Wertpapiere:Nur Frankfurt hat eine Börse? München aber auch

Wertpapiere: Am Lenbachplatz ging es bei der Müncher Börse noch lauter zu.

Am Lenbachplatz ging es bei der Müncher Börse noch lauter zu.

(Foto: Börse München)
  • Die Börse in München gibt es bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts, gegründet von den Kaufleuten der Stadt.
  • Der Handel hat sich allerdings ziemlich verändert - und es der Börse nicht einfacher gemacht, sich gegenüber den großen Konkurrenten zu behaupten.
  • Jetzt steigt man in den Zertifikatehandel ein, um mehr Umsatz zu machen.

Von Pia Ratzesberger

Der Herr am Schalter vergewissert sich, ob der Auftrag denn heute noch zur Börse gehe. Aber selbstverständlich, der Bankangestellte reißt das just beschriebene Blatt vom Block, denn gleich geht Erich Neukirchinger los. Der Händler Neukirchinger notiert den neuesten Auftrag in sein Buch, macht sich auf zum Lenbachplatz, wo die Börsenmakler herausschreien, mit ihren Notizbüchern in der Luft herumfuhrwerken, den besten Preis anpreisen und die beste Aktie. Neukirchinger wird es ihnen gleichtun, er wird in dieser Halle kaufen und verkaufen, im Auftrag seiner Kunden, mit größtmöglichem Geschick, stets das Notizbuch in der Hand.

Im Jahr 1965 gab es nämlich noch keinen Computer, erst recht keinen Hochfrequenzhandel. Die Bayerische Börse war damals eine dröhnende Ansammlung von Männern in Anzügen - doch heute ist davon nicht mehr geblieben als eine Handvoll Schwarz-Weiß-Filme, in denen Menschen wie Neukirchinger zeigen, dass der Börsenhandel einst ganz anders ablief.

Heute nämlich hat die Bayerische Börse, immerhin die drittgrößte in Deutschland, zwar noch immer einen herrschaftlichen Sitz. Mittlerweile am Karolinenplatz, in der früheren Stadtvilla von Viktor Hutschenreuther, dem Sohn des fränkischen Porzellanfabrikanten. Doch in diesen weißen, kahlen Räumen arbeiten gerade einmal 28 Leute, im Dachstuhl blitzen die aktuellen Kurse auf den Bildschirmen, vor ihnen aber sitzen nur noch vier Männer. Trotz der ganzen Neuerungen. Erst Ende Juli nämlich ist man hier in den Handel mit Zertifikaten eingestiegen, gemeinsam mit der Hypo-Vereinsbank erhofft man sich so, mehr Umsatz zu machen.

Denn klar, die drittgrößte Börse innerhalb Deutschlands, das klingt erst einmal groß - groß ist allerdings auch der Abstand zwischen den ersten drei Plätzen: 95 Prozent der Umsätze des deutschen Aktienhandels laufen über Xetra, den Handelsplatz der Frankfurter Börse. Die restlichen fünf Prozent teilen sich die deutschen Regionalbörsen in München, in Düsseldorf, in Hamburg oder in Stuttgart. Wobei Letztere bundesweit den zweiten Platz einnimmt, immerhin beschäftigt man in Baden-Württemberg ungefähr dreimal so viele Mitarbeiter wie in Bayern.

Die Börse am Karolinenplatz hat sich zwischen den größeren Finanzzentren eine Nische gesucht. Sie will gar nicht Frankfurt sein, erst recht nicht London oder New York. Jochen Thiel, zweiter Geschäftsführer, sitzt in seinem Eckbüro im ersten Stock, an der rechten Hand trägt er einen goldenen Armreif, an der linken einen goldenen Ring. Wenn Thiel von der Börse erzählt, redet er vor allem davon, wie sehr sich der Handel verändert habe. Heute sei die Börse ein hocheffizienter IT-Dienstleister, Parkettböden und Marktschreier seien doch nur noch überkommene Klischees. Er lächelt, damit habe die Börse wirklich nichts mehr zu tun.

Die Börse in München bleibt länger offen als die in Frankfurt

Das Rechenzentrum der Münchner Börse, das heute eben diese Parkettböden und Marktschreier ersetzt, ist nicht hier in der Stadtvilla, sondern in den Gebäuden der Baaderbank untergebracht, dem Partner in Unterschleißheim. Man könnte nun meinen, dass es für eine kleine Börse einfacher ist, gegen die Konkurrenz zu bestehen, wenn ein Großteil des Geschäfts allein Algorithmen verwalten, doch es ist eben auch teuer, immer die neueste Technik zu haben, immer die schnellsten Server. Wovon Thiel deshalb auch viel spricht: vom Sparen.

Wertpapiere: Heute sitzt die Münchner Börse am Karolinenplatz.

Heute sitzt die Münchner Börse am Karolinenplatz.

(Foto: Börse München)

Um 40 Prozent hat er nach eigener Auskunft die IT-Kosten gesenkt, hat neben dem eigenen Handelssystem Max-One 2.0 noch ein zweites eingeführt, Gettex nennt sich das. Gettex soll Leute ansprechen, die vor allem günstig handeln wollen, denn in diesem System müssen sie keine Gebühr mehr für einen Makler zahlen, kein Börsenentgelt. Beim Zertifikatehandel hat er den sogenannten Spezialisten sogar komplett gestrichen, also den Makler. "Das gibt's sonst nirgends", sagt Thiel, zieht die Augenbrauen hoch. Und dann seien da noch die langen Handelszeiten. Denn auch wenn in München jeder Supermarkt um acht Uhr die Tür verriegelt, die Börse bleibt länger offen als in so manch anderer Großstadt.

Wenn in Frankfurt um 17.30 Uhr der Handel ruht, geht es in München noch weiter, unter dem Dach arbeiten die Kollegen bis zehn Uhr am Abend, zwei überwachen die Kurse, zwei steuern den Markt. Norbert Betz ist einer von ihnen. Vor ihm auf dem Schreibtisch: Fünf Bildschirme. Drei Tastaturen. Drei Päckchen Zigaretten. Ein Telefon. Letzteres klingelt ziemlich häufig, denn immer wieder fragen Kunden nach, was denn ein ETF sei oder bei welchem Kurs ihre Wertpapiere momentan notierten. Norbert Betz, die Lesebrille in den Hemdkragen gesteckt, erklärt dann geduldig, dass ein ETF ein börsengehandelter Indexfonds sei, dass die gefragten Aktien gerade im Wert steigen. Es ist nicht immer so viel los, da bleibt schon Zeit für ein wenig Sendung mit der Maus. Das Ziel dieser Börse war ja ursprünglich auch einmal, "das Bürgerglück im einzelnen zu erhöhen".

Die große Handelsstadt war früher Augsburg - nicht München

Münchner Kaufleute mieteten Anfang des 19. Jahrhunderts ein Lokal in der Weinstraße 14, nahe dem Marienplatz, auch damals das Zentrum der Stadt. Sie gründeten gemeinsam eine Kaufmannstube, unabhängig von den damals noch bestehenden, aber bereits mehr und mehr entmachteten Zünften. Auf dem ersten Kurszettel, den die Börse am 16. Dezember 1830 ausstellte, finden sich unter anderem eine bayerische Staatsanleihe, drei österreichische Staatspapiere und sieben Lose, das war es dann auch schon. Selbst wenn die Kaufleute sich damals neues Kapital erhofften, die meisten rechneten damit, dass der neue Handelsplatz es ohnehin nicht mit Augsburg würde aufnehmen können.

Augsburg gilt heute wohl kaum jemandem mehr als Konkurrent zur Landeshauptstadt, doch in der Stadt der Fugger residierte damals schon seit dem 16. Jahrhundert eine Börse. Vielleicht würde die auch heute noch zu den Regionalbörsen gehören, wenn nicht der nationalsozialistische Reichswirtschaftsminister 1935 die Bayerische und die Augsburger Börse zusammengelegt hätte. München blieb bestehen, auch nach dem Zweiten Weltkrieg, die Börse zog vom Maximiliansplatz an den Lenbachplatz, dann weiter an den Karolinenplatz.

Händler schreien hier keine mehr, niemand preist mehr den besten Preis an, die beste Aktie. Die Börse findet längst nicht mehr in dieser Stadtvilla statt, sondern nicht sichtbar, auf den Servern. Norbert Betz starrt auf seine Bildschirme, die Kurse blitzen, mal rot, mal grün. Vor ihm fünf Bildschirme, drei Tastaturen. Ansonsten: Stille.

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