Hilfe für Flüchtlinge:"Wir haben sofort angepackt"

Flüchtlinge in Kroatien

Viele Freiwillige sind nach Ungarn und Kroatien gereist, um den dort gestrandeten Flüchtlingen zu helfen.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Ein Auto, ein Spendenaufruf und es geht los: Vielen Münchnern ist der Einsatz zu Hause nicht genug, sie brechen auf nach Ungarn oder Kroatien, um Flüchtlinge mit dem Nötigsten zu versorgen - sechs Beispiele.

Von SZ-Autoren

Irgendwas müsste man tun, um Flüchtlingen zu helfen. Das hat sich Regisseur und Kameramann Andreas Einbeck schon länger überlegt. Aber wie das so ist: Eine eigene Firma, drei Kinder, es fehlt die Zeit. Dann kamen die Tausenden Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof an. "Das war der Augenöffner", sagt Einbeck. Wenige Tage später saß er im Auto nach Ungarn.

Mit privaten Spenden - inzwischen hat er 10 000 Euro gesammelt - kaufte er 140 Zelte und traf spät am Abend im Grenzort Röszke ein. Als Kameramann habe er schon einiges gesehen, sagt Einbeck, "aber das war etwas anderes". Die Zustände im Lager: Chaos, Schmutz, Gestank, Menschen in der Dunkelheit auf der Suche nach einem Schlafplatz. "Wir haben sofort angepackt", bis zum Morgen, dann eine Stunde Schlaf und wieder weiter. "Wir haben vor allem den Müll weggeräumt, das musste man in den Griff kriegen."

Am Abend ging es zurück nach München, "wahnsinnig wütend" sei er gewesen, und es war klar, dass die Hilfe weitergehen muss. Eine Woche später fuhr Einbeck gleich wieder los, diesmal nach Kroatien, besorgte im Baumarkt Planen und Pfosten, um die Flüchtlinge vor dem Regen zu schützen. In München hat Einbeck inzwischen eine Etage seiner Firma zum Kleiderlager umfunktioniert. Man werde viel brauchen, fürchtet er.

Ein Lkw für Röszke

Der Lkw ist voll mit Wasser, Schokolade, Kleidung und Thunfischdosen, Gesamtgewicht: 7,5 Tonnen. Zafer Ertem ist überwältigt. "Innerhalb von zwölf Stunden haben wir das eingesammelt und das alles über Facebook", sagt er. Der 41-Jährige ist eigentlich skeptisch gegenüber dem sozialen Netzwerk, jetzt lobt er es überschwänglich. "Ohne die Koordination über Facebook wäre diese Hilfe nicht möglich gewesen." Mitte September brachte Ertem die erste Ladung an die ungarische Grenze. Die schwierige Situation in der Grenzstadt Röszke war der Auslöser, etwas zu tun.

"Wenn wir selbst einmal in so eine Situation geraten, in der die Flüchtlinge jetzt sind, hoffe ich, dass die Welt nicht so kaltherzig ist", sagt Ertem. Der Münchner arbeitet seit 22 Jahren als interkultureller Trainer, hilft Mitarbeitern von großen Firmen, im Ausland nicht in Fettnäpfchen zu treten. Seit Wochen ist er nun fast ausschließlich für Flüchtlinge unterwegs. Zuerst war er mit dem "Helferkreis Münchner Muslime" in der Messestadt aktiv, doch was er an der ungarischen Grenze gesehen hat, übertrifft alles. "Dort fehlt es an Essen, an Wasser, an allem", sagt er. Und weil die Flüchtlinge von den Behörden immer hin und her geschickt würden, sei es nicht möglich, ein richtiges Camp aufzubauen.

Mittlerweile startet Ertem seine dritte Hilfslieferung, es geht jetzt Richtung kroatisch-serbische Grenze. Und er wird weiter machen. Eine seiner größten Sorgen: der Winter. "Wir haben Angst, denn bereits jetzt haben viele Leute eine Lungenentzündung."

Hebammen-Sprechstunde in der Flüchtlingsunterkunft

Annett Oertel ist Hebamme, und von den Berichten vom Budapester Keleti-Bahnhof war sie so schockiert, dass sie sich Anfang September spontan auf den Weg nach Ungarn gemacht hat. Am Bahnhof hat sie Müttern mit ihren Babys und Schwangeren versucht zu helfen, wie es eine Hebamme auch hier tun würde. Als Oertel merkte, dass auch in Budapest die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung wuchs, fuhr sie weiter nach Röszke. Oertel war dort mit einer ungarischen Medizinstudentin unterwegs, die sie in Budapest in ihrer WG untergebracht hatte. "Wir haben in Röszke alles gemacht, was nötig war", erzählt Oertel. "Warme Kleidung organisiert, Müll eingesammelt oder Leuten, die medizinische Hilfe brauchten, das Zelt von Ärzte ohne Grenzen gezeigt."

Um Familien hat sie sich besonders bemüht. Andere Helfer haben ein altes Gewächshaus schnell zu einem Schlafzelt für 150 Leute hergerichtet. "Wir sind dann abends über die Felder gegangen und haben Familien, die mit ihren Kindern draußen im Dreck lagern mussten, diesen etwas geschützteren Raum gezeigt." Seit einigen Tagen ist Oertel zurück in München, ihr Urlaub ist aufgebraucht.

Sie und ihre Unterstützer, die sich über das Internet kennengelernt haben, gründen gerade unter dem Vorsitz von Nikolaus Hoenning den Verein "Hilfe Grenzenlos". Sie wollen vor allem Kindern auf der Flucht helfen. "Wir hoffen, damit auf Dauer mehr bewirken zu können", sagt Oertel. Sie selbst hat bereits das nächste Projekt angepackt: eine Hebammen-Sprechstunde in einer Flüchtlingsunterkunft.

Trockene Kleidung gegen das Unwetter

"Wir haben in München heftige Tage erlebt", sagt die Grünen-Landtagsabgeordnete Claudia Stamm. "Aber das ist kein Vergleich zu dem, was hier passiert." Am vergangenen Mittwoch ist Stamm mit Unterstützung von Hoennings Verein und dem Hilfsnetzwerk IHA des Münchners Daniel Überall mit einem vollbepackten Sprinter nach Kroatien aufgebrochen. "Es war mein eigener Impuls, ich musste dorthin", sagt sie. Um sich als Politikerin zu informieren, aber nicht nur. "Mir war klar, dass ich auf keinen Fall leer fahre."

Am Freitagmittag steht Stamm auf einem Friedhof am Grenzübergang zu Serbien bei Tovarnik und ringt um Worte. Zwischen Gräbern mussten die Flüchtlinge die Nacht verbringen, 2000, schätzt Stamm. Es gab keine Zelte, keine Hilfsorganisationen, nicht einmal Toiletten, denn den Bereich, in dem Dixie-Klos standen, duften die Flüchtlinge nicht betreten. In der Nacht habe es ein heftiges Unwetter gegeben, sagt Stamm, alle waren durchnässt. "In den frühen Morgenstunden haben wir trockene Kleidung ausgegeben". Versorgt worden seien die Menschen nur von Freiwilligen, die kroatischen Polizisten hätten lediglich aufgepasst, dass niemand weiterzieht, sagt Stamm. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich so etwas in Europa erlebe."

Münchner Clubs packen einen Sprinter voll

Angefangen hat alles damit, dass Christoph Pankowski und seine Freunde Fahrräder hergerichtet und sie zu Flüchtlingsunterkünften gebracht haben. Jetzt startet der 29-jährige Macher des Club Autonomica eine Hilfsaktion und sammelt alles, was an der ungarischen Grenze gebraucht wird. "Ich wollte ein Zeichen setzen und einen Stein ins Rollen bringen", sagt Pankowski. Durch seinen Schwiegervater, der bei der Caritas arbeitet, ist er mit dem Leid dieser Menschen in Berührung gekommen. Der gelernte Veranstaltungskaufmann beschloss, etwas zu tun, "denn wenn ich was gut kann, dann organisieren".

Er rief seine Kollegen aus dem Münchner Nachtleben an und bat sie mitzumachen. Keiner sagte Nein. Er sei schon immer politisch interessiert gewesen, sagt Pankowski, so eine große Aktion startet er aber zum ersten Mal. Mehr als 15 Clubs, Läden und Kulturveranstalter machen bei seinem Spendenaufruf mit, unter anderen der Kong Club, die Kongress Bar und das Bob Beamen.

Tagelang haben die Helfer Spenden angenommen: Nun ist ein Sprinter voll mit Babynahrung, feuchten Tüchern, Hygieneartikeln, Decken und warmen Jacken. Die Menschen haben sogar so viel vorbeigebracht, dass Pankowski die Abfahrt verschoben hat. Erst wenn alle Sachen sortiert sind, will der Eventmanager entscheiden, wohin die Hilfsfahrt geht.

Vor allem fehlt es an Helfern

Sie klebt an Türen von Geschäften, Autoscheiben und an Rucksäcken. Die Feder mit der Aufschrift "Welcome" ist im vergangenen halben Jahr zu einem Symbol des bunten München avanciert. Aus dem Zeichen für Solidarität hat sich mittlerweile ein Hilfsprojekt entwickelt. Um größere Spendenbeträge sammeln zu dürfen, soll demnächst ein Verein daraus werden. Vor drei Wochen startete der erste Lieferwagen ins ungarische Röszke, beladen mit Medikamenten, Babynahrung, warmen Kleidern und Spendengeldern.

Sechs Tage verbrachten die Helfer an der ungarisch-serbischen Grenze - und fanden Zustände vor, die schlimmer waren, als sie sich vorgestellt hatten. "Wir kamen mit Windeln, und die Menschen dort hatten noch nicht einmal Wasser", sagt Khudor Lamaa, einer der fünf Initiatoren von "Welcome". Vor allem aber fehle es in diesem Chaos an Helfern. Ein Mitglied der Gruppe sei daher bereits zum dritten Mal auf dem Weg nach Ungarn. Lamaa selbst hält an der Isar die Stellung, aufgrund seiner Geschichte ist er für viele Münchner das Gesicht der Initiative.

Als Siebenjähriger floh der heute 36 Jahre alte Lamaa vor dem Bürgerkrieg im Libanon, in seinen beiden Lokalen in Sendling beschäftigt er zehn Syrer. Die Welle der Hilfsbereitschaft, die Anfang September über München hinweg brandete, sieht er sehr positiv. Trotzdem regt er zum Nachdenken an. "Viele spenden etwas und danach ist die Sache abgehakt", sagt Lamaa. Der Krieg gehe aber weiter, es seien Millionen von Menschen unterwegs.

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