"Hauptstadt der Bewegung":Feste fürs Image

Umzug am Tag der Deutschen Kunst in München, 1938

Nationalsozialistische Imagepolitik war mehr als Propaganda und Repression: "Wir müssen ein Fest nach dem anderen jagen, damit der Barometerstand nicht sinkt", forderte ein Ratsherr schon 1935. Im Bild: Festzug zum Tag der Deutschen Kunst auf der Ludwigstraße in München am 10. Juli 1938.

(Foto: Scherl/SZ-Photo)

Ein Sammelband zeigt, wie sich die Stadt in der NS-Zeit profilierte

Von Martin Bernstein

Es war ein Sieg auf der ganzen Linie für die Braunhemden. Das auf vier Tage angelegte Treffen des Katholischen Gesellenvereins (KGV) endete im Juni 1933 im Chaos, mit gewaltsamen Übergriffen auf Mitglieder des Kolpingvereins und mit dem fast schon fluchtartigen Rückzug des Münchner Erzbischofs in dessen private Räume. Die SA hatte demonstriert, wem - und wem allein - die Münchner Straßen gehören sollten.

Die erste öffentliche Großveranstaltung eines Münchner Vereins nach der Machtübernahme Hitlers, wiewohl bereits zuvor genehmigt, endete als Machtdemonstration des Regimes. Im "Hemdenkrieg" setzten sich, auch dank der erklärten Untätigkeit der Schutzpolizei, die braunen Hemden der SA gegen die orange-braunen Kolpinghemden durch. Die Nationalsozialisten hatten ihr Ziel erreicht, wie Beatrice Wichmann schreibt: "jede Form öffentlichen symbolischen Handelns durch andere gesellschaftliche Gruppen (...) zu verhindern und den eigenen ausschließlichen Herrschaftsanspruch zu unterstreichen".

Repression bis hin zur Gewalt - so stellt man sich, wenn überhaupt, eine "Imagepolitik" des NS-Regimes vor. Es ist das große Verdienst von Margit Szöllösi-Janze unter Mitarbeit von Juliane Hornung herausgegebenen Sammelbands zur "Imagepolitik der ,Hauptstadt der Bewegung'", diese Erwartungshaltung vielfältig zu brechen. Unterdrückung war eben nur eine Seite der Medaille. "Hand in Hand mit scharfen Schnitten der Exklusion, mit dem Ausschluss von politisch, ,rassisch', weltanschaulich oder sozial ,unerwünschten' Münchnern aus der Stadtgesellschaft, Hand in Hand mit Stigmatisierung, Ausplünderung, Verfolgung und schließlich Vernichtung", schreibt die Herausgeberin, "gingen weit reichende Angebote der Integration und Partizipation an konforme Gruppen der Stadtbevölkerung." Mit anderen Worten: Den Münchnern wurde das Mitmachen leicht gemacht - und viele machten gern mit. So wie auch die Kommune gern mitmachte. Von der früher oft behaupteten Konfrontation mit Staat und Partei bleibt da wenig übrig.

Deutlich wird das etwa an den beiden Titeln, mit denen München sich schmückte. "Hauptstadt der Bewegung" - diese Bezeichnung wurde nicht etwa von Adolf Hitler "verliehen" (der Diktator zog erst 1935 ziemlich formlos nach), sondern vom Münchner Stadtrat eingeführt. "Hauptstadt der deutschen Kunst" dagegen ist eine Erfindung Hitlers. Die Stadt wiederum übernahm dieses Image aber nur zu gern und ließ sich das Millionenbeträge kosten. Auf der anderen Seite nämlich kam ja auch etwas herein: Die Große Deutsche Kunstausstellung frequentierten in den Jahren 1937 bis 1939 durchschnittlich knapp 480 000 Besucher, 1942 wurde die Rekordzahl von 850 000 erreicht. Jeder vierte Besucher kaufte einen Katalog, bis zu 450 000 Kunstpostkarten wurden abgesetzt. Und der "Führer" erstand im Rekordjahr Kunstwerke im Wert von 1,3 Millionen Reichsmark.

München befand sich mit anderen deutschen Städten in einer Art imagepolitischer Wettbewerbsspirale. "Wir müssen ein Fest nach dem anderen jagen, damit der Barometerstand nicht sinkt", forderte der Ratsherr Christian Weber im Oktober 1935. Dafür übernahmen die Nationalsozialisten auch traditionelle Formen des Feierns, etwa die 1829 eingeführte Verleihung von Arbeiter- und Dienstbotenmedaillen. Nahezu unmerklich wurde der Festakt mit neuen Inhalten gefüllt. Aus der individuellen Ehrung wurde ein Apotheose von "Volksgemeinschaft" und "Gefolgschaft". Am Ende waren die geehrten Arbeiter und Hausangestellten Kämpfer an der "Heimatfront".

Margit Szöllösi-Janze (Hg.): München im Nationalsozialismus. Band 4. Imagepolitik der "Hauptstadt der Bewegung", Göttingen 2017, 284 Seiten

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