Hetze im Netz:Polizei? Gefällt mir!

File photo of a cybersecurity expert monitoring telecommunications traffic at a network operations center in a Verizon facility in Ashburn

Cyber-Crime-Ermittler der Polizei beobachten genau, was im Internet passiert - und schreiten im Ernstfall ganz schnell ein, wie kürzlich in München.

(Foto: Reuters)

Münchens Ordnungshüter nutzen Facebook und Twitter, um schnell auf öffentliche Stimmungen reagieren zu können. Dass die Beamten dabei jenen drohen, die Hassbotschaften verbreiten, kommt gut an.

Von Stefan Simon

Die Kommentare auf Facebook und Twitter sind ungewohnt positiv. "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum", hat das Polizeipräsidium München dort geschrieben und gewarnt, "dass volksverhetzende Posts und sonstige strafrechtliche relevante Einstellungen auch in den Sozialen Netzwerken nichts zu suchen haben und strafrechtlich verfolgt werden". Für den erhobenen Zeigefinger gibt es etliche Daumen-rauf-Klicks. Das Schüren von Hass und Vorurteilen, das Angstmachen und Aufstacheln geht vielen gegen den Strich. In München ist das Thema "Hetze im Netz" an diesem Wochenende sogar Gegenstand einer wissenschaftlichen Tagung.

Mit der Anonymität ist es schnell vorbei

An der Ettstraße halten mehrere Abteilungen ein Auge auf das Internet, nicht nur Staatsschützer und "Cyber Crime"-Ermittler, sondern auch die zum Präsidialbüro gehörende Pressestelle. Seit mehr als einem Jahr ist die Münchner Polizei selbst in den sozialen Netzwerken aktiv, sie hat mehr als 18 000 Follower auf Twitter, und 16 300 haben bei Facebook "Gefällt mir" geklickt. Präsidiumssprecher Marcus da Gloria Martins ist klar, dass die Posts seiner Behörde "sehr stark polarisieren", und mit entsprechenden Kommentaren werden sie immer wieder versehen - immer abhängig davon, in welchem Verhältnis sich der jeweilige User zur Staatsmacht sieht. Doch wer hier hetzt und Gesetzesverstöße mit Meinungsfreiheit verwechselt, muss damit rechnen, dass er ein Fall für die Staatsanwaltschaft wird.

Mit der vermeintlichen Anonymität im Internet ist es dann schnell vorbei. Natürlich kann man sich mit falschen Namen bei Mail-Dienstleistern registrieren und diese Daten anschließend verwenden, um sich ein ebenso frei erfundenes Profil in den sozialen Netzwerken anzulegen. Dass das in den Nutzungsbedingungen untersagt ist? Weiß jeder, und jeder weiß auch, dass das praktisch nie überprüft wird. Im Sommer, als immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland und also auch nach München kamen, hatte die Hetze im Netz ein Ausmaß angenommen, dass sich Polizeipräsident Hubertus Andrä selbst zu Wort meldete. "Rassismus, Beleidigungen und Drohungen mit Gewalt haben in einer demokratischen Diskussion nichts verloren", schrieb er auf der Facebookseite des Präsidiums. Er regt sich darüber nicht als einziger auf.

"Ein kollektives Sinken von Hemmschwellen"

"Man muss deutlich machen, dass Hetze Hetze ist - auch im Netz", sagt die Soziologin Jasmin Siri von der LMU. "Und dass es für die Strafwürdigkeit keine Rolle spielt, ob ich jemandem ins Gesicht sage ,Ich will, dass du stirbst' oder das gleiche schreibe." Siri forscht zu Fragen der Ethik im digitalen Zeitalter und beobachtet dabei "ein kollektives Sinken von Hemmschwellen". Was sie paradox findet: "Auf der einen Seite beklagen viele, dass man seine Meinung aufgrund von Political Correctness nicht mehr äußern dürfe. Anderseits wird dieser Vorwurf genutzt, um sich selbst der sachlichen Diskussion zu entziehen, indem jedes auch noch so höflich vorgetragene Gegenargument als ,Meinungsdiktatur' oder bewusste ,Falschinformation' diskreditiert wird."

Über ihre Erfahrungen mit der Digitalisierung der Kommunikationskultur referiert die promovierte Soziologin am Samstag auch bei der Tagung "Ethik 2.0". Siri betont, sie sehe gleichwohl "viel positives Potenzial" in den Social-Media-Kanälen. Es werde dort ja "nicht nur gehasst, sondern es wird auch Zuwendung und Anerkennung gespendet", nach Anschlägen wie in Paris auch Trost und Solidarität.

Die Polizei begebe sich bewusst in "ganz normale, öffentlich zugängliche Netzwerke", sagt Sprecher Marcus da Gloria Martins. Er spricht von einem "Bevölkerungslagebild". Nach den jüngsten Terrorattentaten sei das besonders wichtig gewesen. Beiträge auf Facebook und Twitter gelten als wichtige Gradmesser für die allgemeine öffentliche Stimmung. Ängste und Gerüchte verbreiteten sich in den sozialen Netzwerken besonders schnell, sagt Martins. Doch nur wer das mitbekommt, kann darauf schnell reagieren.

Ethik 2.0 - Zur normativen Dimension des digitalen Lebens, Samstag 10 bis 16 Uhr, Universität München, Raum M210, Anmeldung unter mke@lmu.de oder Telefon 2180 6083.

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