Hasenbergl:Mehr als Schall und Rauch

Abgeordnete der Nationalversammlung in Weimar, 1919

Bis 1920 war Toni Pfülf (hinten, 2. v. r.), nach der eine Straße benannt wurde, Abgeordnete der Nationalversammlung in Weimar.

(Foto: Scherl, Süddeutsche Zeitung Photo)

Hinter den Namensgebern vieler Straßen verbergen sich oft tragische, bewegende oder schlicht spannende Schicksale. Eine aktuelle Ausstellung ist dem Münchner Norden und dem Gedenken an Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus gewidmet

Von Nicole Graner, Hasenbergl

Auf dem alten Plan, der die Siedlung "Kolonie Lerchenau" zeigt und deren Wohnobjekte in der Legende mit dem Zusatz "in freier, sonniger und gesunder Lage" beworben werden, ist der Straßenname deutlich zu lesen: Adolf-Hitler-Strasse. Auch andere Namen aus der Zeit des NS-Systems stehen dort in dünner, schwarzer Schrift auf dem kolorierten Papier. Historiker Reinhard Bauer macht auf einer der 60 Tafeln seiner Ausstellung "Straßennamen im Münchner Norden - Gedenken an Widerstandskämpfer" aber auch gleich deutlich, dass es sich bei der Wahl der Straßenbenennungen in der Zeit der Nationalsozialisten um Namen handelt, die "Schlägern, Massenmördern und Verbrechern" gewidmet sind. Und er fügt eine Liste an, die zeigt, dass der alte NS-Straßenname - wie andere auch - mittlerweile verschwunden ist. Waldmeisterstraße heißt die Straße in der Lerchenau jetzt.

Seit vielen Jahren widmet sich Bauer dem Erkunden von historischen Sachverhalten, von Straßennamen. Besonders im Münchner Norden. Er recherchiert Biografien, begibt sich auf Spurensuche. Alte Namen werden, seit es einen Antrag im Münchner Stadtrat gegeben hat, sozusagen auf den Prüfstand gestellt. "Der Wunsch nach einer zeitgenössischen Aufarbeitung", sagt er, sei groß. Und als Beauftragter gegen Rechtsradikalismus im Stadtviertel sei es ihm erst recht wichtig, Wahrheiten zu transportieren, um vor allem der Jugend immer wieder deutlich zu machen, was der Nationalsozialismus bedeute. Dass er bei seinen Nachforschungen ständiger Gast im Stadtarchiv und im NS-Dokumentationszentrum ist, ist eine logische Konsequenz. Dass er aber auch noch aus einer ganz anderen Quelle schöpft, ist nicht selbstverständlich. Sein Fundus ist die eigene Bibliothek. Eine Viertelmillion Bände umfasst sie. Das Haus, sagt Bauer, sei "bis oben hin voll". Viele Bücher sind mittlerweile ausgelagert. Auch für die Ausstellung hat er in seinem Fundus vieles finden können, zudem noch im Internet.

Auf fast 70 Tafeln spürt er Menschen nach, die aufgrund ihrer Herkunft oder einer anderen politischen Gesinnung von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Zeigt ihre kurzen Biografien, Fotos und die dazugehörige Straße in einem kleinen Miniatur-Plan. In vier Teile gliedert er seine Dokumentation: Es geht um Menschen, die aus "rassischen Gründen" verfolgt wurden oder aus politischen Gründen. Es geht um Widerstandskämpfer und um Gegner des NS-Regimes. Wie zum Beispiel um die Politikerin Antonie "Toni" Pfülf (1877-1933). Eine Frau, die von Anfang an ihren Weg ging und viele Schicksalsschläge überwand. 1930 wurde sie als erste Frau und überzeugte Sozialdemokratin in Bayern in den Reichstag gewählt. Schon zur Zeit, als die Politik nur den Männern erlaubt war, hielt sie politische Reden: im Hosenanzug. Sie kämpfte für die Gleichberechtigung und erkannte früh, was der Aufstieg der Nationalsozialisten für Deutschland bedeuten würde. Vom "Hitlerzirkus" sprach sie und kämpfte mit allen politischen Mitteln gegen das Erstarken der NSDAP. Als Antonie Pfülf , die erst an der Kaulbachstraße und dann an der Münchner Freiheit wohnte, spürte, dass Hitler nicht mehr aufzuhalten war, nahm sie sich 1933 das Leben. Seit 1963 trägt eine Straße in der Siedlung am Lerchenauer See ihren Namen: die Toni-Pfülf-Straße.

Ein anderer Straßenname ist Otto Reinach (1870-1938) gewidmet. Der Mediziner war Leiter des Münchner Säuglingsheims und der Begründer des Bezirksverbands für Säuglingspflege in München. Er gilt, wie Bauer erklärt, als einer der bedeutendsten Säuglingsärzte Bayerns. Weil er Jude war, wurde er 1933 entlassen. Als Arzt praktizierte er aber am Promenadeplatz weiter, bis er in Schutzhaft genommen wurde und vermutlich, so Bauer, im KZ Dachau "erschlagen" wurde. Seine Frau kam in die seit dem 26. August 1941 so benannte "Judensiedlung Milbertshofen", wurde von dort nach Kaunas in Litauen deportiert und ermordet.

Einen Katalog, nach welchen Kriterien die Stadt Straßen benennt, gebe es, wie Bauer erklärt, nicht. Jeder könne im Prinzip einen Antrag stellen. Aber natürlich habe man in den vergangenen zehn bis 15 Jahren verstärkt darauf geachtet, Biografien genau zu durchleuchten und Straßen nach Widerstandskämpfern und vor allem auch Frauen zu benennen. Stadtarchiv, Denkmalkommission, Ältestenrat, Kommunalausschuss und Bezirksausschuss prüften mittlerweile. "Es sind sozusagen viele Filter" eingebaut", sagt Bauer.

Die Dokumentation zeigt drei Dinge: Zum einen entdeckt man unbekannte Namen, hinter denen oftmals berührende und interessante Geschichten stecken. Sie zeigt auch auf, zum Beispiel an der Biografie von Karl Wessely (1874-1953), dass Menschen dem Zugriff der Nazisozialisten mitunter entkommen konnten. Wenn sich Menschen für Menschen einsetzten, oder auch eine Lobby hatten. So machten sich die Weltaugenärzte für ihren Vorsitzenden Wessely stark. Er durfte, so Bauer, über die NS-Zeit hinweg weiter praktizieren und bekam nach 1945 wieder einen Job. Und es wird bewusst, wie sehr Menschen sich mit dem Namen ihrer Straße identifizieren, Interesse zeigen am Namensgeber, dass sie in einer Straße wohnen wollen, die eine "Geschichte" erzählt.

"Straßennamen im Münchner Norden - Gedenken an Widerstandskämpfer", Vernissage am Mittwoch, 15. Februar, 18 Uhr, VHS im Kulturzentrum 2411, Blodigstraße 4, 2. Stock. Zu sehen bis 7. April. Geöffnet Montag bis Freitag, 10 bis 20 Uhr. Rahmenprogramm unter www.mvhs.de/nord. Anmeldung: Telefon 48006 6868.

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