Oberlandesgericht:"Heilerin" steht vor Gericht

  • Eine 27-Jährige stirbt nach einer Gebärmutterhalskrebs-Erkrankung. Sie hatte sich von einer "Heilerin" behandeln lassen.
  • Die Frau hinterlässt Mann und Kind. Ihr Partner geht nun juristisch gegen die Heilpraktikerin vor, er fordert für seinen Sohn Schmerzensgeld und Unterhalt.
  • In erster Instanz gab das Landgericht Passau der Heilerin recht. Das Oberlandesgericht sieht den Fall allerdings etwas anders.

Aus dem Gericht von Stephan Handel

"Wir sind daran gewöhnt, auch schlimme Sachen zu verhandeln", sagt Thomas Steiner. "Aber manchmal kommen dann besondere Fälle." Steiner ist der Vorsitzende Richter des 1. Zivilsenats am Oberlandesgericht (OLG) in München, der sich hauptsächlich mit Arzthaftungsrecht beschäftigt - es geht also immer um Krankheit, um Leid. In dem Fall, den der Senat am Donnerstag verhandelt, geht es um Tod.

Der Kläger, Toni (Name geändert), kann selbst nicht kommen, denn er wird demnächst erst vier Jahre alt und muss vormittags im Kindergarten sein. Ihn vertritt sein Vater, der sagt, der Bub sei ein "aufgewecktes Kerlchen", es gehe ihm blendend in ihrem reinen Männerhaushalt - die Mutter fehlt.

Kurz nachdem Tonis Mutter schwanger wurde 2014, stellte die Ärzte bei ihr ein Zervix-Karzinom fest, Gebärmutterhalskrebs. Eine sofortige Behandlung hätte den Tod des Babys bedeutet. Die Eltern entschieden sich für das Kind, im April 2015 kam Toni zur Welt. Danach sollte die radioonkologische Behandlung beginnen. Eine zusätzliche Chemotherapie, zu der die Ärzte geraten hatten, wollte die Frau nicht.

Aber auch die Strahlentherapie brach sie nach kurzer Zeit ab, obwohl sie, wie der Mann sagt, schon erste Erfolge gezeigt hatte. Stattdessen begab sich die Patientin in die Hände verschiedener alternativer Therapeuten, insbesondere in die einer Frau, die sich selbst als "Heilerin, Heilpraktikerin, Medium, Dozentin, spirituelle Lehrerin" bezeichnet. Diese behandelte die Frau unter anderem mit Schlangengift. Die Patientin starb, 27 Jahre alt, im Oktober 2015.

Die "Heilerin" sitzt nun vor dem OLG am Beklagtentisch. Tonis Vater hat die Klage angestrengt: Er fordert für seinen Sohn Schmerzensgeld und Unterhalt, sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft bis zu Volljährigkeit, knapp 170 000 Euro insgesamt. Etwas anderes, so sagt er, sei ihm aber fast noch wichtiger: "Es gibt so viele junge Frauen mit dieser Diagnose. Ich will verhindern, dass sie auch an diese Frau geraten."

Die ganze Geschichte spielt in Niederbayern, weshalb in der ersten Instanz das Landgericht Passau verhandelt hat. Dort wurde die Klage abgewiesen. Das Gericht folgte großteils der Argumentation der Heilerin: dass die Patientin den Entschluss, die schulmedizinische Behandlung abzubrechen, aus freien Stücken getroffen und sie sie nicht dazu gedrängt habe - ein Urteil, das Richter Steiner offensichtlich etwas merkwürdig findet. "Wäre in diesem Fall nicht ein anderes Verhalten richtig gewesen?", fragt er die Beklagte: nämlich der Patientin zu sagen, dass sie ins Krankenhaus gehöre, dass die Heilpraktikerin die Behandlung und damit die Verantwortung nicht übernehmen werde, dass sie sich zurückziehe? Das sieht im Übrigen auch die Berufsordnung für Heilpraktiker vor. "Das haben Sie nicht so gemacht", sagt Steiner.

Und Marcel Vachek, der Anwalt des Vaters, ergänzt, dass die Heilerin ihre Patientin regelrecht zum Abbruch der Strahlentherapie gedrängt habe - was diese bestreitet. Der Richter zeigt sodann auf, wie es juristisch weitergehen wird: Ein Sachverständiger wird erklären müssen, ob in dem Verhalten der Heilerin ein "grober Behandlungsfehler" zu sehen ist. Sollte das der Fall sein, müsste ein weiterer Gutachter beurteilen, wie ihre Chancen bei schulmedizinischer Behandlung gewesen wären. Der Anwalt der Heilerin sagt dann noch, dass sie bei einer Verurteilung wohl Privatinsolvenz anmelden müsste. In diesem Moment schaut Tonis Vater, als wäre ihm das gerade recht.

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