Hansastraße: Von Spielhölle bis Straßenstrich:Münchner Mischgewerbe

In der Hansastraße liegen ganz verschiedene Welten direkt nebeneinander. Das Bordell und das ADAC-Hochhaus, ein Dorado für Glücksspieler und ein Turm für Wissenschaftler - eine Ortserkundung in Bildern.

Florian Fuchs

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Straßenstrich Hansastraße, Bordell Pussycats

Quelle: Florian Peljak

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In der Hansastraße liegen Welten nebeneinander. Das Bordell und das ADAC-Hochhaus, ein Dorado für Glücksspieler und ein Turm für Wissenschaftler - eine Ortserkundung in Bildern.

Es sind die Geschichten der Nacht, die diese Straße seit langem bestimmen. So wie die Geschichte dieses Mannes aus Landshut, der vor zwei Wochen ins Pussycats an der Hansa 9 kam. "Ein Wahnsinn, der Kerl", sagt Janos Krafcsik. Der Typ setzte sich auf einen der weißen Lederhocker an die Bar, zu den Frauen und den anderen Freiern, und dann hat er erzählt: Wie er sich vor einem Jahr mit dem Hubschrauber im Regenwald Afrikas absetzen ließ, wie er fast zwölf Monate dort lebte, mit nichts als einem Taschenmesser, wie er mit Löwen gekämpft hat und dann krank geworden ist - und wie ein Medizinmann ihn zu irgendeiner Botschaft gezerrt hat, damit sie ihn wieder heimfliegen, in ein Krankenhaus nach Bayern. "Der hat das ernst gemeint", sagt Bordellchef Krafcsik, "wir haben uns totgelacht."

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Quelle: SZ

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Gerade erst hat der ADAC an der Hansastraße seine neue Zentrale für 2400 Angestellte eingeweiht (Foto), gleich neben dem Pussycats und dem Straßenstrich: der größte Verein Deutschlands, 18 Millionen Mitglieder, 100 Mal mehr als der FC Bayern. Nebenan thront das Fraunhofer-Hochhaus mit seiner grünverspiegelten Fassade.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Berichts wurde beim Leser der Eindruck erweckt, dass der MP3-Player in der Fraunhofer-Zentrale entwickelt wurde, die an der Hansastraße angesiedelt ist. Das ist falsch, vielmehr wurde der Audiokomprimierungs-Standard MP3 im Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen entwickelt.

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Quelle: SZ

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Die Hansastraße beherbergt auch das Feierwerk, es ist nicht übertrieben, hier von Münchens Kultstätte für Jugendkultur zu sprechen. Gegenüber vom Strich hat die Kriminalpolizei mit der Mordkommission ihren Sitz, und da, wo früher ein Kartpalast war, entsteht gerade der größte Glücksspielkomplex Deutschlands. Die Hansastraße ist eine der hässlichsten Gegenden Münchens. Ein trister Gewerbemix und mehr als das. "Tagsüber sieht das aus wie draußen in Allach", sagen die Leute vom Feierwerk. Auch wenn man es ihr nicht ansieht: Diese Straße hat viele Geschichten zu erzählen.

Straßenstrich Hansastraße, Bordell Pussycats

Quelle: Florian Peljak

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Und trotz aller Superlative mit ADAC und Fraunhofer, mit Feierwerk und Glücksspiel, prophezeit Krafcsik: "Unsere Geschichten werden hier weiter bestimmen." Was er meint: Es kann hier aufmachen, was will - wer in München Hansastraße sagt, denkt an Rotlicht. Grundsätzlich hat der Bordellchef da wohl recht, nur mit Ingrid Notbohm hat er nicht gerechnet.

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Die Vorsitzende des Bezirksausschusses 7 Sendling-Westpark, zu dem die Hansastraße gehört, sagt zunächst einmal: "Barrierefreier Zugang." Sie haben auch die alltäglichen Geschichten hier, ein bisschen Probleme im Bezirksausschuss mit dem U-Bahnhof Heimeranplatz zum Beispiel: Rollstuhlfahrer können den Aufgang Richtung Hansastraße nicht benutzen - er ist nicht behindertengerecht ausgebaut. Sie werden das aber schon irgendwie regeln, Notbohm ist recht zuversichtlich. Was sie nicht mehr regeln können, wo inzwischen selbst der Stadtrat seine Klagen zurückgezogen hat, das ist die Sache mit dem Glücksspiel-Dorado.

Spielautomaten sind nach Umsatz zu besteuern

Quelle: picture-alliance/ dpa

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Mehr als 200 Automaten in knapp 20 Hallen will eine Bochumer Firma hier hinstellen. Eigentlich darf ein Betreiber nur zwölf Automaten pro Spielhalle montieren, die Bochumer ziehen deshalb einfach mehrere Räume nebeneinander hoch - und nennen das dann jeweils Halle. Juristisch ist das kaum zu verbieten, SPD-Politikerin Notbohm ist wie ihre Kollegen aber wenig begeistert: Dieses Glücksspiel, das zieht Kriminelle an, klagt sie. Und außerdem macht es süchtig. "Und dann ist das ja nicht gerade Monte Carlo hier." Notbohm muss es wissen. Im Casino von Monte Carlo war sie erst mit ihrer Rentnertruppe, ein Ausflug im Bus nach Monaco. "Ziemlich mondän alles dort", schwärmt die 73-Jährige.

Spielsucht-Forscher kritisiert gruen-rote Plaene zur Eindaemmung von Spielhallen

Quelle: dapd

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Im gedämpften Halbdunkel der "Hallen" genannten Zimmer in der Hansastraße ist es nicht mondän. Die Spielautomaten heißen irgendwas mit Drachengold, historischen Gottheiten oder Lucky Ladys, über die Bildschirme flackern fliegende Ungeheuer und pixelige Abenteuerer, und wenn bei einem Spieler eine Reihe Früchte, ägyptische Schriftzeichen oder halbnackte Mädels über den Monitor flimmern, dann blinkt's und klingelt's. Vorwiegend mittelalte Männer, die vorwiegend Lederjacken aus dem vorigen Jahrhundert tragen, hämmern mit ihren Fäusten monoton auf die Buttons der Automaten. Der einzige Bezug zum Leben draußen sind die Fernseher, die in einer der Ecken eines jeden Zimmers hängen. Auf "n-tv" berichten sie von Toten in Syrien: Interesse weckt das bei keinem der Gäste.

Straßenstrich Hansastraße, Bordell Pussycats

Quelle: Florian Peljak

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"Eine traurige Geschichte ist das hier", sagt Notbohm. Immerhin das: eine weitere Geschichte - und auch die spielt vor allem in der Nacht. Zum Aushängeschild der Hansastraße wird das Glücksspiel aber bestimmt nicht. Es gibt sogar Hoffnung, dass das mit dem größten Glücksspielkomplex am Ende doch nicht lange halten wird. Der Freistaat will ein paar Vorschriften ändern, Spielhallenkomplexe wären dann ganz untersagt. Schon erstaunlich: Glücksspiel ist schlecht, soweit kann man folgen. Vom Straßenstrich aber will Notbohm nichts Negatives sagen, genau wie andere Kollegen im Bezirksausschuss. Und von Kampf gegen die Prostitution ist auch schon lange keine Rede mehr. "Es gibt halt eine Nachfrage", sagt Notbohm, "und dann machen wir das lieber hier als in einem Wohngebiet." Und dann sagt auch die 73-Jährige diesen Satz: "Die Geschichte der Hansastraße ist mit dem Rotlicht verbunden."

Straßenstrich Hansastraße, Bordell Pussycats

Quelle: Florian Peljak

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Früher war die Hansastraße eine Gewerbemeile, an der die Mollwerke ihren Sitz hatten. Das Bauunternehmen hat unter anderem die Sportstätten des Olympiageländes, die Neue Pinakothek oder auch den Kuppelbau im Tierpark Hellabrunn mitgestaltet. Um den prominenten Anrainer herum siedelten sich zahlreiche kleine Handwerksbetriebe an, viele sind heute noch da. Als Moll in den achtziger Jahren umzog, zog das Feierwerk in die riesigen Fabrikhallen ein. Seitdem spielen hier Bands, die noch keinen großen Namen haben, und Bands, die nie einen großen, dafür immer einen klangvollen kleinen Namen haben werden. "Fury in The Slaughterhouse haben hier zweimal vor zwölf Leuten gespielt", sagt Klaus Martens.

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Quelle: SZ

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Sie haben auch hier viele großartige Geschichten. Martens zum Beispiel ist praktisch selbst so eine: Mitte der achtziger Jahre hat er in der Toskana Kurse in Bauchtanz und Trommeln gegeben, dann fing er als Pädagoge beim Feierwerk an, eine ABM-Maßnahme. Er ist dabei geblieben, der Mann ist 56 Jahre alt und trägt noch immer Sneakers. "Wir machen bis heute nur, was uns Spaß macht", sagt er. Spaß an der Sünde hatten sie hier, im mittleren Teil der Hansastraße, aber auch schon immer. Zum Beispiel unterhalten sie einen kleinen Radiosender im Feierwerk. Früher gab es da mal ein Kabarettprogramm. "Die haben den Papst ganz gerne auf den Arm genommen", erzählt Martens. Von Weihrauchkiffern war die Rede, das Titelbild des Programms zierte Jesus am Kreuz, und damit unter dem Arm sind sie dann zum Rundfunkrat marschiert, um denen zu zeigen, wie witzig das alles ist. Dass CSU und Kirchenvertreter so etwas nicht ganz so lustig finden, das haben sie schließlich auch gemerkt.

Straßenstrich Hansastraße, Bordell Pussycats

Quelle: Florian Peljak

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Kontakt zur Sünde drüben zum Strich, auf der anderen Seite des Mittleren Rings, hatten sie hier nur mal indirekt. "Da kriegen wir eigentlich gar nichts mit", sagt Klaus Martens. Die einzelnen Teile der Hansastraße haben schon immer eher nebeneinander als miteinander gelebt. Nur vor einigen Jahren, da beschwerten sich das Fraunhofer Institut und andere Anlieger. Der Strich verderbe die Moral, so in etwa war der Tenor, und überhaupt, schoben die besorgten Geschäftsleute hinterher: Hier die Jugend aus dem Feierwerk, dort die Nutten! Das geht doch nicht! Sie schlugen dann vergeblich vor, den Strich eine Ecke weiter in die Tübinger Straße zu verlegen - vor das Gelände des Fußballvereins SV 1880 München und eine Kleingartenanlage. "Na, die hätten sich gefreut", sagt Notbohm, dabei ist das gar nicht mal so unwahrscheinlich. "Einen vom Fraunhofer hatte ich noch nie im Bett", sagt eine Platinblonde ein paar Stunden später in der Nacht vorne auf dem Strich. Kleingärtner dagegen sind schon eher Klientel.

Straßenstrich auf der Hansastraße in München.

Quelle: Florian Peljak

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Hansastraße: Von Spielhölle bis Straßenstrich:Straßenstrich auf der Hansastraße in München.

Bis in die sechziger Jahre waren die Straßenstriche noch mehr in der Innenstadt angesiedelt, dann wurden sie nach und nach in die Außenbezirke verlagert. In der Hansastraße hat sich das Rotlicht etabliert, dabei gab es auch hier einmal hässliche Zeiten. Vor ein paar Jahren noch haben ein paar Frauen und Zuhälter einen aufdringlichen Freier übel verdroschen. Heute ist Janos Krafcsik, 46, der Chef. Der Mann mit dem Dreitagebart hat eine 16 Jahre alte Tochter, nachmittags führt seine Frau im Pussycats die Geschäfte. Von Schlägereien hat man lange nichts gehört.

Straßenstrich Hansastraße, Bordell Pussycats

Quelle: Florian Peljak

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Kurz vor Mitternacht am Freitagabend ist ziemlich was los in dem Laden, der Farbton an der Bar changiert konstant ins Rötlich-Blaue, auf den weißen Ledercouches sitzen fünf Gäste mit den Frauen, und Krafcsik redet im Stakkato: Er hat seinen Nachtclub am 1. März neu eröffnet, er hat das Team ausgetauscht. Alles ist renoviert, alles ist jetzt billiger aber nicht billig, das ist ihm wichtig zu betonen. Es kommt nicht mehr jeder in den Club, wer rein will, muss klingeln und zahlt 20 Euro, dafür gibt es zwei Getränke. Die ganzen besoffenen Idioten, so darf man das verstehen, müssen künftig draußen bleiben - das vermeidet Ärger.

Straßenstrich Hansastraße, Bordell Pussycats

Quelle: Florian Peljak

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Die Geschäfte der Frauen gingen schon besser, früher war die Hansastraße eine große Nummer in München. Heute haben sie draußen auf dem Strich nur noch wenige Meter, auf denen sie stehen dürfen. Im Sommer sind es mehr als ein Dutzend, bei schlechtem Wetter weniger. Viele Taxifahrer wissen trotzdem noch, wo sie hinfahren müssen, so wie Ahmed. "Wir hatten keine Ahnung wohin, da hat er uns hierher gefahren", sagt einer der beiden Kölner, die draußen vor der Tür stehen. Bei einem spannt das Hemd, beim anderen rutscht die Brille, bei beiden liegen die Ehefrauen knapp 600 Kilometer entfernt im Bett. "Die dürfen von der Geschichte nichts erfahren", sagt der mit der Brille.

Straßenstrich Hansastraße, Bordell Pussycats

Quelle: Florian Peljak

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So ist das nun mal. Die Geschichten, die in der Hansastraße spielen, bleiben meist in der Hansastraße. Ein paar Anekdoten hat Krafcsik aber doch noch, wie die Story von dem Betrunkenen, der alle Frauen hässlich fand und dann den Transvestiten wählte, ohne es zu merken. "Oder meine Lieblingsgeschichte", sagt Krafcsik. Eines Nachts kam dieser Araber, und es ist nicht ganz klar, ob es nur eine champagnerselige Laune war, wie das manchmal ist bei reichen Männern. In dieser Nacht meinte es der orientalische Gast bitterernst: "Der wollte ein Mädchen heiraten, auf der Stelle. Dann hat er Geld geboten." Krafcsik hat ihm vorsichtig erklärt, dass allein die Frau entscheidet. Der Araber hat das nicht kapiert, schließlich wollte er sie ihm sogar in Gold aufwiegen wollte. "Wir haben es ihm ausgeredet", sagt Krafcsik. Dieses eine Mal, da war es nicht nur eine Geschichte der Nacht. Ein bisschen war es auch mal eine Geschichte aus 1001 Nacht.

© SZ vom 21.04.2012/afis
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