Hasenbergl:Forum, Sprachrohr, Schiedsstelle

Hans Sedlmaier hat vor 25 Jahren den sogenannten Bewohner-Stammtisch mitgegründet, eine Art Plattform, in dem sich Hasenbergler sozial engagieren. Seit 16 Jahren ist der Bewohner-Stammtisch am ehemaligen Trambahnhäuschen am Goldschmiedplatz eingerichtet

Freuen sich über Mitstreiter am Bewohner-Stammtisch (von links): Manfred Inninger, Angelika Helfrich, Sonja Tessmann und Hans Sedlmaier.

(Foto: Florian Peljak)

Seit 25 Jahren gibt es im Hasenbergl den Bewohner-Stammtisch. Zur Gründung hat Hans Sedlmaier und seine Freunde die Erkenntnis veranlasst, dass man gemeinsam etwas erreichen kann - wie ein Rundgang beweist

Von Simon Schramm, Hasenbergl

Vor 25 Jahren hat Hans Sedlmaier gemeinsam mit Freunden und Bekannten aus dem Hasenbergl eine Form von sozialem Engagement gefunden, die er selber "sinnhaft" nennt: Der Bewohner-Stammtisch ist ein Forum für die Bürger des nördlichen Hasenbergls, das ein Prinzip auszeichnet. "Erst mal nur treffen und benennen, was einen stört oder was man sich wünscht", sagt Sedlmaier. Ihm ist der unverbindliche Charakter des Stammtisches wichtig, die Idee, vor irgendeinem Entschluss erst einmal eine Frage zu stellen: "Wenn wir spinnen würden, was wollten wir dann eigentlich?"

Die Gründung des Stammtisches war eine Reaktion auf die Entwicklung des Viertels. Als Anfang der Neunzigerjahre das mittlere Hasenbergl nachverdichtet werden sollte, reagierten die Stadtplaner auf viele Einwürfe der Bewohner negativ; "nicht möglich, geht nicht", hieß es. Das führte zu einer "Schlüsselsituation", so Sedlmaier. Eine Gruppe von Hasenberglern fotografierte einen Spielplatz in Unterföhring und entwickelte daraus ein Konzept für eine eigene Grünfläche. Sie zogen daraus eine Erkenntnis. "Man kann etwas erreichen, wenn man sich zusammentut", sagt Sedlmaier. Der Spielplatz wurde gebaut, und im November 1991 schließlich fand die erste regelmäßige Sitzung des Bewohner-Stammtisches statt. Es war ein Novum, dass die Bewohner ein Sprachrohr in dieser Art erhielten. "Es ändert sich ja doch nichts", hörte Sedlmaier damals von Bewohnern oft, wenn es darum ging, Forderungen anzumelden. "Es gab eine relativ große Angst vor dem Außen", sagt Sedlmaier. Das habe auch viel mit der Stigmatisierung des Viertels zu tun gehabt.

Ein sonniger Frühlingsspaziergang mit Hans Sedlmaier beginnt am Goldschmiedplatz, einem Ort im Hasenbergl, den der Stammtisch wesentlich mitgestaltet hat. Auf dem Platz gibt es Grillplätze und Tischtennisplatten, einen Spielplatz und eine Skate-Anlage; zusammen mit der Stadt hatte der Stammtisch herausgefunden, was die Jugendlichen sich wünschen. Das ehemalige Trambahnhäuschen am Platz ist eine Anlaufstelle im Viertel geworden. Die Bewohner mieten die Räume für private Feste, hier kommt auch die Münchner Tafel unter, Streetworker, eine Frauengruppe, und natürlich der Stammtisch; sowieso lädt der Stammtisch seit zwanzig Jahren am Platz zu seinem Flohmarkt. Eine Institution, die die Distanz zwischen Viertel und Stadt abgebaut hat. "Die Flohmärkte werden zu 80 Prozent von Nicht-Hasenberglern bestückt", sagt Sedlmaier.

Der Stammtisch ist ein repräsentativer Ansprechpartner geworden. So hat der Stammtisch in Streitigkeiten oft einen Dialog ermöglicht, etwa als ein Priester der örtlichen Pfarrgemeinde für Unmut im Viertel sorgte, weil er manche Personen bevorzugte. Der Stammtisch lud zur Diskussion. "Wir haben dem Priester nahegelegt, die ganze Gemeinde zu führen und seine seelsorgerischen Aufgaben ganzheitlich wahrzunehmen", sagt Sedlmaier. Auch als die GWG vor einigen Jahren ehemaligen Unterkünfte übernahm und in Sozialwohnungen umwandelte, fungierte der Bewohner-Stammtisch als Mediator. Die Bewohner fürchteten höhere Mieten und weniger Wohnqualität. Eine runder Tisch brachte Wohnbaugesellschaft und Bürger zusammen. "Im Großen und Ganzen hat das funktioniert", meint Sedlmaier.

Hans Sedlmaier ist im Hasenbergl aufgewachsen, seit er ein junger Mann ist, arbeitet er auch dort. Was ist die wichtigste Eigenschaft in seiner Funktion als Haupt-Organisator des Stammtisches? "Die Leute ernst nehmen und ihnen zuhören. Man muss jedem eine Chance geben", sagt Sedlmaier, 57. Aber er bleibt realistisch: "Auch ein Sprachrohr kann mal Schmarrn sprechen." Wichtig sei es für den Stammtisch auch, Verantwortung zu übernehmen, etwa für die Pflege des Goldschmiedplatz. "Man identifiziert sich mit seinen Viertel, wenn man sagt: Das ist mein Baby, da pass' ich auf." Der Stammtisch besteht aus etwa 15 bis 20 Mitgliedern und kommt nicht ohne Netzwerk aus. Seit mehreren Jahren sucht der Stammtisch, neue Ideen im Austausch zu finden, indem er sogenannte Bildungsfahrten in andere Städte macht, nach Wien, Leipzig oder Düren. "In Bremen haben wir eine Litfaßsäule nur für Bürger entdeckt", erklärt Sedlmaier. Im Hasenbergl hat der Stammtisch darum einen Schaukasten am Stadtteilcafé installiert.

Hans Sedlmaier steht jetzt hinter den Gebäuden der Wintersteinstraße, in diesem Moment tut sich eine Wohnsiedlungsidylle auf, die der Stammtisch mitgefördert hat. Die Allee liegt im Licht der Nachmittagssonne, Mütter mit Kinderwagen sitzen plaudernd auf den Bänken, Jungs rennen umher. Der Stammtisch hatte angeregt, diesen Weg grüner und freundlicher zu gestalten und das mit einem Stadtplaner auch verwirklicht. Viele Personen, die mit dem Hasenbergl zu tun haben, sind sich einig, dass sich das Viertel gewandelt hat. Die Wohnqualität habe sich verbessert, sagt Sedlmaier, mehr Orte für Freizeit gebe es; aber im Bereich der Armut habe sich wenig getan. Sedlmaier wirbt dafür, dass sich die Bewohner weiter am Stammtisch beteiligen. Eine Verjüngung ist bisher nicht gelungen. Dabei verkörpert Sedlmaier auch nach 25 Jahren immer noch die Energie, die die Institution ausmacht: "Sich selber am Schopf packen und sagen: Ich gestalte meinen Stadtteil, damit er für mich lebenswert ist."

Zum Jubiläum hat der Stammtisch eine kleine Foto-Ausstellung im Stadtteilcafé, Wintersteinstraße 60, organisiert. Sie ist noch bis zum 24. Juni zu sehen. Die nächsten Termine für die Flohmärkte: Samstag, 04.06., Sonntag, 17.07., Samstag, 10.09., Samstag, 08.10., und Samstag, 12.11. Weitere Infos auf: www.hasenbergler.de.

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