Halbzeitbilanz:"Wenn ich etwas für richtig halte, dann tue ich das auch"

Lesezeit: 4 min

Er sitzt vor einem Bild der Stadt: Oberbürgermeister Dieter Reiter in seinem Amtszimmer. (Foto: Stephan Rumpf)

Dieter Reiter hat die Hälfte seiner ersten Amtszeit als Oberbürgermeister geschafft. Zeit, Bilanz zu ziehen. Über einen, der eher mit dem Säbel kämpft als mit dem Florett.

Von Dominik Hutter

Man kann Dieter Reiter in der Rosenstraße beim Kauf einer Leberkässemmel begegnen. Oder mit seiner Frau Petra in einer Studenten-Pizzeria in der Maxvorstadt. Gelegentlich steht er auch mit seiner Band "Next Generation" auf der Bühne, in Jeans und mit der E-Gitarre. Münchens mächtigster Kommunalpolitiker hat keine Scheu vor der Öffentlichkeit. Als er einmal in der Trambahn erkannt wurde, ganz ohne Leibwächter, will er einem verdutzten Fahrgast erklärt haben: "Wenn Sie keine Angst haben, habe ich auch keine."

Es ist drei Jahre her, dass der einstige Wirtschaftsreferent ins frühere Büro von Christian Ude gezogen ist. Drei Jahre von sechs, Halbzeit. Das ist beileibe keine Ewigkeit. Dennoch hat man in den neugotischen Fluren am Marienplatz den Eindruck, als hätte hier nie jemand anderes den Ton angegeben. Der SPD-Mann sitzt sicher im Sattel, er wirkt souverän und zufrieden.

Halbzeitbilanz des Oberbürgermeisters
:Das hält Dieter Reiter für die Tops und Flops seiner Amtszeit

Ein etwas windiger erster Anzapfversuch, Querelen im Rathaus und ein gastfreundliches München. Die Bandbreite ist groß.

Vergessen die Anfangsphase, als ihm beim Anzapfen auf der Wiesn noch ein "Scheiß drauf" rausrutschte - was ihm allerdings keiner übel nahm. Reiter ist es dennoch peinlich. "Das passiert mir nicht noch einmal". Seinem Vorgänger wäre es vermutlich nie passiert. Reiter wirkt wie das Gegenmodell zu dem Schwabinger Schöngeist Ude, der trotz seines feinen Humors immer ein wenig unnahbar wirkte. Reiter ist viel bodenständiger, spontaner. Eher wie der Typ von nebenan, mit dem man auf ein Bier gehen kann.

"Man muss einen eigenen Politikstil finden", sagt Reiter. Und er ist überzeugt, den seinen inzwischen gefunden zu haben. Ansprechpartner sein, Versprechungen einhalten, das sei das Wichtigste. "Offen sagen, was man tun will, aber auch schnell tun, was man gesagt hat". Am Donnerstagabend, bei einer öffentlichen Bürgersprechstunde in einer Neuperlacher Turnhalle, hat er gezeigt, was er darunter versteht: zuhören.

Durchaus zugeben, dass man nicht über alle Details Bescheid weiß. Dranbleiben. Reiter erklärt dann, warum etwas geht oder nicht geht, und räumt offen ein, wenn ihm ein Anliegen nicht passt. Eine Gruppe von Trinkern von einer öffentlichen Fläche verbannen? "Es ist nicht verboten, in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken." Derart rigide Regelungen seien in einer offenen Gesellschaft auch nicht wünschenswert.

Rathaus
:Der Stadtrat als Karriere-Sprungbrett

Quer durch die Parteien wechseln Stadträte auf gut dotierte Jobs in Behörden und städtischen Gesellschaften. Bewerber ohne Parteibuch bleiben häufig außen vor.

Von Dominik Hutter

Die drei Jahre sind für Reiter nicht nur im Kalender eine Zäsur. Die zweite Halbzeit soll anders ablaufen als die erste, Reiter hat sich viel vorgenommen. Bisher sei es vor allem darum gegangen, drängende Projekte abzuarbeiten, "was man ehrlich gesagt auch schon früher hätte machen können": Stammstrecke, Konzertsaal, Gasteig, Tram-Westtangente. Neue Wohnungen. Die Schulbauoffensive. Dafür konnte sich der Oberbürgermeister auf ein Bündnis mit der CSU stützen, das derzeit jedoch ein wenig überstrapaziert wirkt.

Inzwischen fühlt sich Reiter sicher genug, notfalls mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. In den kommenden Jahren soll es darum gehen, die bereits beschlossenen Projekte konkret voranzubringen - und die ganz große politische Linie zu entwickeln: Visionen für die Zukunft Münchens. Welche Innovationen gilt es zu fördern, welche Zukunftskonzepte helfen weiter? 2030, davon ist Reiter überzeugt, wird niemand mehr mit einem Verbrennungsmotor gen Marienplatz düsen.

Fragt man Reiter nach den markantesten Ereignissen seiner ersten drei Jahre, erinnert er sich vor allem an die zehn hektischen Tage am Hauptbahnhof, als die vielen Flüchtlinge kamen. An das "Danke"-Konzert auf dem Königsplatz mit Herbert Grönemeyer, ein riesiges Foto davon hängt in Reiters Amtszimmer an der Wand. An die erste Anti-Pegida-Demo mit ihren 25 000 Teilnehmern.

Und auch an die Amoknacht vom OEZ, als Reiter feststellen musste, wie machtlos eine ganze Stadt samt ihren Einsatzkräften sein kann, wenn ein Einzelner austickt. Seit den damaligen Krisensitzungen ist Münchens SPD-OB mit dem CSU-Ministerpräsidenten Horst Seehofer per Du. Schwierige Stunden schweißen zusammen.

Streit um Bierpreisdeckel
:SPD fordert eine Entschuldigung von der CSU

Die Rathauskoalition streitet über den Bierpreisdeckel für das Oktoberfest. So sehr, dass sogar Spekulationen über ein Ende des Bündnisses hochkommen.

Von Heiner Effern

Bei einem anderen spektakulären Ereignis, der eigenmächtigen Schließung der Bayernkaserne wegen unhaltbarer Zustände, trat eine Eigenheit zutage, die für Reiters Politikstil charakteristisch ist. Der dreifache Vater und Großvater hat einen Hang zur Basta-Politik. "Wenn ich etwas für richtig halte, dann tue ich das auch", sagt er. Und dann werde eher mit dem Säbel als mit dem Florett gekämpft.

So geschehen bei der Bayernkaserne, die eigentlich in die Kompetenz der Bezirksregierung fällt. Bei den Marktbuden am Wiener Platz, die entgegen früheren Absichten doch nicht abgerissen werden. Bei der Unnützwiese in Trudering, die nun doch nicht bebaut wird. Beim Beschluss über den Kulturstrand, den Reiter einfach kassierte, weil er ihn für rechtswidrig hielt.

Die gelegentlich etwas impulsive Art des Rathaus-Chefs kommt nicht immer gut an. Grünen-Fraktionschef Florian Roth schüttelt noch heute den Kopf, wenn er an die Haushaltssitzung im Dezember 2016 denkt, die der sichtlich angefressene Dieter Reiter in großen Teilen vor der Tür verbracht hat. Damals hing wieder einmal der Haussegen schief, und Reiter war so sauer, dass er nicht einmal am Weihnachtsessen des Stadtrats teilnahm, dessen Gastgeber er eigentlich war. So etwas müsse nicht sein, findet Roth, der den Oberbürgermeister deshalb als "ab und zu etwas hemdsärmelig" charakterisiert.

Auch städtische Referenten oder einfache Verwaltungsmitarbeiter bekommen gelegentlich den Zorn ihres zuweilen dünnhäutigen Chefs zu spüren. Reiter weiß selbst, wie ungeduldig er sein kann. Bei vielen Beschlüssen habe das aber auch Vorteile - der einstige Vize-Kämmerer hasst ausufernde Debatten über längst abgefrühstückte Themen. Er will dann, dass es endlich weitergeht. Deshalb war es Reiter so wichtig, dass in langen Jahren ausdiskutierte Themen wie die Stammstrecke endlich vom Tisch sind.

Einige Dinge passieren ihm nicht mehr, sagt er

Auch die Grünen, die mit dem Amtsantritt Reiters in die ungeliebte Opposition wechseln mussten, sehen durchaus Verdienste Reiters. Vor allem die Haltung des OB bei der Ankunft der Flüchtlinge nötigte den Öko-Kämpfern Respekt ab. SPD-Fraktionschef Alexander Reissl findet es verdienstvoll, dass der U-Bahn-Bau wieder in Fahrt kommt und dass sich das Verhältnis mit den Umlandgemeinden verbessert hat. Die CSU ist da distanzierter - der Bündnispartner ist überzeugt, dass die Beschlüsse der Reiter-Zeit vor allem auf die eigene Regierungsbeteiligung zurückzuführen sind.

Reiter hat auch Fehlschläge hinnehmen müssen. Die Verwaltungsreform etwa ist in ihren Anfängen stecken geblieben. Der SPD-Mann selbst sieht neben seinem saloppen Anzapf-Kommentar vor allem das Personalgerangel um die frühere Sozialreferentin Brigitte Meier kritisch. Und er erinnert sich mit Grausen an den Pressetermin mit Seehofer, bei dem beide verkündeten, künftig solle der Gasteig die gemeinsame Heimstatt der großen Orchester sein.

Die Prügel der Feuilletonisten bekam ganz überwiegend der Oberbürgermeister ab, der eigentlich verantwortliche Ministerpräsident konnte sich dezent wegducken. Auch das, so Reiter, "passiert mir nicht mehr".

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Prognose
:München wächst noch schneller als gedacht

Das Rathaus korrigiert seine Prognosen für das Bevölkerungswachstum. Das hat gravierende Folgen.

Von Heiner Effern

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: