Haushaltseinbringung im Stadtrat:Noch nicht arm, aber sexy

Stadtkämmerer Ernst Wolowicz entdeckt an seinem endlich fertigen Haushalt ganz ungeahnte Qualitäten

Von Heiner Effern

Zahlen haben in der Politik den Ruf, dröge zu sein, langweilig, ohne Charisma. Es muss also einiges passiert sein, wenn Kämmerer Ernst Wolowicz im großen Sitzungssaal des Rathauses seinen Haushalt vorstellt und süffisant erklärt: "Die Stadtfinanzen in München sind zurzeit sexy." Dabei hebt er nicht auf eine subjektiv möglicherweise empfundene Attraktivität von Zahlen ab, sondern auf deren Präsenz in der öffentlichen Debatte. Denn der Kämmerer musste begleitet von Spekulationen und Attacken den Haushalt 2016 in den vergangenen Wochen mit Notoperationen aufbrezeln, bevor er ihn nun mit einem Monat Verspätung im Stadtrat vorstellt.

Das große Sparen ist in dieser Zeit noch nicht ausgebrochen, darin sind sich alle Fraktionen einig. Für 2016 genügte ein geschicktes Lifting: Etwa 415 Millionen Euro wurden in den Referaten ohne größere Mühen abgespeckt. Gleichzeitig spritzt Wolowicz zusätzliche 276 Millionen Euro aus der Finanzreserve in den Haushalt. Am Ende des Jahres 2016 wird die Stadt 83 Millionen Euro mehr ausgeben als sie einnimmt. Vor vier Wochen lag das Minus noch bei 809 Millionen Euro. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zeigt sich zufrieden mit der Rettungsaktion, der Verwaltung und mit sich selbst. Die vielen Abgesänge, die auf den Haushalt erklungen sein, seien "weit überzogen" gewesen. Die städtischen Finanzen seien in "vernünftiger Verfassung". Um irgendwo einen Pleitegeier am Himmel zu sehen, müsse man schon eine sehr starke Oppositionsbrille tragen.

Münchens Kämmerer Ernst Wolowicz in seinem Büro

Ausgefuchster Finanzmann: Seit 14 Jahren verwaltet Kämmerer Ernst Wolowicz das Geld der Stadt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Gläser von Michael Mattar sehen nicht gerade aus wie der Boden einer Colaflasche, doch der Fraktionschef von FDP, Hut und Piraten warnt dennoch vor einem blinden Weiter-so der Rathausmehrheit. "Es herrscht die Mentalität: Geld ist sowieso da in München." Auch wenn er offensichtlich nicht nachvollziehen kann, wie ein Haushalt überhaupt sexy sein kann, der Grund liegt für ihn auf der Hand: "Wir haben seit drei Monaten ein hausgemachtes finanzielles Chaos." Ein Urheber dafür sei der Mann, der gerade die neue Attraktivität des Haushalts in der öffentlichen Debatte festgestellt habe. "Das hat der Kämmerer zum Teil selbst verursacht."

Mattar spielt damit auf einen ungewöhnlichen Kniff von Wolowicz an. Mit dem Verweis auf eine dramatische und überraschende Verschlechterung der Finanzlage zog der Kämmerer den Haushalt Mitte Oktober zurück. Mattar hält das für nicht "nachvollziehbar". Die als Grund vorgebrachten Ergebnisse der Stadtwerke seien schon Monate vorher bekannt gewesen.

Auch die Grünen wundern sich, dass viele Schuld an den Haushaltsturbulenzen haben sollen, nur nicht die Stadtregierung. Dabei hapere es offensichtlich an der internen Kommunikation, sagt Katrin Habenschaden. Dass der zuständige Wirtschaftsreferent den Kämmerer bis heute nicht über die lange absehbaren Einbrüche bei den Stadtwerken informiert habe, zeige das mehr als deutlich. Der Referent heißt Josef Schmid (CSU) und ist gleichzeitig Bürgermeister. Es sei schon auffällig, dass die Zuspitzung der Finanzkrise in eine Zeit gefallen sei, in der zwischen Schmid und OB Reiter wegen eines Streits "Funkstille" herrschte, sagt Habenschaden.

Im Zeitalter des Anti-Zitats

"Ceterum censeo Carthaginem esse delendam" soll Cato der Ältere bei jeder seiner Reden im Senat des antiken Rom gesagt haben. "Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss." Der Mann meinte das wirklich so. Und er setzte sich letztlich auch durch - bekanntlich gingen die Römer nicht gerade zimperlich mit der Handelsmetropole im Norden Afrikas um. Derlei wäre heute freilich nicht mehr en vogue. Zitieren aber, und sei es sich selbst, dient nach wie vor der intellektuellen Bekräftigung des Gesagten. Wer andere zitiert, beruft sich auf eine geachtete Instanz von außen.

Der für seine Zitierfreude bekannte Stadtkämmerer Ernst Wolowicz hat sich nun eine ganz neue Strategie ausgedacht: Er verwendete in seiner Haushaltsrede die Aussprüche anderer Leute, um zu belegen, wie es genau nicht ist. "Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an, als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve", sprach er ins Mikrofon, der Satz stammt vom Nationalökonomen Joseph Alois Schumpeter. Wolowicz zitierte ihn, um den Stadtrat für die Bildung einer freiwilligen Finanzreserve zu loben. Und als er den Ratschlag von Winston Churchill erwähnte, man solle immer vom Sparen reden, aber nie sagen wo, fügte er hinzu, dass diese Weisheit im Münchner Rathaus auf keinen Fall gelten dürfe. Ob die Zitierten dies als Respektlosigkeit empfinden würden?

Auch für die Weisheit des römischen Dichters Properz kennt Wolowicz keine Gnade. "In magnis et voluisse sat est", zitierte der Kämmerer als abschreckendes Beispiel. "Bei großen Dingen genügt es auch, sie gewollt zu haben." Wovon Münchens Kämmerer dringend abrät, er will nun erst so richtig loslegen mit dem Sparen. Den Anfang haben in den vergangenen Wochen Gespräche mit der Verwaltung gemacht. Bei denen dann, wie Wolowicz erwähnt, ein Ratschlag des früheren Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel ausdrücklich nicht beachtet worden sei: "Die Einsetzung einer Kommission erlaubt es, ein Problem auf ehrenvolle Weise vom Tisch zu bekommen".

Möglicherweise war das nur der Einstieg ins Zeitalter des Anti-Zitats. Denn auch Finanzsprecher Michael Kuffer verwendete das neue Stilmittel. "Am Ende wird alles gut - wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende." Der Satz stammt von Oscar Wilde. Und er war ausdrücklich nicht so gemeint. Der jetzt diskutierte Entwurf bilde nicht das Ende der Debatte, erklärte Kuffer. "Das Zitat passt deshalb nicht." Dominik Hutter

Die neuen Zahlen 2016 stimmten nun versöhnlich, Besorgnis erregend sei jedoch, wie sie zustande gekommen seien. "Luft rauslassen, Doppelbuchungen herausnehmen und Investitionen nach hinten verschieben." Wenn der Kämmerer so lange für reale Zahlen gebraucht habe, frage sie sich, wie der Etat bis dahin zustande gekommen sei: "Mit geträumten Zahlen?"

CSU und SPD zeigten sich trotz aller Kritik am Zustandekommen einig, dass sie den nun vorgelegten Haushalt für solide halten und im Dezember beschließen werden. Die Zahlen seien ein "Beleg für die nachhaltige und umsichtige Finanzpolitik", sagt SPD-Finanzexperte Hans Dieter Kaplan. Sein CSU-Kollege Michael Kuffer sieht "einen kraftvollen Haushaltsentwurf trotz schwieriger Bedingungen". Bildung, Wohnen, öffentlicher Nahverkehr, in diese Felder wollen beide weiter investieren. Personal soll nicht gestrichen, nur langsamer und kontrolliert aufgebaut werden. Darüber hinaus gelte es, Prioritäten zu setzen.

Klar sei aber auch, dass angesichts der wachsenden Bevölkerung die Aufgaben Münchens zunähmen. OB Reiter stimmte den Stadtrat auch deshalb auf neue Schulden ein. Die CSU hält diese Diskussion angesichts eines Rekordergebnisses bei den Steuereinnahmen für "verfehlt", sagt Finanzexperte Kuffer. Dennoch würde die Rathausmehrheit in Zukunft viele Dinge umsetzen, die davor jahrelang für unmöglich gehalten worden seien. "Liebe", betont Kuffer nüchtern, "ist dafür nicht nötig - das hält nur vom Arbeiten ab."

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