Hauberrisser-Möbel:Expertin findet Hinweise zu angeblich verschwundenen Rathaus-Antiquitäten

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Der Architekt Georg Hauberrisser baute von1867 bis 1905 in drei Abschnitten das Münchner Rathaus. (Foto: Robert Haas)
  • Wertvolle Hauberrisser-Möbel, die aus dem Rathaus angeblich einfach so verschwanden: Dieser Möbelkrimi elektrisierte vor allem die CSU.
  • Dann nahm die Expertin Antonia Voit die Spur auf. Sie führt weit weg von München nach Österreich.

Von Heiner Effern

Als Michael Böhmer das neugotische Speisezimmer einmal gesehen hatte, war er verloren. Auch wenn die Vernunft warnte, das komplette Ensemble zu kaufen, der Sammler in ihm konnte nicht widerstehen. Die enge Verbindung zum Jugendstil, zu Riemerschmid, diese exakte Schnittstelle zweier Epochen!

Dass er mit seinem Kauf einige politische Verwicklungen im Rathaus und schließlich eine kunsthistorische Jagd mit vorläufigem Ende in einem Tiroler Schloss auslösen würde, konnte er damals nicht ahnen. "Mir hätte es einfach weh getan, wenn das Ensemble auseinandergerissen worden wäre", sagt er heute.

Doch die Möbel, die mit aller Wahrscheinlichkeit vom österreichischen Architekten Georg von Hauberrisser entworfen wurden, machten Karriere. Die CSU-Stadträte Richard Quaas und Marian Offman erfuhren, dass sie auf dem Markt waren. Hoppla, dachten die beiden, der Hauberrisser hat auch das Münchner Rathaus und die gesamte Inneneinrichtung inklusive Möbel entworfen. Ein übler Verdacht kam auf: Verschleudert hier jemand das historische Erbe der Stadt?

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Das wollten die CSU-Stadträte in einer offiziellen Anfrage von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wissen. Garniert mit dem Hinweis, dass besonders unter dessen Vorgänger und Parteikollegen Christian Ude viele historisch wertvolle Möbel verschwunden seien. Das Stadtarchiv wurde eingeschaltet, das Stadtmuseum ebenfalls, und im Rathaus glichen Mitarbeiter Bestandslisten ab.

Selber Stil, aber feiner gearbeitet

Noch ist die Recherche nicht abgeschlossen, doch eine erste Bilanz liegt vor: 182 Möbel wurden gefunden, von denen 122 eindeutig Originale sind. Doch ein Rätsel blieb: Stammte das Speisezimmer, das die Inventur ausgelöst hatte, tatsächlich aus dem Rathaus?

Also nahm Antonia Voit die Spur auf. Sie ist im Stadtmuseum nicht nur stellvertretende Leiterin für angewandte Kunst und damit qua Amt Expertin für alte Möbel, sondern auch eine hartnäckige Ermittlerin. Als solche wusste sie natürlich, dass Hauberrisser auch das Rathaus in Saarbrücken entworfen hat, im selben Stil. Doch die Anrufe dort führten in eine Sackgasse. Nächste Station war Regensburg: "Dort sollen Nachfahren von Hauberrisser gelebt haben", sagt Voit. Doch auch hier kam die Museumsdetektivin nicht weiter.

Zwischen den Anrufen nahm Antonia Voit den Tisch, die acht Stühle, die Bank, die zwei Hocker und die Anrichte genauer in Augenschein. Dabei fiel ihr auf, dass die verdächtigen Möbel feiner gearbeitet waren als die robusten Vergleichsstücke aus dem Rathaus, von denen sie einige im Depot stehen hat. "In der Form freier, mit flächigeren Verzierungen, einfach eleganter gestaltet." Möglicherweise ein Entwurf aus einer späteren Phase?

Sie setzte sich auf die Fährte der Möbel. Als erstes vernahm sie in ihrer freundlichen Art den Händler, der die Stücke angeboten hatte. Kein Erfolg. Manche in der Branche reden nicht gerne. Sie fragte weiter und schnappte einen Hinweis auf einen Haushalts-Auflöser auf. Die Spur verlor sich zunächst. Manche in der Branche reden nicht gerne.

Schließlich erhielt Antonia Voit einen Tipp und schon kurz danach hatte sie einen Mann am Telefon, der im Großraum München nach Todesfällen im Auftrag der Erben das Interieur von Häusern verkauft. Dieser berichtete von einem Haus am Tegernsee, in dem die Möbel so verwendet wurden, wie es Hauberrisser geplant hatte: als Speisezimmer. Dem ausgezeichneten Zustand nach müssen die alteingesessenen Eigentümer "damit sehr pfleglich" umgegangen sein, sagt Voit.

Auch der Haushaltsauflöser zeigte sich pfleglich, er vermittelte den Kontakt zu seinem Auftraggeber. Der lebt in einem Münchner Vorort und brachte vorerst eine Lösung des Hauberrisser-Rätsels: Seine Schwiegereltern hätten die Möbel legal einem Tiroler Schlossherrn abgekauft. Lipperheide heißt das Anwesen, liegt nahe Brixlegg im Inntal und wurde vom gleichnamigen Berliner Unternehmer Ende des 19. Jahrhunderts erbaut.

Dazu verpflichtete der Verleger von erfolgreichen Modezeitschriften einen namhaften Architekten der Zeit: Georg von Hauberrisser. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammen die verdächtigen Möbel also von ihm, allerdings nicht aus dem Münchner Rathaus. "Auch wenn der letzte Beweis fehlt, so einen klaren Beleg für die Herkunft findet man selten", sagt Antonia Voit.

Aus dem Rathaus sind dennoch viele Möbel verschwunden, das zeigt die Inventur. Die meisten jedoch wohl unter dem CSU-OB Erich Kiesl, der bei einer Sanierung ganze Büros entsorgen ließ. Aber das ist eine andere Geschichte.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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