Hasenbergl:Training für die Regelschule

Im Wichern-Zentrum am Heinrich-Braun-Weg lernen Kinder mit Störungen im Erleben und Verhalten unter intensiver Betreuung, damit sie anschließend fit für den Übertritt sind

Von Simon Schramm, Hasenbergl

Zum Beispiel Anton. Anton (Name geändert) ist in Naturwissenschaften ein richtig Guter, aber Interpretationen in Deutsch bereiten ihm Schwierigkeiten. Außerdem hält er sich ungern in großen Gruppen auf. Der junge Münchner hat eine autistische Spektrumsstörung.

Dem Unterricht in der ersten Klasse hat sich Anton oft verweigert. Darum wechselte Anton in die Stütz- und Förderklasse der Wichern-Schule. "Peu à peu haben wir sein Potenzial erkannt. In der vierten Klasse hat er dann den Stoff der sechsten gelernt", sagt Stefan Baier, Leiter des Förderzentrums. "Er hat bei uns gelernt, in kleineren Gruppen zu sein, und dann in größeren, weil wir nach und nach das Format erhöht haben."

Seit dem aktuellen Schuljahr besucht Anton eine weiterführende Schule in München. Für den Jungen bedeutete das den Übertritt aus intensiver Betreuung zu einer Regelschule, die freilich inklusiv arbeitet. "Er muss nun lernen, dass er nicht immer der Beste ist, und seine Impulse im Zaum zu halten", sagt Baier. Er ist zuversichtlich, dass Anton auf der Regelschule bleiben wird.

Für Bildungs-Karrieren wie in Antons Fall hat das Kultusministerium die Schule vor Kurzem mit dem Profil "Inklusion" ausgezeichnet. In ganz Bayern ist sie die zweite mit dem Profil im Förderbereich emotionaler und sozialer Entwicklung. Besonders ist das, weil die Auszeichnung hauptsächlich solche Regelschulen erhalten, die Kinder mit Förderbedarf am Unterricht teilhaben lassen.

Hasenbergl: Viele der Kinder in der Wichern-Schule sind überdurchschnittlich begabt, kämen aber auf Anhieb mit den Anforderungen einer Regelschule nicht zurecht.

Viele der Kinder in der Wichern-Schule sind überdurchschnittlich begabt, kämen aber auf Anhieb mit den Anforderungen einer Regelschule nicht zurecht.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Wichern-Schule trägt zum inklusiven Gedanken bei, Menschen mit und ohne Behinderung zusammenzuführen, weil es ihr sehr oft gelingt, dass ihre Schüler auf eine Regelschule wechseln. In den Jahren 2011 bis 2015 sind nach der vierten Klasse zum Beispiel 18 Wichern-Schüler auf eine Mittelschule gewechselt, sechs auf das Gymnasium und zehn auf die Realschule. Rechnet man die Anzahl der Übertritte vor der vierten Klasse dazu, ergibt sich der Schule zufolge eine beachtliche Übertrittsquote von mehr als 80 Prozent.

An der Wichern-Schule lernen 110 Kinder mit Störungen im Erleben und Verhalten. Manche von ihnen neigen etwa zu Kontrollverlusten oder sie haben Schwierigkeiten, sich zu binden. Sie werden von 32 Mitarbeitern betreut - Sonderpädagogen, Erzieher, Heilpraktiker, dazu noch externe Therapeuten. Die mehrköpfige, durchstrukturierte Betreuung führe zu einer "Hilfe aus einem Guss", sagt Schulleiter Stefan Baier. Und genau darin sei der Erfolg der Schule begründet. Jedes Kind wird individuell betreut, in klein gehaltenen Klassen. Störungen werden im Unterricht zunächst angenommen - um dann zu überlegen, wie sie künftig vermieden werden können.

Hasenbergl: Schulleiter Stefan Baier setzt alles daran, um den Kindern zu helfen

Schulleiter Stefan Baier setzt alles daran, um den Kindern zu helfen

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Jemandem fällt es schwer, von der Tafel abzuschreiben? "Dann finden wir einen anderen Weg, zum Beispiel über Grafiken. Die Emotionen haben Vorrang, die Kinder sollen den Umgang damit lernen", sagt Baier. Die Schule sei aber keine "Schonzeit", sondern sie passe die Kinder nach und nach an die Erwartungen der Regelschule an. Auch Kinder von drei Jahren an bereitet die Schule auf den Übertritt vor. "Je früher wir helfen, desto mehr können wir erreichen." Dass die Individualität der Kinder an der Förderschule erkannt und unterstützt wird, lobt auch Andrea Rausch, Elternbeiratsvorsitzende an der Schule. "Die Kinder sind in den vier Jahren auf einer Insel, sehr behütet. Aber sie werden gut vorbereitet. Alle Mitarbeiter kennen die Kinder. Die Eltern werden sehr ernst genommen. Daraus entsteht ein großes Gefühl von Heimat."

Die Anliegen der Inklusion bedeutet für die Wichern-Schule auch, als Institution selbst heraus in die Gesellschaft zu treten. "Wir vernetzen uns", sagt Baier, erzählt etwa von der Schul- und Jugendhilfekonferenz, einer Art Diskussionsformat mit verschiedenen Bildungsinstitutionen, oder vom ständigen Austausch etwa mit Schulen, Wissenschaftlern oder Jugendpsychologen. Zudem bietet die Schule mobile Dienste für andere Schulen und hat ihre stark besuchten Beratungsstellen ausgebaut.

Die Schule am Heinrich-Braun-Weg ist längst als beispielgebende Institution etabliert. Stefan Baier, 44, leitet die Schule seit drei Jahren als Nachfolger von Edith Wölfl, schon im Zivildienst hat er seine Berufung gefunden, Menschen mit Behinderung zu unterstützen. An der Schule will er künftig kaum etwas verändern, allenfalls das: "Ich will, dass wir im musischen und im sportlichen Bereich wachsen."

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