nicht ab.

Überhaupt ist ein anständiger Aufruhr ohne Bier in München und Bayern nur ganz schwer vorstellbar. Oskar Maria Graf, jener Schriftsteller, der das bayerische Rebellentum wohl am besten erfasst hat, beschrieb in seiner Autobiografie "Gelächter von außen" eine Schlüsselszene der Münchner Revolution von 1918, die das Wesen des Revoluzzers in dieser Stadt in einer einzigen Szene - und letztlich in einem einzigen Satz - auf den Punkt bringt. Graf schildert eine Versammlung der Arbeiter im damaligen Mathäserbräu am Stachus, also in einem Bierkeller - wo auch sonst? Es geht hin und her in der immer hitziger werdenden Debatte, und der rechte Sozialdemokrat Joseph Zankl fasst die Diskussion schließlich zusammen mit den goldenen Worten: "Noja, Genossen, machn mir hoit a Revolution, dass a Ruah is -!"

Die Wiederherstellung der Ruhe ist von Alters her in Bayern ein wichtiger Grund für einen Aufruhr. Seit dem Mittelalter sind zahllose Aufstände registriert, auffallend oft wegen Bierpreiserhöhungen. Auswärtige finden so etwas heute putzig und typisch. Tatsächlich aber hat es schlicht damit zu tun, dass Bier über Jahrhunderte hinweg nicht als Genuss-, sondern als Grundnahrungsmittel galt. In zeitgenössischen Berichten ist häufig die Rede davon, dass bei diesen Aufständen nicht nur die Brauer angegriffen wurden, sondern beispielsweise auch Bäcker. Nur passt das halt nicht so schön zum Klischee über den Bayern, der Bier am liebsten aus Eimern säuft.

Einer der ersten, der die gesellschaftspolitische Bedeutung des Bieres und den revolutionären Impetus, der dem Bayer innewohnt, erkannt hat, war Friedrich Engels. Von ihm gibt es einen Zeitungsartikel im Northern Star, dem Zentralorgan der englischen gewerkschaftsnahen Chartisten, vom 25. Mai 1844, in dem er von den "Beer Riots in Bavaria" berichtet. Die dauerten vom 1. bis zum 4. Mai 1844, Tausende Münchner gingen auf die Straße, stürmten Brauereien und verwüsteten Gasthäuser, weil der Bierpreis um einen Pfennig angestiegen war. Grund dafür war eine neue Biersteuer von 100 Schilling pro Mass, die König Ludwig I. eingeführt hatte. Die alarmierten Polizisten und herbeigerufenen Reiterregimenter weigerten sich, gegen die Aufständischen vorzugehen, schließlich musste Ludwig per Dekret den Bierpreis wieder von zehn auf neun Kreuzer senken. Für Engels ein Zeichen, dass das Volk seine Macht entdeckt habe: "In München, einer Stadt voll von Soldaten und Polizei, des Sitz des Königshofes, dauern Krawalle ungeachtet des ganzen Militäraufmarsches vier Tage an - und zu guter Letzt erreichen die Randalierer ihr Ziel."

Freilich: Weltrevolution sieht anders aus, und in München und drumherum scheint es sich bei den Bieraufständen langsam doch eher um eine Art Traditionspflege zu handeln. So sieht es jedenfalls die Wiener Zeitung, die am 13. Mai 1848 von neuerlichen Biertumulten in der bayerischen Hauptstadt berichtet: "Der Münchener Pöbel scheint es sich nicht nehmen lassen zu wollen, dass er anfangs Mai seine Bier-Revolution machen müsse." Und das, nachdem er sechs Wochen zuvor doch erst den König gestürzt hatte, und das nicht einmal wegen des Bierpreises!

So ziehen sich Revoluzzertum und Bier also durch die bayerische Geschichte bis hin zum Dorfener Bierkrieg von 1910, bei dem es um eine Preiserhöhung von 24 auf 26 Pfennig pro Mass ging. Sieben Gebäude, hauptsächlich Brauereien und Wirtshäuser, gingen da in Flammen auf, 24 Dorfener wurden festgenommen und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Der Bierpreis aber wurde wieder gesenkt, auf 24 Pfennig. Vorübergehend, wie man heute weiß.

Seither hat der aufrührerische Verve in Bayern doch arg nachgelassen, Engels' Hoffnung von 1844, das Volk würde seiner Regierung künftig "auch bei wichtigeren Angelegenheiten das Fürchten lehren", hat sich nicht bewahrheitet. Bei der Biergartenrevolution von 1995 ging es dann nicht einmal mehr um den Preis, sondern bloß um Öffnungszeiten. Und ein sogenannter "Wanderstammtisch Bier & Revolution", den linke Aktivisten 2008 anlässlich des 90. Geburtstags der bayerischen Räterepublik ins Leben riefen, ist längst wieder sanft entschlafen. Ein Revolutionär hat's eben schwer, trotz des Bieres und selbst in München.

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