Haushaltspolitik:"Braune" Kassen

Haushaltspolitik: Propaganda mit dem Haushalt: 1934 wurde die Genehmigung des Etats im Stadtrat regelrecht inszeniert.

Propaganda mit dem Haushalt: 1934 wurde die Genehmigung des Etats im Stadtrat regelrecht inszeniert.

(Foto: Stadtarchiv)

München bereicherte sich am Eigentum jüdischer Bürger

Von Jakob Wetzel

Albert Wurm hatte ganze Arbeit geleistet. Der Leiter des Pfandleihamts organisierte nach den Pogromen im November 1938 mit seinen Mitarbeitern maßgeblich den Raub von Gold, Silber, Edelsteinen und Perlen aus dem Besitz jüdischer Münchner. Und dabei ging er so akribisch vor, dass ihm Münchens Bürgermeister Karl Fiehler ein Sonderlob aussprach: Er habe sich über seine Dienstpflichten hinaus "in uneigennütziger Weise" eingesetzt. Und weil das gar so uneigennützig war, erhielt Wurm unter anderem ein teures Silberservice. Es war Silber, das Juden gehört hatte.

Fiehler hatte allen Grund, sich erkenntlich zu zeigen, denn auch die Stadt München hatte profitiert. Zwar ging das gesammelte Gold ans Reich, das Silber aber blieb dort, und am Weiterverkauf der übrigen Beute verdiente die Stadt mit einer Provision von zehn Prozent, zudem besaß sie ein Vorkaufsrecht. Einige Mitarbeiter der Verwaltung freuten sich in der Folge über besondere Präsente. Zum Dienstjubiläum erhielten sie etwa Silbermedaillen aus eingeschmolzenem "Judensilber".

Diese Einblicke in die perverse Welt der Schreibtischtäter sind Paul-Moritz Rabe zu verdanken: Der junge Historiker hat Geschichten wie diese in seiner mehrfach preisgekrönten Doktorarbeit zusammengetragen, die jetzt als Buch erschienen ist. Es war ein Forschungsprojekt, das erst einmal "kein Vergnügen" war, wie Rabe einräumt - nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen der Art der Quellen. Rabe hat Haushaltspläne gelesen, Wälzer mit vielen Hundert Seiten und Hunderttausenden Positionen, untergliedert in Einzelpläne und Teilziffern, aufgeteilt auf Sonder-, Neben-, Betriebs- und andere Etats. Nur wenige Historiker haben sich damit bislang befasst, auch wenn die Etats griffbereit in Archiven und Bibliotheken liegen.

So hat Rabe Pionierarbeit geleistet, und die Lektüre durchgehalten und den Überblick bewahrt zu haben, mag für sich schon herausfordernd gewesen sein. Rabes eigentliche Kunst aber besteht darin, in all diesen Zahlen Entscheidungen greifbar zu machen und Geschichten zu erzählen.

Dabei verraten alleine die Antworten auf die Fragen, woher das Geld der Stadt kam und wofür es wieder ausgegeben wurde, viel über München im Nazi-Reich. Rabe beleuchtet etwa, wie sich die Stadt Immobilien sicherte, die Juden gehörten, oder wie sie fällige Überweisungen an jüdische Bürger einbehielt und auf ein eigenes "Judenkonto" überwies, von dem das Geld schließlich ins Stadtsäckel floss. Er zeichnet nach, wie die Stadt neue Steuern erhob, die wiederum vor allem Juden trafen, oder wie sie auch deshalb die Eingemeindungen insbesondere im Westen vorantrieb, weil sie auf höhere Steuereinnahmen setzte.

An der Sozialhilfe im vermeintlichen "Volksstaat" sparte die Stadt hingegen, damit mehr Geld in die Kriegswirtschaft fließen konnte. Wofür die Stadt ihr Geld ausgab, ist überhaupt aufschlussreich. Hunderttausende Reichsmark kostete es etwa, jedem frisch getrauten Ehepaar ein Exemplar von Hitlers "Mein Kampf" zu schenken; andere Kommunen sparten sich dieses Geld. München, die "Hauptstadt der Bewegung", finanzierte hingegen zusätzlich diverse Propagandaveranstaltungen. Fast 50 Millionen Reichsmark steckte die Stadt alleine in die gigantomanischen Umbaupläne der Nazis für München. Und die Stadtverwaltung betrieb ihre eigene Günstlingswirtschaft, versah etwa NSDAP-Kader mit Geschenken und Steuervergünstigungen, veruntreute also Geld der Bürger.

Dabei hielt sie im Etat bis 1944 die schwarze Null, nicht zuletzt durch buchhalterische Tricks. Denn nach den Verwerfungen der Weltwirtschaftskrise musste ein Eindruck unbedingt aufrechterhalten werden: Im Nazi-Staat herrschten nun wieder Recht und Ordnung.

Paul-Moritz Rabe: Die Stadt und das Geld. Haushalt und Herrschaft im nationalsozialistischen München, Göttingen 2017, 400 Seiten

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: