Hasenbergl:Miteinander üben

Der "Werteraum", ein Integrationsprogramm für bayerische Grundschulen, hat seinen Iglu wieder im Pausenhof der Grundschule an der Eduard-Spranger-Straße aufgeschlagen. Ziel ist der Dialog zwischen den Kulturen

Von Björn Struss, Hasenbergl

Die Kinder der Klasse 3 b sitzen in einem Kreis am Boden, um sie herum bunte Tafeln, die Strichmännchen in Polizeiuniform oder Blaumann zeigen. Die Kinder sollen ihnen die richtigen Berufe zuordnen. "Was macht denn ein Polizist?", fragt die Gruppenleiterin. "Menschen erschießen", kommt es ohne Zögern von einem Mädchen. "Leute mit der Pistole bedrohen", sagt ein anderes Kind. Die Gruppenleiterin widerspricht: "Die Polizei sorgt für die Sicherheit, die Pistole wird nur selten benutzt." Und es ist klar, um welche Botschaft es geht: Der Polizist ist keine Gefahr.

Es ist bereits der sechste Workshop im "Werteraum", einem Integrationsprogramm für bayerische Grundschulen, an denen besonders viele Kinder mit Migrationshintergrund unterrichtet werden. An der Grundschule an der Eduard-Spranger-Straße liegt der Anteil bei 80 Prozent. Sie ist eine von zwei "Kick-Off"-Schulen, an denen das Programm erstmalig durchgeführt wird.

Dafür entstand auf dem Schulhof eine riesige, igluförmige Zeltkonstruktion, die mit ihren Logos und bunten Schriftzügen auch der Messestand eines mittelgroßen Unternehmens sein könnte. Es ist eine Sonderanfertigung. Auch an der Ausstattung wurde nicht gespart: Für jeden Workshop gibt es unterschiedliche Lernmaterialien, ein großer LCD-Fernseher steht für Videos bereit, jedes Kind bekommt ein druckfrisches Begleitbuch. Alles ist einheitlich in einem farbenfrohen, spielerischen Stil gestaltet.

Das Projekt verfolgt durchaus ambitionierte Ziele. Spielerisch sollen soziale Werte wie Gemeinschaft, Gleichberechtigung sowie Bildung und Beruf vermittelt werden. Die acht Workshops, die jeweils 90 Minuten dauern, stehen etwa unter dem Motto "Wir erleben Umgangsformen" oder "Wir feiern gemeinsam unsere Feste." Das Angebot richtet sich ausdrücklich an Kinder mit Migrationshintergrund und soll einen Beitrag zur Integration leisten, der im besten Falle bis in die Familien hinein wirkt. In der Praxis werden die Workshops aber mit allen Schülern im Klassenverband absolviert, ganz unabhängig von den kulturellen Wurzeln. So soll eine gemeinsame Wertebasis entstehen - für Kinder mit einem dauerhaften Bleiberecht, wie es auf der Website des Projektes heißt. Zumindest an der Grundschule Eduard-Spranger-Straße musste deshalb aber niemand von den Workshops ausgeschlossen werden.

Werte - für die bayerische Integrationsministerin Emilia Müller (CSU) gehören dazu auch Höflichkeit und Respekt, Tischmanieren und Begrüßungsformen. Projektträger ist zwar die Brochier Stiftung, Müllers Ministerium trägt aber mit 788 000 Euro den Löwenanteil der Kosten. Will die CSU auf diesem Weg ihre Vorstellungen von Leitkultur an die Grundschulen bringen? "So ist das im Konzept nicht gedacht", sagt Thomas Preuss, der als Projektleiter der spiel & sport team GmbH den "Werteraum" umgesetzt hat. Es gehe vielmehr um einen Dialog zwischen den Kulturen.

Die sozialen Werte werden ohnehin schon durch die Lehrkräfte vermittelt, sagt Konrektor Oliver Fritsche von der Grundschule Eduard-Spranger-Straße. "Im Unterricht ist es aber immer dieselbe Person, die diese Themen anspricht", erklärt er. Deshalb freut er sich über das Projekt, das "eine neue pädagogische Art mitbringt und mit neuen Materialien arbeitet". Seine Schule hatte sich im März beim spiel & sport team darum beworben, dass der "Werteraum" eines seiner beiden Zelte auf ihrem Schulhof aufschlägt. Alle 240 Schüler der Grundschule nehmen an den Workshops teil. In den Pfingstferien stand das Zelt in Nürnberg, am Montag kam es noch einmal für vier Wochen an die Eduard-Spranger-Straße zurück. So sollen bis Oktober 1400 Grundschulkinder in ganz Bayern erreicht werden. "Danach könnte das Modellprojekt noch einmal verlängert werden und mit neuen Schwerpunkten weitermachen", hofft Antonia Neulinger vom spiel & sport team.

Unterstützt wird das Projekt von der Anton-Schrobenhauser-Stiftung "kids to life" und der Martin-Gruber-Stiftung. Der unter anderem aus der ZDF-Serie "Bergretter" bekannte Münchner Schauspieler Martin Gruber macht sich an Ort und Stelle ein Bild von dem Integrationsprojekt. "In meiner Schule gab es keinen Raum, in dem wir einander mal sagen konnten, was uns wichtig ist." Schon damals sei er in Giesing auf viele andere Kulturen getroffen. Beim Workshop an der Grundschule Eduard-Spranger-Straße gab er spontan das Modell für eine Friseur-Spielerei. Die Haare bleiben aber dran, es wird nur gekämmt.

Anders als ihre Klassenkameradin will Elena aber keine Friseurin werden. "Ich mag Tiere und helfe ihnen gerne", sagt die Neunjährige. Ihr Berufswunsch: Tierärztin. Am meisten Spaß hatte sie an dem Workshop, der sich mit den Festen der verschiedenen Religionen beschäftigt hat. "Ich wusste gar nicht, was die Muslime feiern", sagt Elena.

Das zeigt deutlich: Eigentlich für Kinder mit Migrationshintergrund ins Leben gerufen, scheint der "Werteraum" auch bei Kindern mit deutschen Wurzeln etwas anzustoßen.

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