Hellabrunn:Warum München keine Pandas hat

Hellabrunn: Nicht in München - ein sechs Monate alter Panda aus dem Zoo von Kuala Lumpur, aufgenommen 2016. Das Tier ist eine Leihgabe des Landes China an Malaysia.

Nicht in München - ein sechs Monate alter Panda aus dem Zoo von Kuala Lumpur, aufgenommen 2016. Das Tier ist eine Leihgabe des Landes China an Malaysia.

(Foto: AP)

Carsten Zehrer soll als Kurator im Tierpark Hellabrunn eine spannende Zoo-Ausstellung schaffen. Aber ohne das chinesische Nationaltier. Warum ist das so?

Von Philipp Crone

Die Frage ist heikel, das weiß er. Carsten Zehrer lächelt. Warum der Münchner Zoo nicht eines der Tiere hält, die weltweit neben Eisbären wohl die beliebtesten Beobachtungsobjekte sind? Das kann der 44-Jährige mit Stoppelbart und blonder Stoppelfrisur erklären, das muss er erklären. Zehrer ist schließlich dafür verantwortlich, dass München keinen Panda hat. Sondern nur Waschbären. Wobei dieses "nur" auch nur jemand formulieren würde, der einen Zoo für eine reine Attraktionssammlung hält. Das ist Hellabrunn aber schon lange nicht mehr.

Warum also gibt es keinen Panda, diese attraktivste und gleichzeitig am schwierigsten zu haltende Zoo-Tierart der Welt, dafür bald Okapis. Warum demnächst keine Braunbären mehr, dafür heimische Rinder und sibirische Tiger? Zehrer, einer von drei Kuratoren in Hellabrunn, holt Luft. Was folgt, ist ein Einblick in den Kosmos Zoo. Und am Ende wird jeder Panda-Fan zustimmen, dass München keinen braucht. Zunächst muss man dafür verstehen, was das ist, ein Zoo-Kurator.

Zehrer kennt den Blick, wenn er seine Berufsbezeichnung ausspricht, zweifelnd bis spöttisch. Kurator? So wie die Menschen, die in Galerien und Museen Bilder auf- und umhängen? Er muss die Ausstellung Hellabrunn immer wieder neu komponieren, mit dem Unterschied, dass Gemälde nicht sterben, sich nicht fortpflanzen und nicht gefüttert werden müssen. Beim Transport hingegen gibt es durchaus Parallelen: Er ist heikel. Zusammen mit einer Kollegin kümmert sich Zehrer um "alles, was Fell und Federn hat", ist für den südlichen Zoo-Bereich zuständig, die Kollegin für den Norden. Ein weiterer Kurator betreut die Unterwasserwelt.

Zoo-Kurator Carsten Zehrer im Tierpark Hellabrunn

Kurator Carsten Zehrer ist für den südlichen Zoo-Bereich zuständig.

(Foto: Florian Peljak)

Bevor eine neue Tierart wie zuletzt im Mai drei Waschbären nach München ziehen können, muss zunächst einmal eine alte ausziehen. Schließlich ist Hellabrunn zu jedem Zeitpunkt voll belegt. Entweder wird Platz, wenn ein Tier stirbt. Oder es wird eine Art abgegeben. Da sich die Haltungsvorschriften für die Tiere immer wieder ändern, müssen Arten manchmal umziehen, weil mehr Platz gefordert ist oder mehr separate Gehege. "Wir haben in München den Vorteil, dass wir in allen Bereichen die Platzanforderungen für die Tierarten übererfüllen", sagt Zehrer.

Der Biologe ist an einem Maivormittag auf einem seiner Rundgänge. 19 000 Tiere hat er mit seinen Kollegen im Blick. Der schlanke Mann spricht so entspannt eloquent, als wäre er ein Politiker, der mal wieder über die Themen seines Wahlkreises referiert. Aber er muss das wohl können, schließlich ist ein Kurator auch derjenige, der den Zoo-Chef, Tierärzte und Pfleger von seinen Plänen und Ideen überzeugen können sollte. Bereits mit sechs Jahren hatte Zehrer eine Tierpark-Jahreskarte in Hannover, später studierte er dort Biologie und machte da bereits Führungen durch den Zoo, begann an gleicher Stelle anschließend als Kurator. Von Hannover ging es 2013 nach München. Seitdem lebt er mit seiner Frau, einer Tierärztin, und dem mittlerweile sechsjährigen Sohn an der Isar. Der interessiert sich allerdings weniger für Pandas oder Tiger als vielmehr in erster Linie für die Welt der Bagger. Noch.

Zehrer sitzt, wenn er nicht gerade einen seiner Kontrollgänge unternimmt, am Rechner, denn bis eine Tierart den Zoo verlässt oder Tiere in ein neu angelegtes Gehege kommen wie jetzt die Waschbären, dauert es oft Monate. Er hat auf dem PC den gesamten Tierbestand von Hellabrunn aufgelistet, weiß aber auch, wie viele Ameisenbären der Zoo von Los Angeles derzeit hält. Über eine internationale Datenbank kann er darauf zugreifen, was wichtig wird, sollte Hellabrunn einmal zu dem Schluss kommen, dass man einen zweiten Ameisenbär braucht oder der hier lebende verstirbt.

Alle Tiere sind, soweit das geht, mit einem Mikrochip markiert. Bei Vögeln wird der Chip in der Brustmuskulatur untergebracht, bei Säugern zwischen den Schulterblättern. Die dort hinterlegte Nummer kann Zehrer mit einem Scanner auslesen, findet so das Tier in seiner Datenbank und greift auf Informationen zu wie dessen Abstammung. "Auf die Art und Weise werden auch gestohlene Tiere identifiziert."

Tierdiebstahl kommt regelmäßig vor, sagt Zehrer, meistens auf Bestellung von Sammlern, die Tiere wie Gemälde aufkaufen. Papageien oder Weißbüscheläffchen zum Beispiel, wertvolle Arten, werden aus Zoos geklaut. "In München ist das zum Glück noch nicht passiert", sagt Zehrer.

Wichtig ist die Nummer im Chip für Zehrer vor allem, weil er die genetische Abstammung nachvollziehen kann. "Viele Leute glauben, dass die Tiere im Zoo aus der freien Wildbahn stammen. Aber das ist die absolute Ausnahme, fast immer stammen sie aus anderen Tierparks."

Tiertraining mit Transportboxen

Zehrer fiel vor einiger Zeit auf, dass die hier lebende Alpensteinbockgruppe zu alt geworden war, um ausreichend Nachwuchs zu produzieren. Ein Weibchen war zudem gestorben. Man besprach das in einer größeren Runde und entschied, dass man zwei junge Weibchen brauchen würde, damit sich die Gruppe wieder selbst vermehren kann. In so einem Fall schaut Zehrer in der Datenbank und sucht nach Tieren in anderen Zoos, die möglichst unverwandt sind, um den Genpool groß zu halten. Er nimmt Kontakt auf mit den Kuratoren anderer Tierparks, die Alpensteinböcke halten, und mit dem Zuchtbeauftragten für diese Art. Wenn ein Zoo Tiere abgeben kann und will - "in 13 Jahren, die ich in dem Beruf arbeite, gab es noch nie eine Ablehnung, wenn ich gefragt habe" -, und wenn das Gehege für das Tier geprüft wurde, kann der Umzug vorbereitet werden. Das Gehege der Alpensteinböcke war groß genug, es kamen zwei junge Weibchen aus Augsburg.

Vom Erkennen des Bedarfs über den Transport bis zum Zeitpunkt, an dem die Tiere im neuen Zoo eingewöhnt sind, ist immer Zehrer gefragt. Auch die Vorbereitung für den Transport ist langwierig. "Noch vor zehn Jahren war es üblich, dass Tiere für den Transport in Narkose gesetzt wurden." Mittlerweile trainieren die Pfleger ihre Tiere mit Transportboxen, an die sie sich gewöhnen. Hellabrunn sei da ein Vorreiter, sagt Zehrer, was das Training mit Boxen und den reibungslosen Transport angeht. Fast alle Transporte gehen von Zoo zu Zoo. "Bei den Waschbären war das allerdings anders, die waren Waisen und kamen aus einer Auffangstation." Dort werden herrenlose Tiere aufgenommen.

Okapi-Baby im Zoo von London

In Planung: der Einzug der Okapis.

(Foto: dpa)

Zoo und Auffangstation haben manchmal das gleiche Problem: ausgesetzte Tiere. "Manche kaufen sich eine kleine Schildkröte für fünf Euro. Und wenn die dann zu groß ist, wird sie ausgesetzt und landet in der Auffangstation." Oder auch Schlangen. Als Hellabrunn die Dschungelwelt samt Grotte mit Schlangen eröffnete, wandte man sich an die Auffangstation, um die Python-Anlage zu bestücken. Und wenn ein Wellensittich-Besitzer das Interesse an seinen Tieren verliert, bringt er sie schon mal heimlich in den Zoo. Dort sitzen dann auf einmal zwei ausgesetzte Wellensittiche in der Fledermausgrotte. "Erstens tut der Besitzer dem Tier damit keinen Gefallen, weil die Tiere dort von anderen Tieren unter Stress gesetzt und zum Teil getötet werden. Oder sie sind in der Umgebung gefährdet, zum Beispiel bei großen Scheiben, die sie nicht kennen." Auch die Hoffnung, dass der Zoo so etwas nicht merkt, erfüllt sich nie. "Außerdem gefährden solche Aktionen die Zootiere, weil Krankheiten eingeschleppt werden können." In einem anderen Zoo gab es zuletzt den Fall, dass auf einmal in einem Bachlauf Piranhas herumschwammen.

Zehrer kommt bei seinem Rundgang nicht weit, wenn er jemanden dabeihat, dem er die Tiere erklärt, ob das Waldbison oder die Darwin-Nandus. Es ist Begeisterung, die sich selbst nach 38 Jahren Zoo-Leben in einem dauerhaften Redefluss ausdrückt. Man könnte sich beinahe fragen, wie der Mann das aushält nach der Arbeit, wenn zu Hause neben seiner Familie nur noch die beiden Hauskatzen um ihn herum sind.

Zwei Schritte weiter, nächste Geschichte. Bis vor zwei Jahren hatte Hellabrunn einen Leoparden namens Julius. Im Zuchtprogramm, das es für alle gefährdeten Arten in Zoos gibt, sollte Julius Nachkommen zeugen. Allerdings konnte man ihm kein passendes Weibchen zuordnen, zudem wäre die Anlage für eine Zucht zu klein gewesen, da es keine Mutter-Kind-Boxen gibt. 2016 suchte der Zoo Hannover einen Leoparden für seine Dame. Julius zog nach Hannover - und Zehrer und das Zoo-Team überlegten, wie sie die freie Fläche nutzen könnten. Es musste ein kälteresistentes Tier sein, da es keine Innenräume zum Gehege gibt, und die Anlage liegt im Bereich Asien. Die Wahl fiel auf Manulen, asiatische Hochgebirgsraubkatzen, zwei Weibchen zogen ein. "Man weiß wenig über diese Art, weil sie so zurückgezogen leben", sagt Zehrer, und so kann der Zoobesucher beim Manulen-Gehege einiges lernen.

Zoo Gelsenkirchen - Waschbären

Zehrer hat mit seinen Kollegen auch den Einzug der Waschbären koordiniert.

(Foto: Catherina Hess)

Mit dem Waschbär verhielt es sich wiederum anders, der ist in Europa eher eine Plage als gefährdet. Da war klar: Es ist eine tagaktive Tierart, gut zu sehen, agil und damit attraktiv für die Besucher. "Gleichzeitig kann man an diesem Tier aber ebenfalls viel lernen", sagt Zehrer, "über invasive Arten." Das sind Tiere, die ursprünglich aus anderen Lebensräumen stammen und in Gebieten, in denen sie eingeschleppt werden, auf einmal etablierte Tierarten verdrängen. Der Waschbär kam aus Nordamerika in den Dreißigerjahren nach Europa, wurde hier ausgesetzt. Heute leben 500 000 der Tiere in Deutschland, in Wäldern und Großstädten. "Waschbär-Hauptstadt ist Kassel", dort durchsuchen die Tiere nachts die Mülltonnen. Anhand der Waschbären wird die Problematik invasiver Arten erklärt, wie es etwa auch asiatische Krabbenarten sind, die mit dem Ballastwasser der Schiffe nach Europa kommen. Zuletzt waren rote Sumpfkrebse aus Nordamerika in Berlin eine Plage.

Der Waschbär erfüllt für Zehrer also zwei Einstellungsvoraussetzungen: Attraktivität und Lerneffekt. Nur bedroht ist er nicht. Das ist hingegen der Panda, bei dem dann noch einige besondere Aspekte dazukommen.

Erst einmal die Geschichte. "Große Pandas waren früher Staatsgeschenke", sagt Zehrer. So wie die beiden, die aus China zuletzt nach Berlin kamen und in einem Staatsakt überreicht wurden. Alle Pandas in Europa gehören dem Land China. "Deshalb haben meist Hauptstadtzoos Pandas." Neben Berlin zum Beispiel auch Wien. Wenn dann in einem der Zoos Nachwuchs auf die Welt kommt, ist auch der Eigentum Chinas. Die Tiere sind extrem bedroht, es gibt etwa 1000 frei lebende Pandas in China. "Der Bestand ist derzeit stabil, China schützt die Tiere sehr gut." Warum kann man dann nicht einen in München haben?

München hat ja einen, also zwei, Justin und Miu. Es sind allerdings keine Großen Pandas, sondern Kleine Pandas, mit rotem Fell, statt dem schwarz-weißen wie ihre großen Kollegen. Sie sind ebenfalls vom Aussterben bedroht, 10 000 leben noch in ihrem Lebensraum im Himalaja.

"Zum einen brauchen große Pandas sehr spezielle Nahrung", sagt Zehrer. Die Bambus-Arten, die ein Panda frisst, wachsen hier nur schlecht. Oft muss Nahrung eingeflogen werden "Bei den Koala-Bären in Duisburg wird der Eukalyptus aus einer Plantage in Florida importiert." Das ist aufwendig und teuer. "Würde die Lufthansa sagen: Wir fliegen euch jede Woche Bambus ein, wer weiß, was dann wäre", sagt Zehrer und lacht. Und die Miete der Pandas "kostet den Zoo in Wien eine Million Euro pro Jahr". Und die Tiere schlafen sehr viel. Sie sind dann also für den Besucher kaum zu sehen und damit gleich wieder weniger attraktiv. Aber klar ist auch: "Wenn man einen Zuchterfolg hätte, wäre Hellabrunn weltweit in den Medien."

Drei Mal in der Woche macht Zehrer am Morgen seine Zoo-Runde, mit den Kuratoren-Kollegen und einigen Tierpflegern. Es gibt Tagesberichte, ob alle Tiere noch da sind und es ihnen gut geht. Dazu kommen die langfristigen Planungen, etwa zu den Okapis, einer Giraffen-Art, die aussieht wie eine Mischung aus Giraffe, Pferd und Zebra. Die Tiere sollen in einigen Jahren in München ansässig werden. Ganz aktuell plant Zehrer die Aufnahme neuer Haustierarten im gerade entstehenden Mühlendorf. Bei Nutztieren kann ihm da auch seine Frau gut weiterhelfen, die Großtiertierärztin. Und der Sohn hat dann doch viel Spaß im Zoo, denn Bagger gibt es derzeit im Mühlendorf genug. Und wenn er dann mal etwas größer ist, wird er auch lächeln müssen, wenn sein Vater seinen Job auf den Punkt bringt: "Im Prinzip mache ich ja nichts anderes als Partnervermittlung für Tiere."

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