Hallbergmoos und Pulling:Wenn Jets über die Dächer donnern

Jede Minute lärmen die Flugzeuge in unmittelbarer Nähe an den Häusern von Pulling und Hallbergmoos vorbei. Die beiden Gemeinden haben sich wegen des nahegelegenen Flughafens im Erdinger Moos enorm verändert. Allerdings in zwei unterschiedliche Richtungen.

Kassian Stroh

Den "Partisanen" gibt es schon lange nicht mehr. Der "Alte Wirt" hat vor einigen Jahren zugesperrt. Und an der Tür des Sportheims hängt zwar noch das Schild des Fernsehsenders Sky, aber keine Speisekarte. Seit Januar. Die Pullinger haben kein Wirtshaus mehr. Wo sollen sie jetzt hingehen, nach Beerdigungen oder um beisammen zu sitzen? Einen neuen Wirt zu finden, ist nicht leicht. Pulling hat zu kämpfen, dass es ein lebendiger Ort bleibt.

Hallbergmoos: Flugzeug im Landeanflug auf den Flughafen Muenchen / MUC

Alltag in Hallbergmoos: Auf der nahegelegenen Südbahn des Airports fliegen die Maschinen manchmal minütlich ein.

(Foto: Johannes Simon)

Vor 20 Jahren hat vier Kilometer östlich von hier der Flughafen seinen Betrieb aufgenommen. Seitdem donnern die Flieger über den südlichen Ortsteil, bei Ostwind die landenden, bei Westwind die startenden. In Spitzenzeiten fast jede Minute. Das hat den Ort verändert. Und am deutlichsten zeigt sich das daran, dass er sich äußerlich fast gar nicht verändert hat.

Fast überall in der Region wachsen die Gemeinden. In der Kreisstadt Freising, zu der Pulling gehört, ist die Einwohnerzahl seit 1992 beinahe um ein Fünftel gestiegen. Nur in Pulling nicht, hier stagnierte sie lange. Bis zuletzt ein paar Familien in die Doppelhäuser in dem kleinen Neubaugebiet gezogen sind; das liegt am Nordrand, so weit weg von der Einflugschneise wie möglich. 47 Neubürger in einem Jahr, bei gut 1400 Bewohnern. Das ist überlebenswichtig. Denn ohne Kinder verschwänden nach den Geschäften und Wirtschaften bald auch die Grundschule und der Kindergarten.

Hallbergmoos boomt

Vier Dutzend neue Bewohner? In der jüngeren Vergangenheit gab es Jahre, da hat Klaus Stallmeister so viele jeden Monat zählen können. Er ist der Bürgermeister von Hallbergmoos im Süden des Flughafens. Und das kleine Bauerndorf hat eine atemberaubende Entwicklung genommen. Ende der 1980er Jahre gaben die Kommunalpolitiker die Devise aus: Wenn wir den Flughafen schon nicht verhindern können, wollen wir wenigstens von ihm profitieren.

So wurden binnen kurzem 280.000 Quadratmeter Gewerbefläche aus dem Boden gestampft, billig gebaute Logistikhallen in bescheidener Ästhetik ebenso wie attraktive Bürogebäude. Die Folge: 24 Millionen Euro hat die Gemeinde 2011 an Gewerbesteuer eingenommen, sie zählt zu den reichsten Bayerns. Sie hat einen S-Bahn-Anschluss, mehrere Kindergärten und Krippen, Geschäfte und Ärzte - alles dank des Flughafens. Jeder fünfte Einwohner ist jünger als 18, vor allem junge Familien ziehen hierher. Die Bedingungen sind traumhaft, mal abgesehen vom beständigen Grollen der startenden Jets. Nur dass die an Hallbergmoos vorbei fliegen und nicht darüber, wie in Pulling.

Dort macht Franz Kohlhuber, der Pastoralreferent der Gemeinde St. Ulrich, Beerdigungen nur noch mit dem Lautsprecher, wie er erzählt. Und er muss seine Worte am Grab manchmal doch unterbrechen, weil gerade wieder ein Airbus tief über den Friedhof fliegt. Ein "würdiges Abschiednehmen" sei da schwierig, sagt Kohlhuber, in seinem Büro hinter Schallschutzfenstern sitzend. Den Lautsprecher hat er sich zu einem Gutteil von der Flughafengesellschaft zahlen lassen.

Ein sonniger Nachmittag im Mai - aber hier genießt ihn kaum einer. Menschen in Gärten oder auf der Terrasse, Nachbarn beim Ratschen an der Mülltonne, spielende Kinder gar? Im Norden Pullings sind wenige zu sehen, im Süden gar keine. Nur einmal war das anders, vor zwei Jahren, da legte Vulkanasche aus Island den Flugbetrieb in München komplett lahm. Fast eine Woche lang. Und als sie da am Sonntag Erstkommunion hatten, "saßen alle am Nachmittag draußen beim Kaffeetrinken und waren ganz begeistert", erinnert sich Kohlhuber.

Resignation macht sich breit

Wie man überhaupt vom Eindruck auf der Straße nicht ableiten sollte, dass das Dorfleben tot sei in Pulling. Es gibt Feste, die Vereine sind rege, am großen Maibaum an der Hauptstraße haben sechs ihre Tafeln hängen: der Theaterverein ebenso wie der Frauenbund und natürlich der Sportverein. Nur dass dem allmählich das Sportheim wegschimmelt, was den Pullingern echte Sorge bereitet.

"Es ist eine gute Dorfgemeinschaft", hat Kohlhuber beobachtet, der aus der nahen Kreisstadt stammt. "Der Ort ist zusammengewachsen, der Widerstand eint auch" - der Widerstand gegen den Flughafen und jetzt gegen eine dritte Startbahn. Wenn diese käme, würde auch der Nordteil Pullings direkt überflogen, es würde noch viel lauter. Manche seien nach wie vor kämpferisch, berichtet Heidi Kammler, die Ortssprecherin. "Aber bei sehr vielen ist Resignation zu spüren."

Historische Parallelen

In Hallbergmoos hingegen existiert kaum ein Zusammengehörigkeitsgefühl, die Fluktuation ist auch hoch. 9600 Einwohner zählt die Gemeinde, bald doppelt so viele wie zur Zeit der Flughafeneröffnung. Aber 1000 ziehen jedes Jahr weg und etwa 1150 jedes Jahr hinzu. "Die Leute identifizieren sich mit der Gemeinde nicht", sagt ihr Bürgermeister.

Auch die Vereine haben, anders als in Pulling, Nachwuchssorgen. Ein Drittel der Hallbergmooser seien Alteingesessene, rechnet Stallmeister vor. Ein weiteres Drittel seien Menschen, die irgendwann hergezogen und hängengeblieben seien - so wie er selbst Mitte der achtziger Jahre. Und ein Drittel eben Leute, die der Beruf hierher verschlägt, für ein paar Jahre, dann geht es woandershin.

Wie der Zuzug diesen Ort verändert, zeigt sich auch hinterm Rathaus. Da haben sie jetzt eine evangelische Kirche samt Gemeindezentrum gebaut, klein zwar, aber evangelisch. An Pfingsten wird sie eingeweiht.

Stallmeister sagt, er würde die Grundsatzentscheidung von vor 25 Jahren, auf Wachstum zu setzen, wieder so treffen. "Definitiv." Nur so habe man die Einnahmen, um den Leuten etwas bieten zu können. Den im Herbst eröffneten Sport- und Freizeitpark etwa: 16 Hektar mit mehr als einem Dutzend Sportplätzen und zwei Hallen, eine dritte für Bogenschützen ist in Planung, es gibt eine gelenkschonende Joggingstrecke, Spielplätze, einen See - alles vom Feinsten.

25 Millionen Euro hat der Park offiziell gekostet. Angelegt ist er schon jetzt auf 15.000 Einwohner, so groß will Hallbergmoos werden. "Wir müssen wachsen", sagt Stallmeister, "sonst steigen die Wohnpreise und die jungen Leute ziehen weg." Auch das Rathaus hat er sicherheitshalber bereits eine Nummer größer bauen lassen, die Standorte für die neuen Krippen stehen längst fest.

In Pulling kennen sie das. In den 1960er Jahren gab es Pläne, das Dorf auf bis zu 5000 Einwohner zu vergrößern. Dementsprechend überdimensioniert ist heute die Kirche: Sie hat 700 Plätze bei nicht einmal 1000 Gemeindemitgliedern. Kaum war sie fertig, beschloss die Staatsregierung, den neuen Münchner Flughafen im Erdinger Moos zu bauen. 1969 war das. Von da an waren alle Erweiterungspläne für Pulling Makulatur.

Überdimensioniert wirkt freilich auch manches in Hallbergmoos. Im Gewerbegebiet, das seit einigen Jahren als "Munich Airport Business Park" vermarktet wird, künden große Schilder namhafter Immobilienfirmen alle paar Meter davon, dass hier viele Büros frei sind. Im "Skygate"-Komplex putzen zwei einsame Frauen das riesige Entree. Ja, da hinten oben irgendwo, da sitze Avon, erklärt eine in einem Deutsch-Italienisch-Mischmasch und deutet hinter sich. Ansonsten sei alles leer, sagt sie, "tutto". Mag sein, dass zwei Drittel der Flächen vermietet sind, so die offizielle Zahl. Der gefühlte Leerstand ist höher.

Aber sie haben 24 Gaststätten in Hallbergmoos, wenn man den Pizzaservice und die Eisdielen mitzählt. In Pulling heißt es, man bekomme bald wieder einen Wirt. Womöglich zum Juni schon.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: