Hauptbahnhof:Dieser Aufkleber irritiert die Benutzer von U-Bahn-Rolltreppen

Hauptbahnhof: Nicht gehen: Aufkleber auf einer Rolltreppe am Hauptbahnhof.

Nicht gehen: Aufkleber auf einer Rolltreppe am Hauptbahnhof.

(Foto: Stephan Rumpf)

Links gehen, rechts stehen ist deutsche Leitkultur. Oder? Nein!

Von Anna Hoben

Links gehen, rechts stehen, das hat zwar nichts mit politschen Richtungen zu tun, ist aber trotzdem deutsche Leitkultur. Links gehen, rechts stehen, das hat einen Stellenwert wie sonntags 20.15 Uhr Tatort, wie Händeschütteln zur Begrüßung, wie Ladenschlusszeiten.

Links gehen, rechts stehen, die Rolltreppen-Regel passt vor allem zu uns Großstadtmenschen, die wir so gerne unseren Alltag optimieren und Warten für die größte aller Strafen halten. Wir sind nicht zum Stillstand verdammt, wir können durch eigenes Handeln beeinflussen, ob wir unseren Anschluss erreichen.

Regelung wurde schon vor 16 Jahren abgeschafft

Nun ist es so, dass die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), zuständig für 771 "Fahrtreppen", wie es korrekt heißt, die Regelung schon vor 16 Jahren abgeschafft hat. Was die Leute nicht weiter kümmert - haben sie schließlich immer schon so gemacht. Und so hat ein kleiner blauer Aufkleber vergangene Woche im Netz und in den Medien eine große Empörung hervorgerufen. "Links und rechts stehen, nicht gehen!", ist darauf zu lesen.

Und, als Motivation: "Helfen Sie mit, damit es für alle schneller geht." Der Aufkleber pappt zwischen den Handläufen an den beiden Rolltreppen in der Mitte des Bahnsteigs der U-Bahn-Linien 1 und 2 am Hauptbahnhof. Denn bis zum September sind die Rolltreppen am Übergang von der U1/U2 zur U4/U5 gesperrt, sie werden erneuert. In der Zeit müssen Fahrgäste, die umsteigen wollen, einen Umweg über das Sperrengeschoss nehmen. Es könnte also zu den Stoßzeiten etwas voller werden auf den Ersatzrolltreppen als sonst.

Links und rechts stehen, das heißt jetzt natürlich nicht, dass man künftig breitbeinig die Treppe hochfahren soll, ein Fuß links, ein Fuß rechts. Genauso wenig ist es so, dass es sich um einen verordneten Stillstand handelt. "Wir haben keinen erzieherischen Anspruch", versichert MVG-Sprecher Matthias Korte. Man wolle sich nun anschauen, ob die Aufkleber überhaupt wahrgenommen würden und ob die Leute sie richtig verstünden, es sei aber nicht geplant, das Experiment künftig auf ganz München auszuweiten. Die Rolltreppenabteilung habe einfach mitgedacht, die Empfehlung sei einzig für "Flaschenhals"-Situationen gedacht, und niemand müsse sich am Sonntagvormittag "wie Schulklassen in Zweierreihen aufstellen".

So machen es die Londoner

Was paradox klingt, ist übrigens reine Mathematik: Wenn nur gestanden wird, kommt zwar nicht der eilige Einzelne schneller hoch, am Ende aber geht es für alle insgesamt rascher. Weil der Rückstau der Steher, die sich rechts einreihen, vermieden wird, und weil die Treppe in der gleichen Zeit mehr Menschen transportiert. In London gab es dazu schon Tests, die, nun ja, mittelmäßig ankamen. "Wir stellen uns an. Wir essen nicht den letzten Keks. Und auf der Rolltreppe stehen wir rechts. Die linke Seite ist reserviert für Leute, die es eilig haben", schrieb der Guardian. Die Londoner Verkehrsgesellschaft bot all ihren Charme auf und ließ an Rolltreppen Lieder wie "Stand by me" und "I'm still standing" abspielen, trotzdem ignorierten viele Passagiere die Regel knallhart.

Und die Münchner Fahrgäste? Tun es bei einer viertelstündigen Beobachtung an einem Morgen um halb neun den Londonern gleich. Nur ab und zu bemerkt jemand den Aufkleber, guckt etwas verwirrt und läuft dann links die Treppe hoch. "Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier", sagt MVG-Sprecher Korte. Dabei würde die Umsetzung der Empfehlung auch den Treppen zugutekommen. Die Techniker stellten bei der Wartung regelmäßig fest, "dass die rechte Seite mehr belastet ist". Ein bisschen mehr Gleichgewicht, es täte auch den Rolltreppen gut.

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