Hans Christian Meiser:"Viele sind verblendet"

Bischofsstreit: Der Stadtrat hatte die Entnennung der Meiserstraße beschlossen, nun will Hans Christian Meiser das Andenken seines Großvaters retten.

M. Maier-Albang, J. Käppner

Er hat seinen Großvater zwar nie kennengelernt. Doch das Andenken an den ehemaligen evangelischen Landesbischof Hans Meiser will dessen Enkel Hans Christian Meiser in Ehren gehalten wissen. Der Publizist und promovierte Philosoph hatte im April Klage gegen die Stadt München eingereicht, nachdem der Stadtrat die Entnennung der Meiserstraße beschlossen hatte - über die Klage soll noch in diesem Jahr verhandelt werden. Nun hat der Enkel über seine Sicht des Streits um Hans Meiser (1881-1956) ein Buch im MünchenVerlag veröffentlicht: "Der gekreuzigte Bischof".

Meiserstraße

Der Enkel in der Meiserstraße: Hans-Christian Meiser.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

SZ: Herr Meiser, ist es nicht anmaßend, wenn Sie im Titel des Buches Ihren Großvater Hans Meiser mit Jesus gleichsetzen? "Der gekreuzigte Bischof"?

Meiser: Das tue ich ja nicht. Aber ich habe schon in der ganzen Auseinandersetzung einen biblischen Archetypus festgestellt, der mit der Straßenumbenennung in Nürnberg begann. Schon dort wollte niemand etwas mit der Sache zu tun haben - die Kirche schob es auf die Politik und die Politik auf die Kirche. Entscheiden musste letztlich das Volk, in Form des Stadtrats. In München traute ich meinen Ohren nicht, als der Münchner Stadthalter sagte, er fühle sich in seiner Richterrolle nicht sehr wohl.

SZ: Warum bezeichnen Sie Oberbürgermeister Christian Ude als "Stadt-Halter"? Oder nennen Landesbischofs Johannes Friedrich nicht beim Namen, obwohl klar ist, dass Sie über ihn schreiben?

Meiser: Auch damit will ich den Archetypus deutlich machen; außerdem ist es eine literarische Stilform.

SZ: Beschreiben Sie doch mal den Archetyps dieses Stadthalters?

Meiser: Ich schätze Herr Ude sehr und das, was er für die Stadt München getan hat. Aber was seine Einschätzung über meinen Großvater betrifft, kann ich ihm nicht folgen.

SZ: Gegen wen schreiben Sie eigentlich an - die evangelische Kirche, die Stadt München, die Historiker, die Ihrem Großvater Ihrer Meinung nach nicht gerecht werden?

Meiser: Ich schreibe gegen niemanden an. Ich habe nur versucht, der Wahrheit zu dienen. Ich habe in den letzten zwei Jahren unendlich viele Unterlagen und Berichte von Zeitzeugen und Wissenschaftlern bekommen. Zudem habe ich selbst im Archiv der Landeskirche in Nürnberg geforscht. All das habe ich zusammengetragen, weil bislang in der ganzen Diskussion nur Versatzstücke zu lesen sind. Weil manche Forscher bislang nur voneinander abgeschrieben haben und auch im landeskirchlichen Archiv sagte man mir, dass nur wenige, die über Meiser urteilen, je dort gewesen sind.

SZ: Wie hat die Gestalt Ihres Großvaters Sie geprägt?

Meiser: Ich bin ein Jahr nach dem Tod meines Großvaters geboren worden und ich wuchs auf in dem Bewusstsein: Er wurde als Held verehrt, weil er sich gegen das Nazi-Regime gewehrt hat und nicht mit Heil Hitler unterschrieb. Ich fand es beachtlich, jemanden in der Familie zu haben, der von den Nazis arretiert war. Das beruhigte mich.

SZ: Ihr Großvater hat sich in verschiedenen Schriften aus theologischer Sicht judenfeindlich geäußert. Sie behaupten dennoch, dass er kein Antisemit war?

Meiser: Das war er niemals! Es gibt nur diesen einen Aufsatz aus dem Jahr 1926 und auch dort nur eine umstrittene Passage. Jemand, den die Nazis als "Judenfreund" bezeichnen, kann doch nicht von Demokraten als Antisemit bezeichnet werden. Wenn er das gewesen wäre, hätte er dann 126 "Nichtariern" das Leben gerettet?

SZ: Aber er hat 1926 behauptet, der "jüdische Geist" habe etwas "Zerfressendes, Ätzendes, Auflösendes"?

Meiser: Er beruft sich dabei auf Abraham Geiger, einen Juden, den er damit zitiert, dass der jüdische Geist "Ferment" hineinbringe in den "stockphiliströsen, zähen, trockenen, deutschen Geist". Die Intention des Aufsatzes heißt: Als Christen müssen sich schützend vor die Juden stellen. Meiser endet mit dem Appell, dass die Christen gehalten seien, die Juden mit Freundlichkeit zu grüßen, sie durch hoffende Geduld zu stärken, mit wahrer Liebe zu erquicken und durch anhaltende Fürbitte zu retten.

"Viele sind verblendet"

SZ: Hoffende Geduld heißt: Hoffen auf Konversion zum Christentum. Der damals verbreitete theologische Antisemitismus hatte vor Meiser nicht Halt gemacht - das ist ja auch der Grund der Straßenumbenennung.

Meiser: Aber die Nazis haben seine Botschaft sehr wohl verstanden und deshalb eine Hetzkampagne gegen ihn gestartet. Auch viele Christen damals haben das richtig verstanden - er hat Dankesbriefe dafür bekommen. Aus seinen Worten kann man keinen eliminatorischen Antisemitismus heraushören, keinen Willen zum Mord an den Juden, außer, wenn man schlechten Willens ist.

SZ: Es behauptet auch niemand, dass Hans Meiser den Tod der Juden wollte. Es geht um seine grundsätzliche Haltung gegenüber den Verfolgten.

Meiser: Die Gegner verschweigen einfach Dokumente, die für Meiser sprechen. Zum Beispiel ein Protestschreiben gegen die Schädigung der Juden von Ansbach, das Hans Meiser 1934 verfasst hat, nachdem in Ansbach Leute aufgefordert wurden, zu unterschreiben, dass sie nicht bei Juden einkaufen und Juden generell zu meiden. Dagegen hat Meiser sofort beim bayerischen Ministerpräsidenten protestiert. Wir sind zudem auf ein Dokument gestoßen, das im Moskauer Staatsarchiv verwahrt wurde. Da trägt auf einer Tagung am 1. November 1937 im Reichssicherheitshauptamt ein SS-Untersturmbannführer Gahrmann vor versammelten Nazigrößen, darunter Adolf Eichmann, wörtlich vor, dass Meiser und seine "Bekenntnisfront" judenfreundlich eingestellt seien. Außerdem sehe ich hier einen Generationenkonflikt. Die, die Meiser angreifen, stammen aus der 68er Generation, die hier stellvertretend einen Konflikt mit ihren eigenen Vätern austragen. Auch die Stadt hat in ihrer Beschlussvorlage alles Entlastende vernachlässigt. Genauso die Landeskirche. Die schrieb auf der Gedenktafel, die man nach der Umbenennung anbringen wollte, Meiser habe nicht genügend Schuld bekannt. Als ich nachgewiesen habe, dass es von ihm sieben Schuldbekenntnisse gibt, drehten die ihre Argumentation einfach um: Wenn es sieben Schuldbekenntnisse gibt, muss er ja schuldig gewesen sein. Manchmal kommt es mir so vor, als müsse man hier unbedingt ein Opfer finden. Viele sind letztlich verblendet.

SZ: Warum hat die Landeskirche nicht gegen die Straßenentnennung geklagt?

Meiser: Man wollte ein juristisches Gutachten abwarten, aber plötzlich hieß es, dieses habe ergeben, dass eine solche Klage wenig Aussicht habe. Ich habe dreimal um das Gutachtenebeten, es aber nicht erhalten. Auf "Kanälen" konnte ich es dennoch einsehen und war bass erstaunt: Darin steht genau das Gegenteil. Nämlich, dass eine Klage sehr wohl aussichtsreich wäre, da seitens der Stadt München große Ermessensfehler vorlägen. Aber die Landeskirche geht den einfachsten Weg. Deshalb habe ich dann geklagt. Denn hier geht es um Gerechtigkeit, Ehre und um die Wahrheit.

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